Clemens Becker, Migazin, Sprache, Linguistick, Integration, Rassismus, Diskriminierung
Clemens Becker © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Kritischer Rückblick

Zwei Friedenskundgebungen, von denen eine keine war

Der Krieg in der Ukraine braucht eine konstruktive Debatte, ebenso wie all die anderen Kriege in der Welt. Parteipolitik auf Kundgebungen verbietet sich.

Von Donnerstag, 02.03.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 03.03.2023, 7:47 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Ich bin alles andere als ein Investigativjournalist. Ich bin nichts weiter als ein Kolumnist in einem Fachmagazin zu Migration und Rassismus, das ich schätzen gelernt habe. Doch es braucht nun wirklich keinen Investigativjournalismus, sondern nur eine ganz oberflächliche Betrachtung, um den Angriff des russischen Regimes auf die Ukraine einordnen zu können. Das macht die außenpolitische Debatte umso dramatischer. Die Tatsachen liegen auf der Hand. Vergessen sind die Angriffskriege, welche die aktuelle und die ehemalige Bundesregierung ignorier(t)en oder welche sie gar selbst unterstützt hat.

Nun gut, zumindest die Solidarität mit der Ukraine ist gegeben – sehr gut so! Vergangenes Wochenende fanden in sämtlichen Städten Kundgebungen zum Krieg in der Ukraine statt, so auch gleich zwei in meiner Heimatstadt. Doch eine der beiden war rundum eine moralische Katastrophe. Und zwar nicht grundsätzlich, sondern weil sie von der Jungen Union initiiert wurde – also dem Jugendverband einer Partei, die seit jeher immer wieder Kriegsverbrecher in aller Welt bestärkt hat und deren Parteichef Menschen aus der Ukraine „Sozialtourismus“ unterstellt hat, um am rechten Rand zu fischen. Betrachten wir die Profilierungsshow der Jungen Union, kommt hinzu, dass die lokale CDU-Vertretung nach dem 24. Februar mit einem rassistischen Antrag im Kreistag geglänzt hat.

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Die CDU hatte es wohl bitter nötig

Für Geflüchtete aus der Ukraine sollte demzufolge beantragte finanzielle Unterstützung unabhängig von der abschließenden Bescheidung des Antrags erfolgen, nicht jedoch für Geflüchtete anderer Herkünfte. Auf der Kundgebung wurden dann Manifeste für den Frieden mit ein paar oberflächlichen Worten in den Dreck gezogen. Und der friedensstiftende Leitgedanke Schwerter zu Pflugscharen ist für die selbsterklärten „Christdemokraten“ offenbar ein Graus, obwohl er der Bibel entstammt. Doch angesichts offenkundiger Ignoranz bis hin zu Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen hat die CDU solch eine Veranstaltung, mit der sie sich selbst reinwaschen und darüber hinaus im Vorbeigehen andere Parteien verunglimpfen kann, wohl bitter nötig.

Die Grünen beteiligten sich trotzdem an der Show – nach eigener Aussage lediglich, da sie selbst nicht über die Humanressourcen verfügten, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Dennoch liegt es nahe, dass sie die grundsätzlich gleiche Ablenkungstaktik verfolgten, denn die Versorgung mit Waffensystemen für Saudi-Arabien durch die Ampel-Regierung ist bekannt. Für alle hingegen, die in Bezug auf Außenpolitik integer sein wollen, schließt sich solch eine Veranstaltung komplett aus.

Keine Parteipolitik, das wünsche ich mir

Doch, wie erwähnt, es gab eine zweite Kundgebung. Und erfreulich war hingegen, dass diese andere Kundgebung, die nicht als Gegenveranstaltung initiiert wurde, fast ähnlich gut besucht war. Hier wurde keine Parteipolitik gemacht und keine Waffenlieferungen gefordert. Sie aber auch nicht durchweg für illegitim erklärt. Das Ziel, Solidarität mit den vom russischen Angriffskrieg Betroffenen (also auch nichtukrainischer Herkünfte) zu zeigen, wurde erreicht. Viele Ukrainer:innen waren gekommen. Tränen flossen, als eine junge Frau von ihrem Vater berichtete, der nicht nach Deutschland kommen konnte und nun in der Ukraine seine Heimat verteidigt. Einer der Veranstalter meinte: „Es ihnen hier angenehm zu machen, das ist unsere Möglichkeit beizutragen, dass sie den Krieg hinter sich lassen können“. Das ist eine Mammutaufgabe, der wir uns im Rahmen einer Solidargemeinschaft mit aller Kraft stellen müssen.

Und mein Wunsch für die kommenden Jahrestage von Angriffskriegen (dem 24. Februar und auch z. B. dem 26. März, dem Beginn des Jemenkrieges durch Angriffe Saudi-Arabiens) ist: echte Friedenskundgebungen, die parteipolitisch nicht genutzt werden, bei der die Stimme der Betroffenen im Mittelpunkt steht, egal ob sich diese für Waffenlieferungen an die Angegriffenen ausspricht oder ihre Ablehnung für verständlich hält. Ja, Letztere gibt es tatsächlich auch unter Ukrainer:innen! Eine Friedenskundgebung, auf der Menschen bestärkt werden, die ehrlich, ohne Perfidie und im toleranten Rahmen Friedensinitiativen als friedensstiftend erachten – solch eine echte Friedenskundgebung wünsche ich mir! Meinung

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