Keine Gerechtigkeit ohne Übersetzung
Hürden im Kampf gegen Kriminalisierung von Seenotrettung
Mit der Gerichtsverhandlung gegen die Crew des Seenotrettungsschiffs „Iuventa“ wird die Solidarität mit Flüchtenden in Italien weiter kriminalisiert. Die neuesten Entwicklungen reihen sich ein in Maßnahmen, die die italienische Regierung jüngst gegen die Ankunft von Flüchtenden ergriffen hat.
Von Theresa Becker Montag, 09.01.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.01.2023, 11:20 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Das Verfahren gegen die angeklagten Seenotretter:innen in Trapani auf Sizilien geht weiter. Den Angeklagten wird vorgeworfen, durch die Zusammenarbeit mit lybischen Schleppern, Menschen bei der unautorisierten Einreise nach Italien unterstützt zu haben. Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelte fünf Jahre lang mit teils fragwürdigen Methoden und eröffnete im Mai 2022 schließlich das Vorverfahren zur Gerichtsverhandlung. Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Beim Prozess kam es bisher immer wieder zu Verzögerungen und Termine wurden verschoben, weil es vonseiten der Staatsanwaltschaft zu diversen Verfahrensfehlern kam. Darüber und weitere Schritte, die ein faires Verfahren sicherstellen sollen, wurde kurz vor Weihnachten (19. Dezember 2022) in Trapani entschieden. Danach haben alle Angeklagten das Recht, zusätzliche sprachliche Unterstützung zu erhalten, um eine aktive Partizipation im Verfahren sicherzustellen. Nachdem eine Vernehmung aufgrund von Verständigungsproblemen abgebrochen werden musste, hatte die Verteidigung dahingehende Unterstützung beantragt.
Rechtsdolmetscher:innen beklagen europaweites Problem
Darüber hinaus erlaubte der Richter der Verteidigung, Audioaufnahmen als Beweismaterial vorzulegen, die vorsorglich während der freiwilligen Befragung eines Angeklagten gemacht wurden. Die Staatsanwaltschaft hingegen versuchte, die Zulassung der Audiodatei des Verhörs zu verhindern. Nicola Canestrini, Anwalt der Angeklagten, begrüßt die Entscheidung: „Es kann nun endlich die mangelnde Qualität, der von Polizei und Staatsanwaltschaft eingesetzten Dolmetscherinnen und Dolmetscher überprüft werden. Diese Audiobeweise werden belegen, dass die Staatsanwaltschaft gegen elementare Verfahrensregeln verstoßen hat.“ Laut Canestrini sind Übersetzungsprobleme kein Einzelfall: „Die Unfähigkeit, ein grundlegendes Recht auf ein faires Verfahren, wie das des Dolmetschens zu gewähren, ist ein systemischer Fehler im italienischen Rechtssystem, der alle ausländischen Angeklagten betrifft.“
Nach Ansicht des Europäischen Verbands der Rechtsdolmetscher:innen und -übersetzer:innen (EULITA) handelt es sich dabei sogar um ein europaweites Problem: „Die miserable Vergütung hält qualifizierte Dolmetscher von den Gerichtssälen fern, mit der Folge, dass Anhörungen unterbrochen werden müssen, Zeit verloren geht und die Kosten in die Höhe schnellen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich die EU-Mitgliedstaaten nicht an die Bestimmungen über die Ausbildung und die Qualität von Gerichtsdolmetschern und -übersetzern und letztlich an das Recht von Verdächtigen und Angeklagten halten, die Sprache des Gerichtsverfahrens verstehen zu können und auch verstanden zu werden.“
Kampagne: #NoTranslationNoJustice
Nach ihrer eigenen Erfahrung mit der mangelhaften Übersetzung im Gericht von Trapani startete die Iuventa-Crew die Kampagne #NoTranslationNoJustice in den sozialen Medien, um auch anderen Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, ihre Erfahrungen zu veröffentlichen.
Im jüngsten Verhandlungstermin im Dezember hat sich nun auch die neue italienische Regierung aus dem Mitte-Rechts-Bündnis zu Wort gemeldet. Sowohl das Büro der amtierenden Premierministerin Giorgia Meloni als auch das italienische Innenministerium kündigten an, in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten zu wollen. Sie vertreten nach eigener Aussage den finanziellen und moralischen Schaden, den das italienische Volk durch die Aktivitäten der Seenotretter:innen zu verzeichnen habe.
