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NSU-Mahmal in Dortmund © Reclus, CC0, via Wikimedia Commons

Machbarkeitsstudie

NSU-Doku-Zentrum könnte bis 2028 in Sachsen entstehen

Trotz umfangreichem Gerichtsprozess und Untersuchungsausschüssen in mehreren Parlamenten gibt es noch viele offene Fragen rund um den NSU-Terror. Deswegen wird seit langem ein Dokumentationszentrum gefordert. Nun gibt es dafür ein detailliertes Konzept.

Sonntag, 07.05.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.05.2023, 13:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Pläne für ein Dokumentationszentrum über den Terror des rechtsextremen NSU und seine Opfer nehmen Gestalt an: Einer am Freitag vorgestellten Machbarkeitsstudie zufolge könnte es 2028 in Chemnitz und Zwickau eröffnet werden. Dort waren einst die Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) untergetaucht. Geplant sei ein Gedenk-, Erinnerungs- und Lernort zum NSU-Komplex, sagte Robert Kusche vom Verein RAA Sachsen, der die Studie mit weiteren Akteuren im Auftrag des Landes erarbeitet hat. Sachsens Ministerin für Demokratie, Katja Meier (Grüne), bezeichnete die Studie als „Meilenstein“ auf dem Weg zu einem solchen Zentrum.

CDU, Grüne und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU zu unterstützen. Die Studie empfiehlt dazu, eine Stiftung zu gründen. Finanziert werden solle sie von Sachsen und dem Bund sowie möglicherweise weiteren Bundesländern. Die Investitionskosten werden auf bis zu 36,4 Millionen Euro geschätzt. Zudem seien 42 Stellen mit Personalkosten von etwa 2,75 Millionen Euro im Jahr erforderlich, hieß es. Als mögliche Standorte werden ein ehemaliges Fabrikgebäude in Chemnitz sowie das früherer Königliche Krankenstift in Zwickau genannt.

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Das Zentrum soll dem Konzept zufolge neben Räumen für Dauer- und Wechselausstellungen auch einen Ort der Versammlung und Selbstorganisation Betroffener rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beinhalten – eine sogenannte Assembly. Zudem ist ein Bereich für Bildungs- und Vermittlungsarbeit vorgesehen, eine Forschungsstelle sowie Archiv, wissenschaftliche Sammlung und Bibliothek. „Wichtig ist die kontinuierliche Einbeziehung und Einbindung der Hinterbliebenen und Überlebenden des NSU-Terrors“, sagte Kusche. Ihre Geschichten bräuchten Raum und Gehör.

NSU-Doku-Zentrum „überfällig und notwendig“

„Das Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex ist längst überfällig und notwendig“, sagte die Künstlerin Ülkü Süngün. Sie berichtete auf der Pressekonferenz in Dresden aus Gesprächen mit Angehörigen der Mordopfer und Überlebenden der Anschläge. Es sei eine einmalige Gelegenheit, Vertrauen wiederherzustellen und Heilung zu ermöglichen. Dazu müsse das Gedenken lebendig gehalten und Betroffene als mündige Akteure bei allen Entscheidungsprozessen eingebunden werden und in den Gremien vertreten sein. Das Zentrum solle als Knotenpunkt in einem Gedenk- und Aufarbeitungsnetzwerk fungieren und bereits bestehende Initiativen in anderen Städten wie Dortmund, Köln, München und Kassel integrieren und sie mit Ressourcen versorgen.

Sachsen sei als Standort für ein solches Zentrum aus mehreren Gründen prädestiniert, sagte Kusche. Hier sei nicht nur die Operationsbasis des NSU samt zahlreicher Unterstützer gewesen und seien die Anschläge von hier geplant und durchgeführt worden. Die Verhältnisse, die dies möglich gemacht hätten, seien in der Region auch noch lange nicht aufgearbeitet. „Und Sachsen war und ist leider nach wie vor Zentrum neonazistischer Organisationen.“

OB gegen NSU-Doku-Zentrum

Bedenken zu der neuen Konzeption äußerten die Oberbürgermeister von Chemnitz und Zwickau, Sven Schulze (SPD) und Constance Arndt (Bürger für Zwickau). Die Aufarbeitung der Verbrechen des NSU sollte nicht ausschließlich auf Chemnitz und Zwickau bezogen sein, mahnten sie. Vielmehr müsse sie auch andere Landkreise und Regionen sowie Behörden und Institutionen im Blick behalten. Auch zum Vorschlag, für das Zentrum eine Stiftung zu errichten, äußerten sie sich skeptisch und forderten, die jeweiligen Stadtgesellschaften in den weiteren Prozess einzubeziehen.

Die Wahl von Chemnitz und Zwickau als Doppel-Standort sei richtig, erklärte dagegen die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) und sprach von einem ambitionierten Plan. Es gehe nicht darum, auf einen bestimmten Ort zu zeigen. „Stattdessen liegt eine große Chance darin, von dort aus, wo sich einst die Rechtsterroristen mit Unterstützung aus der Szene verborgen hielten, starke Impulse für demokratisches Engagement zu geben.“ Nun sei die Regierung in der Verantwortung, die Umsetzung des Konzepts zu forcieren. Dazu müssten die Finanzierung und die Unabhängigkeit des Projekts gesichert werden.

Unterstützung des Bundes nötig

Damit das Dokumentationszentrum Wirklichkeit werden kann, brauche es zwingend die Unterstützung des Bundes, sagte Ministerin Meier. Der Freistaat allein könne das nicht stemmen. Zudem wollen die Akteure schon 2025 ein erstes Interim im Rahmen von Chemnitz als Europäische Kulturhauptstadt schaffen. Dies solle über das Kulturhauptstadtjahr hinaus bis zur Eröffnung des endgültigen Zentrums erhalten bleiben.

Das NSU-Kerntrio stammte ursprünglich aus Jena, war Ende der 1990er Jahre aber in Sachsen untergetaucht und hatte sich in der Region mit Raubüberfällen Geld beschafft. Zwischen 2000 und 2007 haben die Rechtsterroristen in Deutschland mindestens zehn Menschen ermordet: acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer und eine Polizistin. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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