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Berthe Obermanns, Migazin, Menschenrechte, Frauen, Recht, Juristin, Rechtsanwältin
Berthe Obermanns © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Richtungswechsel

„Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein“

Wer die nationalistischen Fratelli d’Italia um Giorgia Meloni als „Postfaschisten“ bezeichnet, verharmlost die Gefahr, die von ihnen ausgeht.

Von Mittwoch, 12.10.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 11.10.2022, 16:13 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Nur zwei Wochen nachdem in Schweden die rechtsradikalen Schwedendemokraten, deren Gründung im Jahr 1988 auf Nazi-Gruppen, Skinheads sowie rassistische Kampforganisationen zurückgeht, zur zweitstärksten politischen Kraft gewählt wurden, erreichte der Rechtsruck auch Italien; in noch deutlicherem und beängstigenderem Ausmaß.

Bei der dortigen Parlamentswahl wurden die Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) um Giorgia Meloni stärkste Kraft. Und obwohl mittlerweile bekannt sein dürfte, dass die größte Gefahr im Umgang mit Faschismus die Verharmlosung ist, werden die Fratelli d’Italia immer wieder als „Postfaschisten“ bezeichnet. Damit haben die Brüder Italiens quasi ihre eigene Bezeichnung erhalten. Ein neues Wort für ein neues Phänomen? Ein neues Wort als Indikator für gesellschaftlichen Wandel?

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1929 stand das Wort „Faschismus“ zum ersten Mal im Duden – sieben Jahre, nachdem die italienische Partito Nazionale Fascista (PNF) unter Benito Mussolini 1922 in Italien an der Regierungsbildung beteiligt war. „Faschismus“ war eine Eigenbezeichnung des PNF und leitete sich vom italienischen Wort „fascio“ ab, was so viel bedeutet wie „Bündnis“. Heute wird der Begriff laut Duden definiert als „eine nach einem Führerprinzip organisierte, undemokratische, rassistische, nationalistische Ideologie bzw. Staatsform“.

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Und „Postfaschismus“? Den Weg in den Duden hat der neue Begriff noch nicht gefunden, allerdings existiert seit dem 24. September 2022, also seit dem Vortag der italienischen Parlamentswahlen, ein kurzer Wikipedia-Eintrag, der den Postfaschismus als politische Strömung bezeichnet, „die aus dem überwundenen historischen Faschismus hervorging und ihre Wurzeln in diesem Erbe sieht, ohne aber die existierende demokratische Ordnung umstoßen zu wollen“. Man könnte also sagen, dass es sich bei den Postfaschisten um „demokratische Faschisten“ handelt. Doch trifft dies zu? Und ist dies überhaupt möglich?

„Die Fratelli d‘Italia stehen in der Tradition des italienischen Faschismus von Benito Mussolini, eine Abgrenzung findet nicht statt.“

Wirft man einen Blick nach Italien, wird schnell deutlich, dass der Unterschied zwischen Faschismus und Postfaschismus verschwindend gering oder aber schlicht nicht existent ist. Die Fratelli d‘Italia stehen in der Tradition des italienischen Faschismus von Benito Mussolini, eine Abgrenzung findet nicht statt. Dies wird von bürgerlicher Seite zuweilen als „mangelnde Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ gedeutet, doch diese Annahme ist schlicht falsch. Meloni hat ein klares Verhältnis zu dieser Vergangenheit; nur leider kein kritisches.

Die Fratelli scheuen Bekenntnisse zum italienischen Faschismus keineswegs – weder auf symbolpolitischer Ebene, was sich beispielsweise an gemeinsamen Auftritten mit der Enkelin Mussolinis zeigt, noch in Inhalt und Sprache. So sagt Giorgia Meloni von sich selbst, „ein entspanntes Verhältnis zum Faschismus“ zu haben. Genau dies macht sich auch an ihrer Politik, an ihren Vorstellungen und ihrer Kommunikation bemerkbar. So benutzt sie beispielsweise immer wieder das rhetorische Element der Ja-Nein-Gegenüberstellung: „Ja zur natürlichen Familie, Nein zur LGBTQ-Lobby. Ja zu christlichen Prinzipien, Nein zu islamistischer Gewalt. Ja zu sicheren Grenzen, Nein zu Masseneinwanderungen. Ja zu unseren Mitbürgern, Nein zur internationalen Finanzwelt. Ja zur Unabhängigkeit der Völker, Nein zu den Bürokraten in Brüssel.“

„Es geht um die Ablehnung von Unbekanntem, es geht um Islamfeindlichkeit, um die Aufrechterhaltung des christlichen, patriarchalen Familienbildes und darum, Sündenböcke zu erschaffen.“

Allein in diesem Auszug finden sich die Kernelemente einer faschistischen Grundhaltung: Zunächst zählt dazu die Behauptung, nur die Ehe zwischen Mann und Frau und damit die auf einem patriarchalen Weltbild beruhende „Normfamilie“ sei natürlich – was zugleich die Unnatürlichkeit von LGBTTQIA*-Personen unterstellt. Die Gegenüberstellung von christlichen Prinzipien mit islamistischer Gewalt (und nicht etwa mit muslimischen Prinzipien) ist ein leicht zu durchschauender rhetorischer Trick, der aufzeigt, worum es geht: Es geht um die Ablehnung von Unbekanntem, es geht um Islamfeindlichkeit, um die Aufrechterhaltung des christlichen, patriarchalen Familienbildes und darum, Sündenböcke zu erschaffen. Die ebenfalls erwähnte „internationale Finanzwelt“ ist ein antisemitischer Begriff, der unterstellt, reiche und mächtige Hintermänner steuerten im Rahmen einer Verschwörung die Welt.