Rechtspopulistische Regierung überrascht nicht
Kathrin Schmidt, Angeklagte der Iuventa Crew zeigt sich wenig überrascht: „Die Tatsache, dass die italienische Regierung offen behauptet, durch unsere Aktionen als Menschenrechtsaktivisten, die Menschen auf See gerettet haben, einen finanziellen und immateriellen Schaden erlitten zu haben, ist sehr bezeichnend für einen EU-Mitgliedstaat und in der Tat beschämend. Die Ermittlungen und der Prozess gegen uns waren immer politisch motiviert. Jetzt wurde dies offen aufgedeckt.“ Das Gericht muss jetzt über die Zulassung der Nebenkläger entscheiden.
Das Einschreiten der Regierung kommt wenig überraschend, betrachtet man die Maßnahmen und den harten Umgang mit Flüchtenden und deren Unterstützer:innen, die sich schon vor dem deutlichen Rechtsruck im italienischen Parlament mit der Wahl im letzten September sukzessive abzeichneten. Giorgia Meloni kündigte schon vor der Wahl an, Flüchtende bereits auf See blockieren zu wollen. Kurz nach der Übernahme der Regierungsverantwortung warteten über 1.000 Menschen tagelang auf die Zuweisung eines sicheren Hafens. Daraufhin wurde ein Dekret erlassen, welches den Behörden die Selektion der Geflüchteten an Bord der Rettungsschiffe ermöglichen sollte. Expert:innen zufolge ist das Dekret rechtswidrig.
Sichere Häfen, die weit entfernt liegen
Im weiteren Verlauf von Rettungen begann Italiens Regierung sodann erstaunlich schnell, Rettungsschiffen sichere Häfen zuzuweisen. Dabei wurde jedoch auch schnell ein neues Muster deutlich: Die Häfen liegen weit entfernt von der Such- und Rettungszone im zentralen Mittelmeer und bedeuten oft eine tagelange Überfahrt gen Norden durch Wellen, Wind und winterliche Temperaturen. Dieser bewusste Abzug der Schiffe aus der Such- und Rettungszone schaffe ein Vakuum und eine erhöhte Todesrate auf dem Mittelmeer. Zudem sei er rechtswidrig, beklagen Seenotrettungsorganisationen. Am 2. Januar hat die italienische Regierung zudem ein Dekret unterzeichnet, das NGOs anweist, nach jeder Einzelrettung einen sicheren Hafen anzusteuern. „Das italienische Dekret verstößt gegen internationales Seerecht, die Menschenrechte und europäisches Recht und sollte daher eine starke Reaktion der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, der europäischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen hervorrufen“, fordern Seenotrettungsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung.
Laut IOM sind im Jahr 2022 über 2.000 Geflüchtete im Mittelmeer gestorben oder werden vermisst. Die Rate für aus Seenot gerettete Menschen durch NGOs liegt nur bei circa 11 Prozent im Vergleich zu den in Italien verzeichneten Gesamtankünften über den Seeweg. Trotzdem werden zivile Seenotrettungsaktivitäten von staatlicher Seite kriminalisiert und eingeschränkt.
Hunderte Gerichtsverfahren gegen Helfer
Mehrere Anklagen gegen Seenotretter:innen wurden in den vergangenen Jahren in letzter Instanz fallen gelassen. Nun muss sich die italienische Justiz in diesem (vorerst?) letzten Gerichtsprozess positionieren und Haltung zeigen. Abzuwarten bleibt, inwieweit das Mitte-Rechts-Bündnis in italienischer Regierungsverantwortung Einfluss auf den Prozessverlauf nehmen wird.
Während die Iuventa-Crew in ihrem Gerichtsprozess große mediale Aufmerksamkeit und rechtliche Unterstützung erfährt, gibt es hunderte Gerichtsverfahren wegen Beihilfe zu unautorisierter Einreise gegen Menschen mit Fluchterfahrung an den EU-Außengrenzen. Diese werden oft isoliert und verfügen über kein unterstützendes Netzwerk. Sie werden fast immer zu hohen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt und es gibt kaum Informationen über sie. Die Iuventa-Crew kämpfe auch für sie, so Angeklagter Sascha Girke: „Es geht nicht nur um uns, die europäischen Seenotretter:innen, es geht um alle, die für Flüchtlingsrechte kämpfen oder flüchtende Menschen in irgendeiner Weise unterstützen.“ (mig/thbe) Aktuell Panorama
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