Clemens Becker, Migazin, Sprache, Linguistick, Integration, Rassismus, Diskriminierung
Clemens Becker © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Keine Illusion

Was können ehrenamtliche Sprachkurse leisten?

Das staatliche Sprachkursangebot umfasst nicht nur dröges Lernen. Dennoch gibt es etwas, das es nicht, sondern nur ehrenamtliche Sprachhilfe geben kann. Doch was kann Freiwilligenarbeit angesichts knapper Sprachkurse leisten?

Von Mittwoch, 15.02.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 15.02.2023, 14:16 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die Ampel-Koalition hat in ihrem Vertrag von Dezember 2021 Folgendes angekündigt: „Für eine schnelle und nachhaltige Arbeitsmarktintegration werden wir die auf den Integrationskursen aufbauenden Berufssprachkurse stärker fördern und die Mittel verstetigen.“ Wird das getan? Und vor allem, wie? Schauen wir es uns an.

Zunächst ein paar Hintergrundinfos: Im Jahr 2005 wurden bundesweit im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes staatliche sogenannte Integrationskurse eingeführt. Diese Kurse werden von zugelassenen Trägern umgesetzt. Seitdem wurden rund 57.000 Lehrkräfte für diese Kurse befähigt. Neben den Integrationskursen, die Sprach- und Wertevermittlung verbinden sollen, besteht das im Koalitionsvertrag benannte Angebot einer berufsbezogenen Deutschsprachförderung. Viele Unternehmen nennen einen hohen sprachlichen Praxisbezug parallel zur Beschäftigung im Unternehmen als Einstellungsanreiz. Die Verknüpfung von Sprache und Beruf, das heißt die direkte kontextbasierte Anwendung macht das Sprachelernen so effektiv.

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Man könnte aufgrund des verpflichtenden Charakters vermuten, diese Sprachkurse böten nur das Notwendigste. Doch sie sind durchaus engagiert. Man stellt sich mittlerweile individuell auf die Bedürfnisse der Lernenden ein, darunter berufsspezifisches Vokabular. Und man unterscheidet hier zwischen Sprachregistern, also z. B. Bildungs- und Alltagssprache. Das Lesen eines fachspezifischen Lieferscheines im Einzelhandel erfordert ganz andere Kenntnisse als der Umgang mit einer Fehlerbeschreibung in der Kfz-Mechatronik. In einem anderen Ansatz werden den Lernenden sogenannte Willkommenslotsinnen und -lotsen an die Seite gestellt. Sie unterstützen bei rechtlichen Fragen und vermitteln passende Unterstützungsangebote.

„Infolge der Corona-Pandemie wurden 11 Prozent der Integrations- und Sprachkurse abgebrochen und 73 Prozent unterbrochen.“

Das klingt alles sehr gut und engagiert. Das schlichte Problem: In den letzten Jahren wurde immer wieder von knappen finanziellen Mitteln für Sprachkurse und geringen Sprachkursangeboten berichtet. Auch die Willkommenslotsinnen und -lotsen berichten, es gäbe zu wenig Angebote. Die Förderung von Sprachkursen durch Ehrenamtliche wurde im Bundesland Sachsen im Mai 2021 gar gekürzt. Infolge der Corona-Pandemie wurden 11 Prozent der Integrations- und Sprachkurse abgebrochen und 73 Prozent unterbrochen.

Doch neue Regierungen eröffnen Möglichkeiten zu neuen Orientierungen. Wie eingangs präsentiert, hat die Ampel-Koalition hierzu Pläne. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) informiert allerdings auf Anfrage, dass es, trotz schon vorherigem Lehrkräftemangel, Pandemie sowie Geflüchteter und noch Flüchtender aus der Ukraine keinen Mangel an Sprachlehrkräften erkennt. Das Bamf weist in einer Kurzanalyse darauf hin, dass ein vorzeitiger Kursaustritt nicht per se einen erfolglosen Kursverlauf bedeutet. Die Teilnehmenden können auch nach dem vorzeitigen Verlassen des Kurses zu einem späteren Zeitpunkt in das Integrationskurssystem zurückkehren. Das mag sein. Ein Anzeichen, dass das Sprachkursangebot nicht zu gering ist, ist es allerdings auch nicht. Und durch das Chance-Aufenthaltsgesetz werden Tausende Zugang zu bundesfinanzierten Sprachkursen hinzukommen, die ihnen zuvor verwehrt wurden. Glücklicherweise muss man sagen, denn diese Menschen erhalten das, was sie so dringend benötigen, doch auch unglücklicherweise, denn, wie erkannt, sind die Ressourcen denkbar knapp und knapper. So ist man vor die Frage gestellt, welche Mittel man nutzen kann, um die Situation zu bewältigen. Wie wäre es denn mit der Freiwilligenarbeit?

