Grenzräume
Das Elend des Lokaljournalismus
Nach der sogenannten Migrationskonferenz ist vor der sogenannten Migrationskonferenz. Mit etwas Abstand lässt sich sagen: problematisch war auch die lokale Medienberichterstattung über diese.
Von Lukas Geisler Sonntag, 07.05.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 06.05.2023, 12:52 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
An dieser Stelle könnte ich sagen, dass ich den Eklat kommen gesehen und dass ich Recht behalten habe. Ich will dies allerdings nur über Bande, also indirekt, tun. Denn nicht nur Boris Palmer und Susanne Schröter, die Veranstalterin der unsäglichen Konferenz, müssen zur Verantwortung gezogen werden – auch die lokalen Medien sind ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, nämlich: richtig zu recherchieren und kritisch zu berichten.
Leider sind die vollen neun Stunden der Konferenz, die gestreamt wurden, nicht mehr online. Bei den Schnipseln, die auf Twitter kursieren, wird einem klar warum. Die Ausschnitte zeigen: Palmers Aussagen waren kein Einzelfall auf der Konferenz, sondern er war nur der Einzige, der es vor und nicht nur auf der Konferenz getan hat. Wenn ein „drittklassiger Journalist“1 erkennen kann, was das für eine Konferenz ist, dann hätten das auch andere Journalist:innen, Redakteur:innen und Medienvertreter:innen tun können.
Meine These, und darin besteht das Elend des Lokaljournalismus, ist, dass der Lokaljournalismus auf dem rechten Auge blind ist und dass es leider allzu oft an der Kompetenz fehlt, Sachverhalte in einen richtigen Kontext einzuordnen. Dies bringt nicht nur das lokale Zusammenleben in Bredouille, sondern auch der Lokaljournalismus selbst macht sich damit leider allzu oft obsolet – in Einzelfällen bedroht er dadurch das lokale, demokratische Zusammenleben in einer postmigrantischen Stadt, wie Frankfurt am Main.
Ich will vorwegsagen: Beides, also das Zusammenleben sowie der Lokaljournalismus, liegt mir am Herzen – gerade deshalb fällt meine Kritik auch so hart aus.
Lokaljournalismus, wir müssen reden!
Im Vorfeld hat sich vor allem der Frankfurter Lokaljournalismus mit der Tagung befasst. Die lokale Medienberichterstattung war – einige kleine Ausnahmen bestätigen die Regel – durchweg positiv und verteidigend gegenüber der anstehenden Konferenz und Susanne Schröter. In Anbetracht der lokalen Medienberichterstattung müssen wir also ganz dringend über den Lokaljournalismus reden – am Ende komme ich natürlich auf die pseudowissenschaftliche Konferenz von Susanne Schröter zurück.
Mich persönlich treibt das Thema seit einer lokaljournalistischen Hospitanz im Sommer 2022 um. Seit November 2023 bin ich zudem Presseverantwortlicher der Frankfurter Ortsgruppe der globalen Klimagerechtigkeitsgruppe „End Fossil: Occupy!“, die Schulen und Universitäten besetzt. Beide Erfahrungshorizonte fließen in das Folgende ein.
Bei meiner Hospitanz lernte ich, dass die meisten Klischees zutreffen: Meist alte weiße Männer, die „per du“ mit dem Polizeipräsidenten sind, schreiben Artikel über Themen, die vor allem alte weiße Männer interessieren: Die lokale Bierbrauerei stellt den Betrieb ein, das Bahnhofsviertel ist zu dreckig und zu kriminell oder in einem Vorort von Frankfurt gab es aufgrund von Regenfällen leichte Überschwemmungen von Eigentumshäusern.
In manchen kleinen Städten mag es fast nur alte weiße Menschen geben, in einer postmigrantischen Großstadt, wie Frankfurt, ist dies jedoch nicht der Fall. In den meisten Redaktionskonferenzen halbierte ich den Altersschnitt. Weiblich-gelesene Personen waren genauso selten anwesend, wie migrantisch-gelesene Personen.
Dabei bin ich mitnichten der Auffassung, dass es um Repräsentation allein gehen sollte, andere Themen könnten und müssten trotzdem abgedeckt werden.
Die meisten Artikel lesen sich auch nicht besonders gut: jemand aus der Kommunalpolitik sagt das, das Unternehmen hat eine andere Meinung und dann ist der Artikel auch schon fertig. Keine Hintergrundrecherche, vielleicht – in Ausnahmefällen – noch die Vorgeschichte. Ob nun die Aussagen von den beteiligten Personen stimmen oder es vielleicht Informationen gibt, die wichtig für die Leser:innen sind, um sich eine Meinung zu bilden, ist viel zu selten Teil von Artikeln.
Ich bin überzeugt: Auch in Lokalressorts von Tageszeitungen kann guter Journalismus anders aussehen.
