Kopftuchverbot
Zwielicht am Ende des Tunnels
Das Bundesverfassungsgericht wird sich nicht mehr mit dem Thema Kopftuch befassen – es ist schlicht alles gesagt, ein pauschales Verbot verfassungswidrig. Kopftuchtragende Lehrerinnen in Berlin können sich trotzdem nicht entspannt zurücklehnen.
Von Gabriele Boos-Niazy Donnerstag, 02.03.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.04.2023, 22:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Berliner Debatten um das Kopftuch von Lehrerinnen erinnern an die Abenteuer von Asterix und Obelix, doch statt im Jahr 50 v. Chr., verschanzt in einem Dorf im Kampf gegen römische Besatzer, befinden wir uns im Jahr 2023 n. Chr. und ganz Deutschland erkennt das Bundesverfassungsgericht als oberstes Gericht an … Ganz Deutschland? Nein! Unbeugsame – oder in diesem Fall wohl eher unbelehrbare – Politiker:innen einer Großstadt hören nicht auf zu erklären, dass höchstrichterliche Urteile für sie keine Geltung haben.
Diesen Habitus lässt man sich auch gern einiges an Steuergeldern kosten. 2017 sprach das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg1 einer Bewerberin 8.680 Euro Entschädigung zu. Danach fielen bis Februar 2021 – noch vor dem Gang zum Bundesverfassungsgericht – weitere 92.719,37 Euro an Gerichts-, Anwaltskosten und Entschädigungszahlungen an. 93 Prozent davon strichen Anwaltskanzleien ein, nicht etwa Betroffene. Denen bestätigen Gerichte zwar eine rechtswidrige Diskriminierung, aber arbeiten durften sie trotzdem nicht. Die Kosten, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres kurz vor ihrem Ausscheiden durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen vermeintlicher Verletzung auf rechtliches Gehör und Vorenthaltung eines gesetzlichen Richters verursacht hat, dürften die Summe noch einmal deutlich erhöht haben. Dabei war schon nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom August 2020 deutlich geworden, dass kein Weg daran vorbeiführt, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 2015 umzusetzen. Aber die – auf welchen Motiven auch immer basierende – Hoffnung, als „Sonderfall“ mit eigener Rechtsauffassung anerkannt zu werden, war offensichtlich übermächtig.
Die Nichtannahme der Klage seitens des Bundesverfassungsgerichts2 macht überdeutlich, dass der Entscheidung von 2015 nichts hinzuzufügen ist: EIN PAUSCHALES KOPFTUCHVERBOT IST VERFASSUNGSWIDRIG! Ein Verbot muss auf einer konkreten Gefahr basieren, eine abstrakte Gefahr reicht dafür nicht aus. Eine konkrete Gefahr kann sich – dazu bedarf es keines Logikseminars – überhaupt nur manifestieren, wenn denn tatsächlich eine Lehrerin mit Kopftuch an einer Schule arbeitet. Alle Szenarien, die belegen sollen, dass die bloße Anwesenheit einer solchen Lehrerin eine Gefahr nicht nur heraufbeschwört, sondern sie unumstößlich gebiert, sind großes Kopfkino. Meist so dramatisch und mit Logikfehlern im Drehbuch, dass man dafür allenfalls die Goldene Himbeere erwarten darf. Ein Blick über den Tellerrand z. B. nach Nordrhein-Westfalen, das Berlin hinsichtlich der Vielfalt in seiner Bevölkerung in nichts nachsteht oder auch in ein beliebiges anderes Bundesland, hätte die Bedenkenträger vielleicht beruhigt, wenn es denn wirklich um logische Argumente ginge.
„Sollte es zu einer CDU-geführten Koalition mit der SPD kommen, gibt es für Lehrerinnen mit Kopftuch also allenfalls ein schwaches Licht am Ende des Tunnels.“
Daran darf nach wie vor gezweifelt werden, anders lassen sich die Reaktionen der Verbotsbefürworter auf die Abfuhr durch das Bundesverfassungsgericht kaum deuten und entsprechend gedämpft sind die Hoffnungen der Betroffenen auf eine tatsächliche Änderung der Situation. So erklärte Cornelia Seibeld, Sprecherin der CDU, sie verstehe das Richtervotum des Verfassungsgerichts als Aufforderung, das Gesetz rechtssicher fortzuentwickeln. Wie die unkommentierte Nicht-Annahme der Klage sich als etwas anderes interpretieren lässt, als die Aufforderung, sich endlich an die Entscheidung von 2015 zu halten, bleibt ihr Geheimnis. Was das Resultat dieser Fortentwicklung sein wird, daran lässt sie schon jetzt keinen Zweifel: „Es kann nicht geduldet werden, wenn religiöse Symbole wie das islamische Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden.“ Sprich: Wir werden etwas Kosmetik betreiben, aber prinzipiell alles dafür tun, die verfassungswidrige Praxis beizubehalten.
Wie das funktionieren kann, erläutert sie in einem Radiobeitrag: Die Rahmenbedingungen müssten so ausgestaltet sein, dass entsprechend der bisherigen Rechtsprechung Einzelfallentscheidungen möglich sind. Das klingt zunächst versöhnlich und gegen Einzelfallentscheidungen im Falle einer tatsächlich aufgetretenen, d. h., konkreten Gefahr, und innerhalb des Rahmens, den das Bundesverfassungsgericht 2015 dafür vorgegeben hat, ist nichts einzuwenden. Doch Seibeld und der Direktorin der Morgenstern-Schule, Karin Jehniche, die im gleichen Interview zu Wort kommt, schwebt da wohl anderes vor. Letztere erklärt lapidar: „Für meine Schule entscheide ich, dass es den Schulfrieden stört“ und auch Cornelia Seibeld dürfte wohl eher an Einzelfallentscheidungen anhand von Kriterien denken, die auf jeden Fall das „richtige“ Ergebnis liefern. Anders lässt sich das Tragen eines Kopftuches, das für sie prinzipiell ein „demonstratives zur Schau stellen“ ist, nicht verhindern.
„Seit achtzehn Jahren werden in Berlin nun schon qualifizierte kopftuchtragende Lehrerinnen mit staatlichem Segen daran gehindert, in ihrem Wunschberuf zu arbeiten.“
Sollte es zu einer CDU-geführten Koalition mit der SPD kommen, gibt es für Lehrerinnen mit Kopftuch also allenfalls ein schwaches Licht am Ende des Tunnels, denn auch Teile der SPD wollen am Neutralitätsgesetz in unveränderter Form festhalten. Die Weiterführung der bisherigen Koalition würde diesen Lichtschein immerhin etwas heller erstrahlen lassen, vielmehr jedoch nicht. Die Regierung hat viel Vertrauen verspielt, als sie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von 2020 einfach ignoriert und stattdessen auf Zeit gespielt hat.
Seit achtzehn Jahren – das klingt so unglaublich, wie es ist – werden in Berlin nun schon qualifizierte kopftuchtragende Lehrerinnen mit staatlichem Segen daran gehindert, in ihrem Wunschberuf zu arbeiten. Schon seit 2015 hätte diese diskriminierende Praxis gesichtswahrend ein Ende haben können, doch noch acht weitere Jahre daran festzuhalten und das unter dem Deckmantel der Neutralität, ist ein unwürdiges Spiel mit der Lebensplanung von gebildeten und hoch motivierten jungen muslimischen Frauen mit Kopftuch. Deutlicher kann man einer Gruppe nicht zeigen, dass ihre Interessen unwichtig sind und sie allenfalls ein Spielball politischer Interessen ist – positiv oder auch negativ dann adressiert, wenn es gerade passt.
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