„Man darf sich also keine Illusionen machen, das Ehrenamt könne, so engagiert man auch sein mag, die Integrationskurse unnötig machen.“

In einem Betrieb erhalten die Sprachkurs-Teilnehmenden eine sozialpädagogische Betreuung und eine fachliche Sprachausbildung. Die im hier Fokus stehenden ehrenamtlichen Sprachkurse werden hingegen von verschiedenen Institutionen angeboten, zum Beispiel von Universitäten, Wohlfahrtsverbänden, Vereine und Initiativen. Diese Kurse können allerdings – fachlicher und Einschätzung der ehrenamtlich Tätigen selbst – keine langjährige Ausbildung ersetzen. Sie sollten nicht dazu beitragen, dass entsprechende Schulungsmaßnahmen zu einer sprachpädagogischen Fachkraft ausbilden und sich als „dauerhafte Notlösung“ etablieren. Man darf sich also keine Illusionen machen, das Ehrenamt könne, so engagiert man auch sein mag, die Integrationskurse unnötig machen. Es kann Interaktionspartner:innen und Hilfestellungen im Alltag hervorbringen. Die ehrenamtlich Tätigen leisten also praxisorientierte, nicht fachliche Hilfe im alltäglichen Rahmen.

Ortswechsel vom Arbeitsplatz in die Freizeit. Was bei den staatlichen Integrationskursen die Willkommenslots:innen sind, sind wohl in ehrenamtlichen Sprachkursen die Tandempartner:innen. Beide geben Orientierungshilfe für Sprachelernende. Im Rahmen des Projekts „angekommen in deiner Stadt“ werden in mehreren Städten solche Tandems angeboten. Die Jugendlichen knüpfen dabei einer Untersuchung zufolge allerdings nur wenig Kontakt, von Dauer sind die Kontakte wohl nicht. Es zeigt aber etwas anderes: Die Jugendlichen bauen außerhalb des Projektes Kontakte auf. Die Projekte sind somit womöglich Stein des Anstoßes und sorgen dafür, dass die Jugendlichen das Aufnehmen von Kontakten erlernen. Ob diese dann von langfristiger Dauer sein werden, muss sich zeigen. Erfahrungsgemäß können aber auch innerhalb des Projekts gute Kontakte entstehen. In Gießen, Mittelhessen wurden im Rahmen von „angekommen“ Pat:innenschaften ins Leben gerufen, 30 an der Zahl. Man trifft sich mit internationalen Neuangekommenen, kocht zusammen, macht Aktivitäten unter freiem Himmel wie Wanderungen. Das Sprachelernen erfolgt ungezwungen, ganz nebenbei. Durch den sozialen Umgang eignet man sich so eine neue Sprache an.

„Solange man in der eigenen Community bleibt, gibt es kaum Fortschritte. Das heißt, da kann man Sprachkurse machen, wie man will.“

Die Flüchtlingshilfe Wetzlar in der Nachbarstadt von Gießen sieht in dem Potenzial der sozialen Integrationsfähigkeit einen klaren Vorteil gegenüber den staatlichen Sprachkursen. Die Leiterin meint, solange man in der eigenen Community bleibt, gibt es kaum Fortschritte. Das heißt, da kann man Sprachkurse machen, wie man will. Es gäbe einige bei ihnen, die bei der Volkshochschule ihr B1-Niveau erreicht haben, die Kenntnisse aber nicht anwenden. Die Frage dabei sei: Wie finde ich Deutsche, die mit mir reden wollen? Diese zu suchen, koste Mut, auch Fehler machen zu können. Einen solchen Rahmen möchte die Flüchtlingshilfe Wetzlar bieten. Auch das kontextbasierte Lernen ist hier wieder wichtig, nur dieses Mal im sozialen, nicht im beruflichen Rahmen. Auch hier wird beispielsweise ein Kochkurs angeboten. Der Kontext heißt dabei kochen und die Begriffe, die man nutzt, kann man nicht nur anfassen, sondern auch schmecken und damit hantieren.