Die Wissenschaft vom Elend
Lokaljournalist:innen sind zuständig für die Berichterstattung und die demokratischen Aushandlungsprozesse in einer Stadt. Sie sind das demokratische Korrektiv. Sie schreiben für das Medium, das eine demokratische Öffentlichkeit auf lokaler Ebene erst herstellt: die Lokalzeitung. Die lokale Presse hat in der liberalen Demokratie die Aufgabe, den Bürger:innen Informationen zu einer mündigen Meinungsbildung zu Verfügung zu stellen.
Auch der Blick in wissenschaftliche Literatur zum Lokaljournalismus, ergibt kein besseres Bild. Ein Wissenschaftler wertete 2016 in einem Sammelband, der mit „Migranten als Journalisten?“ betitelt ist, die „Einstellungen von Medienverantwortlichen zur Migrationsgesellschaft“ aus.
In seiner Studie bringt der Wissenschaftler selbst die statistischen Kategorien „Migrant:in“ und „Mensch mit Migrationshintergrund“ durcheinander, bzw. verwendet sie Synonym. Zudem erkennt oder benennt er den Rassismus der Medienverantwortlichen nicht, mit denen er Interviews geführt hat. Ich führe trotzdem gerne ein paar Beispiel an, weil sie sinnbildlich für die Realität in Lokalredaktionen stehen.
„Die lesen selten deutsche Zeitungen“
Ein Verlagsleiter lässt sich beispielsweise folgendermaßen zitieren: „Nennen Sie mir mal ein paar Gründe, warum dort die Quote aus der Migrantenszene zehn Prozent der Journalisten betragen soll, die bei einem solchen Blatt beschäftigt werden. Gibt es dafür einen Grund? Nicht einen einzigen. […] Es gibt ja nicht mal zehn Prozent der Leser, die aus dieser Szene kommen.“ Ein anderer sagt über „türkische Einwanderer“: „Die lesen selten deutsche Zeitungen.“
Ein weiterer Redakteur gibt folgendes zu Protokoll: „In der Printbranche ist ein hörbarer Migrationshintergrund weniger problematisch als in der Radiobranche oder in der Fernsehbranche.“ Ein anderer widerspricht: „Für den Printberuf muss man einfach richtig schreiben können, und das ist schwer, wenn man von außen kommt.“
Die professionelle Kompetenz lässt zu wünschen übrig
Ich muss den meisten aufmerksamen Leser:innen nicht erklären, dass sowohl die Aussagen als auch das hier kontextlose wiedergeben der Forschungsinterviewinhalte problematisch ist. Auf einer Metaebene zeigt dies aber: rassistisches Gedankengut ist tief verankert bei Medienschaffenden – gerade im Lokaljournalismus. Was langsam in überregionalen Medienhäusern einsickert, ist in Lokalredaktionen oft noch nicht angekommen: Deutschland ist eine postmigrantische Gesellschaft.
Rassismus ist also ein strukturelles Problem auch im Lokaljournalismus. Ergänzen möchte ich – und dies merkt Horst Pöttker in einem anderen Sammelband zum Lokaljournalismus richtigerweise an –, dass es sich nicht zwangsläufig um rassistische Journalist:innen handeln muss. Pöttker schreibt: „Ein wachsender Anteil des lokaljournalistischen Gesamtprodukts wird von freien Mitarbeitern erstellt, deren Ausbildung und professionelle Kompetenz oft zu wünschen übrig lässt.“
So möchte ich auch einen Kommentar im Vorfeld der Konferenz von Susanne Schröter verstehen, der den Auftritt des Leiters des renommierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung, Stephan Lessenich, bei einer Veranstaltung von „End Fossil: Occupy!“ mit der Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten“ von Susanne Schröter vergleicht.
Dies zeugt von Geschichtsvergessenheit, denn dass das Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) existiert, ist den jüdischen Flüchtlingen und Sozialwissenschaftlern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno zu verdanken, die trotz der Shoa und trotz der Verfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Frankfurt kamen, um das Institut wieder aufzubauen.
Diese Institution des postnationalsozialistischen, aber demokratischen Deutschlands mit einer Konferenz gleichzusetzen, die Rassismus und Antisemitismus salonfähig macht, ist abstrus. Der Vergleich hinkt nicht nur, sondern legitimiert das, wogegen sich das IfS seit seiner Gründung in den Weg stellt: rechtes Gedankengut.
Aus einer demokratietheoretischen Perspektive unverzichtbar
Einen Vergleich zu ziehen mit einer Konferenz, die Rassismus und Antisemitismus salonfähig macht, ist, wenn es gewollt ist, gefährlich und gibt Aufschluss über die rechts-konservative Gesinnung des Redakteurs, wenn es aus Inkompetenz geschieht, ist es leider immer noch problematisch. In beiden Fallen erweist der Redakteur dem demokratischen Zusammenleben in Frankfurt einen Bärendienst.
Nach Pöttker mache die Entwicklung der lokalen Medienmärkte zwei Dinge deutlich: „Es gibt eine betriebswirtschaftliche und eine demokratiepraktische Problemlage.“ Und daher sei es die Aufgabe „der Medienhäuser und der Gesellschaft, den Lokaljournalismus zu stärken.“ Damit weißt er zum einen auf die wirtschaftliche Krise vieler Lokalzeitungen hin, zum anderen auf die Verantwortung von Lokaljournalismus für unser demokratisches Zusammenleben auf lokaler Ebene.
