Sophia Hiss, MiGAZIN, Rassismus, Freiburg, Kommentar
Sophia Hiss © privat, Zeichnung: MiG

Unterrichten mit Kopftuch

Zwischen Unsicherheit und Paradox

Lehrerinnen mit Kopftuch. Das Thema ist längst nicht vom Tisch. Das Problem sind nicht die Trägerinnen, sondern das System – in der Theorie genauso wie in der Praxis.

Von Montag, 03.04.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 31.03.2023, 10:25 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Schon wieder Kopftuch? Ist das nicht langsam ausdiskutiert? Die Antwort darauf lautet klar: Nein! Solange Musliminnen aufgrund ihres Kopftuchs immer noch vor großen Unsicherheiten und struktureller Diskriminierung stehen, gilt es, weiter zu hinterfragen und zu diskutieren. Denn längst ist das Thema nicht ausdiskutiert, wie man aktuell wieder in Berlin beobachten kann. Deshalb soll hier der Frage nachgegangen werden, wie junge angehende Lehrerinnen, die ein Kopftuch tragen, auf ihre Lehrtätigkeit in Schulen (nicht) vorbereitet werden. Vor welchen Herausforderungen stehen sie und welche Unsicherheiten sie für ihre berufliche Zukunft in Kauf nehmen müssen?

In einem Treffen mit angehenden Lehrerinnen der islamischen Religionspädagogik einer pädagogischen Hochschule in Baden-Württemberg wird deutlich, dass junge Lehramtsstudentinnen immer noch mit dieser Unsicherheit und Angst vor Diskriminierung konfrontiert sind und ihre berufliche Zukunft deshalb stets mit vielen Fragen und Unklarheiten verbunden ist. Und das größte Problem daran ist: Sie werden im Studium nicht auf die bevorstehenden Herausforderungen vorbereitet. Im Gespräch mit Fatima (Name geändert), angehende Lehrerin für Mathematik und islamischer Religionspädagogik, wird deutlich, dass im Kontext des Lehrens mit Kopftuch an Schulen ein Paradox das nächste jagt und Unsicherheiten zur Tagesordnung gehören.

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Hintergrund: In jedem Bundesland ist die Situation für kopftuchtragende Musliminnen unterschiedlich. In der Dokumentation für Wissenschaftliche Dienste des Bundestags heißt es hierbei in der Einleitung: „Kopftuch tragende Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen sind in den einzelnen Bundesländern nur vereinzelt im Schuldienst vertreten.“ Wenn Sie Fatima und mich fragen, fehlt hier eindeutig das Wörtchen „Leider“!

Die Lehrer:innenschaft an allgemeinbildenden Schulen ist bis heute nicht sehr divers, was im Hinblick auf deren Vorbildfunktion für viele Schüler:innen mit Migrationsbiografie, verschiedener Religionszugehörigkeiten und Weltanschauungen sehr bedauerlich ist. Allen Debatten liegt dabei aktuell die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 zugrunde. Danach ist ein pauschales Kopftuchverbot nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Trotzdem können Lehrerinnen gezwungen werden, ihr Kopftuch abzulegen, wenn ihr äußeres Erscheinungsbild „zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt.“ Was mit dieser hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens genau gemeint ist und wer diesen Schulfrieden definiert, lässt das Gericht offen. Die Situation für muslimische Lehrerinnen bleibt damit sehr diffus und undurchsichtig.

„Unterrichtet die Religionslehrerin außerdem noch Mathematik, Deutsch oder Physik, kann es passieren, dass sie zwischen zweiter, dritter und vierter Stunde das Kopftuch ab-, an- und wieder ablegen muss.“

Daraus ergeben sich Widersprüche, die besonders auf Lehrerinnen zutreffen, die islamische Religion unterrichten möchten: Für diesen Unterricht ist die Zugehörigkeit zum Islam obligatorisch. Für viele Musliminnen geht dies mit dem Tragen eines Kopftuchs einher. Unterrichtet die Religionslehrerin aber außerdem noch Mathematik, Deutsch oder Physik – die meisten Lehrkräfte unterrichten mehrere Fächer –, kann es passieren, dass sie zwischen zweiter, dritter und vierter Stunde das Kopftuch ab-, an- und wieder ablegen muss.

Denn je nach Definition des „Schulfriedens“ und der Menschen, die ihn durch das Kopftuch gefährdet sehen, kann es im Ernstfall durchaus zum Verbot des Kopftuchtragens für Lehrerinnen kommen. Ein schwerwiegender Eingriff in das private Glaubensleben der Lehrerin und ein persönliches Dilemma, das sich daraus ergeben kann: Kopftuch oder Karriere?