In diesem sozialen Rahmen kann man sich auf einer ganz anderen Ebene begegnen, denn der nichtberufliche Rahmen steckt eine grundlegend andere Beziehungsebene ab. Im Endeffekt müssen Sprachkurse für Zugewanderte auch Beziehungsarbeit und Freundschaft heißen. Auf ehrenamtlicher Basis sind sie erste Anlaufstelle zum Kennen- und Sprachelernen und zum Abbau von Berührungsängsten. Trocken formuliert es eine wissenschaftliche Herangehensweise an das Thema aus dem Jahr 2017: „Das Hauptaugenmerk der Sprachhilfe [in Abgrenzung zu professionellen Sprachkursen] liegt daher einerseits auf der Wortschatzarbeit, die eine erste Teilhabe am neuen Gesellschaftssystem ermöglicht, Integration in die Gesellschaft unterstützt und die Zeit überbrückt, bis die geflüchteten Menschen in einem Sprachkurs aufgenommen werden können.“ In dieser Beschreibung – die zeitliche Überbrückung – versteckt sich zugleich ein weiterer Vorteil: Ehrenamtliche Sprachkurse sind viel flexibler, da ungebunden an Voraussetzungen. An einem Integrationskurs und einer Sprachförderung auf staatlicher Basis kann man erst teilnehmen, sobald eine Aufenthaltserlaubnis vorliegt. Und diese lässt bekanntermaßen häufig viel zu lange auf sich warten. Hier können die ehrenamtlichen Kurse in die Bresche springen, da sie sofort, ohne rechtliche Hürden loslegen.

„Die staatlichen Sprachkurse braucht es also. Und die ehrenamtlichen wohl auch.“

Die staatlichen Sprachkurse braucht es also. Und die ehrenamtlichen wohl auch. Letztere leisten eine Arbeit, die staatlichen Pendants offenbar eher nicht erbringen können – was sie unentbehrlich machen würde. Die Annahme lautet: Die staatlichen Berufs- und Integrationskurse integrieren in den Beruf, die ehrenamtlichen in die Gesellschaft. So gesehen braucht es beide Ansätze, denn beide leisten etwas, was der andere nicht kann. Ersetzen können sie einander demzufolge nicht. Es verbleibt der Eindruck: Die Bundesregierung ist nicht nur gut beraten, ihren eigenen Ansprüchen per Koalitionsvertrag gerecht zu werden und die auf Integrationskursen aufbauenden Berufssprachkurse stärker zu fördern. Sie sollte auch die ehrenamtlichen Sprachkurse beachten. Meinung

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  1. U.R-K sagt:

    Das Problem der Sprachvermittlung in Kursen, die durch das Arbeitsamt gefördert werden, ist ein Unterricht der das unterschiedliche Sprachniveau der Schüler gar nicht berücksichtigt. Ob Analphabeten da unterrichtet werden sollen, oder Leute mit einem Diplom, das wird nicht berücksichtigt. Auch das Tempo der Ausbildung wird für eine Klasse beibehalten, egal ob nur zwei oder 10 der Lernenden dann das Ziel erreichen. Da wird das dann so hingestellt, dass die Schüler die Unfähigen sind, aber nicht die Lehrer. Vertiefungslernen für diejenigen, die nicht mit dem Pensum der Klasse mitkommen ist nicht vorgesehen. Wenn z.B. eine normale deutsche Gesamtschule am Schuljahresende 50% der Schüler, oder sogar noch mehr nicht versetzen würde, dann würde man sich doch sicherlich auch den Lehrer mal genauer ansehen ob der überhaupt geeignet ist, und nicht sagen die Schüler sind selbst schuld, oder sogar dass sie kein Interesse an der deutschen Sprache hätten, weil sie sie als zu schwer empfinden. Unser System, das alle immer über denselben Kamm scheren will, versagt da auch.