Hendrik Wüst, NRW, Nordrhein-Westfalen, Ministerpräsident, Politiker, CDU
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst © Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

„Einer der dunkelsten Tage“

NRW-Regierungschef Wüst zum 30. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen

Rechtsextremismus ist nach Einschätzung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst „die größte Gefahr für unsere Demokratie“. Der rassistische Brandanschlag von Solingen vor 30 Jahren sei kein Einzelfall gewesen, sagte der CDU-Politiker im Gespräch. Das Erinnern an diese Tat dürfe nie enden.

Von Mittwoch, 24.05.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 24.05.2023, 12:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Am 29. Mai jährt sich zum 30. Mal der rechtsextrem motivierte Brandanschlag von Solingen, bei dem fünf Mädchen und Frauen ums Leben kamen. Wie wichtig ist die Erinnerung drei Jahrzehnte nach der Tat?

Hendrik Wüst: Der 29. Mai 1993 war einer der dunkelsten Tage in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Auch 30 Jahre nach dieser menschenverachtenden Tat bleiben Fassungslosigkeit und Trauer. Fünf Menschen wurden durch den rechtsextremen Anschlag aus dem Leben gerissen. Für die Familie Genç hat sich in jener Nacht alles verändert. Für mich ist klar: Das Erinnern an diese Tat darf nie enden. Erinnern an Solingen bedeutet, niemals zu vergessen, was passiert ist. Erinnern bedeutet auch, aus der Vergangenheit zu lernen und jeden Tag dafür einzustehen, dass Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Das bleibt eine immerwährende Aufgabe.

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Damals herrschte im Zuge einer Asyldebatte eine aufgeheizte Stimmung, es gab den Anschlag von Mölln und die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen. Rassismus und rechtsextreme Gewalt sind aber bis heute gegenwärtig, dafür stehen etwa die NSU-Morde und die Anschläge von Halle und Hanau. Wird trotz der vielen Gewalttaten nicht genug gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus getan?

Hendrik Wüst: Leider wissen wir, dass Solingen kein Einzelfall war. Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie. Darum müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen und deutlich machen, dass Rassismus, Hass und Hetze hier keinen Platz haben. Als Landesregierung sind wir uns unserer Verantwortung bewusst. Darum unterstützen wir Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus und haben das Förderprogramm „NRWeltoffen“ entwickelt, um die Kommunen in der Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu stärken. Zudem werden wir Schutzlücken in einem Antidiskriminierungsgesetz schließen und so die Rechte der Betroffenen stärken.

Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb freut mich der unermüdliche Einsatz der Menschen in Nordrhein-Westfalen ganz besonders. Seit 2018 verleiht das Land Nordrhein-Westfalen jährlich die Mevlüde-Genç-Medaille an Menschen, die sich für Verständigung und Toleranz einsetzen und so zu einem friedlichen Miteinander in unserer Gesellschaft beitragen. Die Medaille soll so die vorbildliche Haltung von Mevlüde Genç für uns alle in Erinnerung halten. Ihr wurde durch den Brandanschlag das Wichtigste im Leben genommen: Kinder, Enkelkinder und eine Nichte. Ein Schicksalsschlag, von dem sich die meisten Menschen nie wieder erholt hätten.

Doch Mevlüde Genç hat den Frieden und die Versöhnung immer an erste Stelle gesetzt. Sie verstand es, den unermesslichen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, in die Kraft umzuwandeln, sich für andere Menschen einzusetzen. Nach ihrem Tod im vergangenen Jahr ist es umso mehr unsere Verantwortung und Pflicht, ihr Wirken lebendig zu halten. In diesem Jahr verleihe ich die Mevlüde-Genç-Medaille darum an das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen. Vor allem im Bereich der Jugendarbeit setzen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine umfassende Präventionsarbeit ein. Das ist vorbildlich und verdient unsere Anerkennung.

Die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland ist 2022 stark gestiegen, vor allem durch den russischen Krieg gegen die Ukraine. Auch Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte nahmen im vergangenen Jahr zu. Gibt es nach Ihrer Einschätzung eine wachsende Fremdenfeindlichkeit?

Hendrik Wüst: Am 24. Februar 2022 hat Putin den Krieg zurück nach Europa gebracht. Von Beginn an war klar: Wer vor Putins Krieg flieht, ist bei uns in Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Viele Menschen im ganzen Land haben ihre Häuser und ihre Herzen geöffnet, sich haupt- und ehrenamtlich engagiert und klargemacht, was wir Putins Krieg entgegensetzen: Nächstenliebe, Mitmenschlichkeit und Solidarität! Unsere Sicherheitsbehörden beobachten, dass Rechtsextremisten die Krisen der vergangenen Jahre für ihre Zwecke instrumentalisieren – seien es Corona-Beschränkungen, steigende Energiepreise oder der Ukraine-Krieg. Deshalb sage ich: Lassen wir nicht zu, dass diejenigen, die Ängste schüren und Hass verbreiten, Erfolg haben. Wir leben in einer gefestigten, aber auch in einer wehrhaften Demokratie. Es liegt an uns allen, diese Demokratie lebendig zu halten.

Amnesty International beklagt „verbale Entgleisungen“ in der aktuellen Flüchtlingsdebatte. Welche Rolle spielt eine polemische Rhetorik in der Politik, etwa wenn im Blick auf Flüchtlinge von „Sozialtourismus“ die Rede ist?

Hendrik Wüst: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verursacht unfassbares Leid. Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen, haben alles verloren. Derzeit leisten unsere Städte, Gemeinden und Kreise Herausragendes bei der Aufnahme, Unterbringung und Integration Geflüchteter. Für mich ist klar: Als Demokratien müssen wir gerade jetzt zusammenzuhalten und zusammenrücken. Dafür setzt sich das Land Nordrhein-Westfalen auch weiterhin ein.

Wie müsste eine langfristig angelegte Strategie gegen Rassismus und rechte Gewalt aussehen?

Hendrik Wüst: Rechtsextremisten stellen unser demokratisches Gemeinwesen infrage. Das dürfen wir nicht dulden. Staat und Zivilgesellschaft müssen zusammenarbeiten und entschlossen für ein respektvolles gesellschaftliches Miteinander eintreten. Es ist unsere Pflicht, die Erinnerung und das Wissen über menschenverachtende Gräueltaten lebendig zu halten und sie in Zukunft zu verhindern. In Nordrhein-Westfalen leistet die Landeszentrale für Politische Bildung hier bereits hervorragende Arbeit. Darüber hinaus ist das „Integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ der Landesregierung seit Jahren ein wichtiger Baustein, um Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Rassismus noch besser aufeinander abzustimmen, weiterzuentwickeln und insbesondere die präventive Arbeit zu stärken. (epd/mig) Aktuell Politik

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