Mit dieser Frage und den daraus resultierenden Unsicherheiten müssen angehende Lehrerinnen leben. So auch Fatima. Sie hatte vor ihrem Pflichtpraktikum viele Sorgen und fühlte sich unbeholfen: „Und dann habe ich realisiert, dass ich auf einer Dorfschule gelandet bin. Die können mich doch gar nicht akzeptieren. Ich dachte, ich wäre dort nicht gut aufgehoben, weil sie Leute wie mich nicht kennen, weil das dort doch fremd ist.“

„Uns wurde sogar abgeraten vom Kopftuch, weil wir so viele Probleme haben werden… Damit nimmt man mir ja das Selbstvertrauen und das darf nicht sein.“

Auch in ihrem Studium fand in diesem Sinne keine Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit statt. Keine Diskussionsrunden, keine Gespräche oder Auseinandersetzungen mit den Unsicherheiten der Studentinnen: „Es gibt gar nichts, im Gegenteil. Ich finde es sehr traurig, aber es ist leider wahr. Uns wurde sogar abgeraten vom Kopftuch, weil wir so viele Probleme haben werden und da hieß es dann: ‚Wieso macht ihr das?‘ (…) Damit nimmt man mir ja das Selbstvertrauen und das darf nicht sein.“

Im Gegensatz zu ihren schlimmen Erwartungen wurde sie auf der Dorfschule sehr herzlich empfangen und es gab keine unangenehmen Situationen oder Diskussionen an ihrer Schule. Sie wurde von einigen Eltern sogar freudig als die erste Lehrerin mit Kopftuch begrüßt. Für Fatima eine sehr schöne Erkenntnis, die auch im Gegensatz zu ihren eigenen Vorurteilen und dem Druck, den sie sich gemacht hatte, stand.

Sie möchte diese Erfahrung auch an ihre Schüler:innen weitergeben. Gerade Kinder mit Migrationsbiografie hätten oft Minderwertigkeitsgefühle, die sie von ihren Eltern oder ihrem Umkreis auferlegt bekämen. Auch ihr wurde stets beigebracht, sich doppelt so sehr anzustrengen, doppelt so freundlich zu sein, da sie grundsätzlich in einer nachteiligen Position zu den hier aufgewachsenen Kindern stehen würde. „Das wurde mir auch in die Wiege gelegt. Und das macht einen kaputt – immer davon auszugehen, dass man weniger wert ist. Das hat mir das Selbstvertrauen genommen. Da entsteht ein Machtverhältnis. Klar ist die Welt nicht rosarot, aber den Kindern beizubringen, dass sie primär erstmal weniger wert wären, macht im Kopf, in der Psyche, im Selbstwert, im Selbstbewusstsein und in der Selbstdarstellung einfach sehr viel aus.“

„Ich finde es erschreckend, dass es überhaupt zu einem Gegenstand der Politik und der Schulentwicklung wird, dass ich als Kopftuchträgerin so unnötig viel Aufmerksamkeit bekomme.“

Die aktuelle Rechtslage stößt bei ihr auf Ärger und Frust. Sie sieht darin ein Machtgefälle und die Unterstellung einer potenziellen Gefährdung, die andere Leute durch sie – nur aufgrund des Kopftuchs – wahrnehmen. „Ich finde es erschreckend, dass es überhaupt zu einem Gegenstand der Politik und der Schulentwicklung wird, dass ich als Kopftuchträgerin so unnötig viel Aufmerksamkeit bekomme. Das gibt mir das Gefühl, als wäre ich eine Attentäterin, als ob ich eine Systemsprengerin wäre, oder irgendetwas Illegales mache. Es fühlt sich dann auch so an, als ob jeder einzelne Schritt beobachtet würde. Das darf in der Schule nicht sein, die Schule ist für mich ein Ort, in dem jede:r sich wohlfühlen sollte – auch ich.“

Den Begriff „Schulfrieden“ findet Fatima „sehr gewagt“, weil er eine riesige Spannweite habe. „Wie definiert man das? Den Schulfrieden zu stören, da können verschiedene Auslöser Grund für sein. Ich finde es wichtig, dass der Schulfrieden gewährleistet ist, aber es kann nicht wahr sein, dass er durch ein Kopftuch gestört wird.“ Meinung

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  1. JS sagt:

    Irgendwann wird der Mensch es hoffentlich schaffen sich von diesem archaischen Ding namens „Religion“ loszusagen. In einer aufgeklärten Gesellschaft und einer von Wissenschaft geprägten Schule ist Religion gänzlich fehl am Platze.
    Im Hinblick auf den Geschichtsunterricht kann man das noch unterbringen und die vielen sinnlosen Kriege die im Namen von Religionen geführt wurden.