Rassismus-Experten
Debatte über Silvester-Krawalle versachlichen
Die Debatte über die Silvester-Krawalle in Berlin ist nach Überzeugung voneinander unabhängiger Experten rassistisch und gefährlich. DeZIM-Experte Sinanoğlu fordert eine Versachlichung der Diskussion, die Beratungsstelle ReachOut nimmt auch die Polizei in die Pflicht.
Dienstag, 10.01.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 10.01.2023, 12:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Leiter des Rassismusmonitors beim Berliner DeZim-Institut, Cihan Sinanoğlu, hat zu einer Versachlichung der Diskussion über die Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr in der Silvesternacht aufgerufen. In der Debatte gebe es „Einordnungen, die ganz klar rassistisch sind“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“. Auch die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt sieht rassistische Muster in der Debatte.
Laut Sinanoğlu ist nach derzeitigem Kenntnisstand kein Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Böllerverhalten zu erkennen. Er rief dazu auf, zu untersuchen, welcher Gesellschaftsschicht die Täter angehörten und wie lange sie schon in Deutschland lebten. Es müsse auch nach ihren Motiven und ihren Erfahrungen mit der Polizei gefragt werden, sagte er unter Hinweis auf sogenanntes Racial Profiling. „Wir wissen noch viel zu wenig über die Silvesternacht. Einfache Antworten bringen uns da nicht weiter“, sagte der Leiter des Rassismusmonitors.
Experte: Jugendliche ohne Migrationshintergrund verhalten sich ähnlich
Sinanoğlu warnte davor, das Verhalten der Täter auf eine bestimmte Kultur oder Herkunft zurückzuführen: „Dann kann man nämlich nicht erklären, warum sich Jugendliche ohne Migrationshintergrund in ostdeutschen Dörfern oder westdeutschen Großstädten zum Teil ähnlich verhalten.“ Es gelte, pauschale Zuschreibungen zu vermeiden. In einer „postmigrantischen Gesellschaft“ müsse beim Thema Integration über alle Gruppen gesprochen werden, nicht nur über Zuwanderer. Nötig sei zunächst eine vernünftige Diagnose.
Kritik an der Silvester-Debatte kommt auch von der Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (ReachOut). Auch sie stellt die Frage, auf wen sich die Einsatzkräfte bei ihren Festnahmen konzentriert haben. „Inwiefern hat hier auch Racial Profiling eine Rolle gespielt?“, will die Beratungsstelle wissen. Männliche Jugendliche und junge Erwachsene, die als nicht-weiß gelesen werden, seien besonders häufig Opfer von Racial Profiling.
ReachOut: Polizei gab vorschnell verwirrende Zahlen raus
Die Diskussion ist nach Überzeugung der Beratungsstelle gefährlich und dürfe „nicht unterschätzt werden“. Ein trauriges Beispiel dafür sei der Anschlag in Hanau.
Kritik erntet auch die Polizei, die schnell und verwirrende Zahlen herausgegeben habe, „bevor eine seriöse Ermittlungsarbeit begann“. Die neuen Zahlen vom Wochenende seien deutlich niedriger. Zudem sei es auch in anderen Berliner Stadtteilen und in anderen Städten zu Auseinandersetzung mit Polizei und Rettungskräften gekommen. „Dies ist jedoch nur eine weitere Randnotiz, die in die rassistische Debatte zu Neukölln nicht so recht passen will“, erklärt ReachOut.
Expertin beklagt Herkunftsnennung nur bei Migranten
Neukölln habe rund 327.000 Einwohner, davon 153.000 mit einem sogenanntem „Migrationshintergrund“. „Es ist banal, dass die Menschen, die in Neukölln leben, auch in der Silvesternacht auf der Straße sind“, erklärt Sabine Seyb von ReachOut. Gleichzeitig so zu diskutieren, als seien Neuköllns Bewohner eine homogene Gruppe, sei „einfach absurd“.
In der sächsischen Kleinstadt Borna etwa seien „Sieg Heil“ schreiende Neonazis unterwegs gewesen. Sie hätten Böller angezündet und Polizistinnen angegriffen. „Eine bundesweite Empörung darüber bleibt aus“, beklagt Seyb. Auch in Hellersdorf seien Rettungskräfte mit Böllern angegriffen worden. Dort sei die Nationalität der Täter in der Polizeimeldung nicht genannt. Sowieso finde die Herkunft von Tätern „nur dann ausdrückliche Erwähnung, wenn es sich bei den Verdächtigen um Personen mit einer vermeintlichen Migrationsgeschichte handelt“, erklärt die ReachOut-Expertin weiter. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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