Dieser Verantwortung kam der Frankfurter Lokaljournalismus im Vorfeld der sogenannten Migrationskonferenz nicht nach – und tut es, nach dem Eklat um Boris Palmer, teilweise bis heute nicht.
Was machen, wenn man keine Expertise hat?
Es muss sich also etwas ändern, denn dass der Lokaljournalismus auf dem rechten Auge blind ist und dass es leider allzu oft an der Kompetenz fehlt, Sachverhalte in einen richtigen Kontext einzuordnen, – beides bedingt sich und ist nicht immer voneinander zu trennen – das ist ein Problem für uns alle. Dies, so die anfängliche These, bringt nicht nur das lokale Zusammenleben in Bredouille, sondern – darin besteht das selbstverschuldete Elend – auch der Lokaljournalismus selbst macht sich damit leider allzu oft obsolet. In der Causa der pseudowissenschaftlichen Migrationskonferenz von Susanne Schröter ist das selbstverschuldete Elend gar gefährlich für die postmigrantische Stadtgesellschaft und insbesondere migrantisierte und Schwarze Studierende an der Goethe Uni.
Bei meiner generellen Kritik an der Berichterstattung im Nachhinein schließe ich mich den Neuen Deutschen Medienmacher:innen (NDM) an. In der Berichterstattung zu Palmer fielen ihnen zwei Punkte auf: Zum einen scheine oft weniger der wiederholt zur Schau gestellte Rassismus das Problem zu sein, als die Gleichsetzung mit Juden und Jüd:innen im Nationalsozialismus. Das Eine verneint Kolonialverbrechen. Das Andere relativiert die Shoa. Beides sei inakzeptabel. Die NDM schreiben: „Dies sollte sich auch in der Berichterstattung widerspiegeln.“ Denn Palmer mache unfreiwillig deutlich: „Rassismus und Antisemitismus treten nicht in voneinander abgetrennten Räumen auf, sondern gehen oft Hand in Hand.“
Der zweite Punkt liegt ebenfalls auf der Hand: Der mediale Fokus auf die Person Palmer nutze auch den Veranstalter:innen der Tagung, die sich nun aus der Verantwortung für die Durchführug und Verteidigung der problematischen Konferenz ziehen können. „Allen voran der Verantwortlichen Susanne Schröter, die nicht eingegriffen hat, anschließend Presseberichte auf Twitter teilte“ und sich erst später distanzierte. Das mache Schröters Abgrenzung zu Palmer im Nachhinein nicht glaubwürdig. So wird scheinheilig behauptet: Palmer sei ein Einzelfall auf der Konferenz gewesen.
Das Ende des Elends?
Die Kritik sollte auch der Lokaljournalismus ernst nehmen, denn wenn man selbst keine Expertise zum Thema hat, dann sollte man wenigstens auf die hören, die eine haben. Beispielsweise ist der promovierte Jurist und Politikwissenschaftler, Maximilian Pichl, in Frankfurt wohnhaft und hat nach eigenen Angaben die komplette Konferenz im Livestream verfolgt. Warum fragt eine Lokalredaktion nicht ihn für ein Interview an?
Im Nachgang der Konferenz konnte ich dann doch irgendwann sehr gute Artikel zur pseudowissenschaftlichen Konferenz zu finden. Beispielsweise schreibt die Autorin Anna Yeliz Schentke analytisch scharf: „nicht nur die Grenzen des ‚Sagbaren‘ scheinen sich (…) verschoben zu haben, auch Wissenschaftlichkeit wird zu einem dehnbaren Begriff (…)“. Auch Hanning Voigts Artikel schafft es die Aussagen Palmers in einen angemessenen Kontext zur pseudowissenschaftlichen Konferenz zu stellen.
Beide Artikel zeigen auf, wie sich der Lokaljournalismus an seinen eigenen Haaren aus dem selbstverschuldeten Elend ziehen kann.
Meinung
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Ich bin froh, dass ich meine dreimal verfassten Kommentare zu „Das ist der Judenstern“ nicht absendete, denn mit „Das Elend des Lokaljournalismus“ spricht Lukas Geisler über die Kommunalpresse aus, was ich an oben genanntem Artikel kritisieren wollte.
Den Fokus auf Herr Palmer legend und lediglich in Nebensätzen auf die eigentliche Kritik: „Rassistische Wissenschaft an deutschen Hochschulen?“ eingehend, empfand ich genau das, was jetzt hier großartig beschrieben wurde.
Da allerdings Lukas Geisler in seiner Vorhersage diese erweiterte Kritik nannte, entschied ich mich abzuwarten und wurde mit diesem Artikel belohnt.
Stünde „Das ist der Judenstern“ alleine, würde ich diesen Artikel ähnlich bewerten, wie Lukas Geisler den Großteil der Kommunalpresse.