In den Aussagen Melonis finden sich damit beinahe alle Elemente des Faschismus: Der Hass auf alles Schwache, die Übervereinfachung der Welt, die Ablehnung von Diversität, der Traditionenkult, die Konstruktion von Sündenböcken und Feinden, ein autoritärer Umgang mit Demokratie und nicht zuletzt: der Kampf. Dieser Kampf richtet sich in erster Linie gegen den Feind im Innern. Und dieser Feind heißt: die freie, vielfältige und offene Gesellschaft. Der Faschismus der Fratelli d’Italia will damit zurück zu einer Welt, in der es klare Feindbilder gibt, und vor allem: unumstößliche, naturgegebene Wahrheiten.

„Die Wahlergebnisse in Italien und Schweden machen deutlich, wie groß der Zulauf zu faschistischen Parteien aktuell ist.“

All dies ist schlicht und einfach: Faschismus. Nichts anderes. Wer nun stattdessen von einem „Postfaschismus“ spricht, der beschönigt, verherrlicht, verharmlost. Denn Sprache schafft Bewusstsein – und wer den Faschismus leugnet, dem wird es leichter fallen, sich ihm anzuschließen oder ihm Anhänger zu verschaffen. Genau wie der Trumpismus in den USA lange Zeit als Populismus (und nicht als Faschismus) bezeichnet wurde, wird nun von einem Postfaschismus gesprochen und damit indirekt suggeriert, der Faschismus sei vorbei. Das ist er nicht. Die Wahlergebnisse in Italien und Schweden machen vielmehr deutlich, wie groß der Zulauf zu faschistischen Parteien aktuell ist.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Eine der Ursachen ist sicherlich, dass die westlichen, liberalen Demokratien auf einem rassistischen, kolonialistischen, antisemitischen und zutiefst patriarchalen Fundament errichtet wurden, das nicht lediglich dadurch verschwindet, dass eine Verfassung eingeführt wird. Vielmehr bleiben die Grundannahmen von „Wir gegen die Anderen“, von Stärke, überzogener Männlichkeit, von der Gefahr, die von allem Unbekannten ausgeht, bestehen, wenn auch im Verborgenen. Doch alles, was im Innern angelegt ist, alles, was in der Gesellschaft schwelt, kann irgendwann hervorbrechen. Häufig braucht es dafür auch gar nicht allzu viel. Jedes (tatsächliche oder vermeintliche) gesellschaftliche Problem kann dazu führen, dass diese Denkweisen an die Oberfläche treten und sich ausbreiten.

„Der Sozialdarwinismus, in diesem Fall also die Annahme, das eigene Volk durch die Entfernung der Schwachen zu stärken, ist eine der zentralen faschistischen Forderungen überhaupt.“

In Italien war eines dieser vermeintlichen Probleme die Coronapolitik. Italien wurde besonders hart von Pandemie getroffen; entsprechend hart waren verständlicherweise auch die getroffenen Maßnahmen. Doch mit ihnen wuchs die Zahl der Coronaleugner, der Impfgegner, der Verschwörungstheoretiker. Diese fühlten sich in ihrer Freiheit eingeschränkt und waren nicht bereit, ihren gewohnten Alltag für das Leben von Schwächeren zu opfern – Tendenzen, die es auch hierzulande gibt und die eine nicht zu unterschätzende Gefahr bergen. Denn der Sozialdarwinismus, in diesem Fall also die Annahme, das eigene Volk durch die Entfernung der Schwachen zu stärken, ist eine der zentralen faschistischen Forderungen überhaupt.

Vermutlich wäre der Stimmenzuwachs für die Fratelli d’Italia ohne die Pandemie nicht ganz so massiv ausgefallen. Denn fest steht: Mit den Coronaleugnern, den Anhängern wirrer Verschwörungstheorien, den Maßnahmen- und Impfgegnern gewannen die Fratelli d’Italia Wähler, für die die Wahl einer faschistischen Partei zuvor undenkbar gewesen wäre.

Ein weiterer Grund für den Wahlsieg: die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Italien, sondern auch für Schweden. Schweden galt lange Zeit als „ideale Demokratie“, als fürsorglicher Wohlfahrtsstaat, als die „heile Welt“ Europas. Leider entspricht dieses Bild aber nicht der Realität der vergangenen Jahre. Denn auch in Schweden bestimmten die Folgen der Finanzkrise mehr und mehr das Leben aller. Die Privatisierung erreichte die Wurzeln der Gesellschaft, insbesondere Schulen wurden massiv privatisiert. Der Reichtum konzentrierte sich auf eine kleine Spitze der Bevölkerung. Der Markt entschied über beinahe sämtliche Lebensbereiche.

Und nur zur Erinnerung: Die Wirtschafts- und Finanzkrise wurde in erster Linie durch radikale Deregulation, durch Spekulation, durch Macht- und Gewinnstreben hervorgerufen. Und was war die „Lösung“? Den Verursachern zu helfen, während alle anderen die Rechnung bezahlen mussten – eine massive Umverteilung von unten nach oben. Durch die Niedrigzinsen wurden die Reichen reicher, die anderen ärmer. Dies führte zu Angst und Anspannung; aber auch zu Aggression und Hass.

„Der neue Faschismus ist also – zumindest auch – eine Folge der Finanzkrise, ein Versagen des Neoliberalismus.“

Der neue Faschismus ist also – zumindest auch – eine Folge der Finanzkrise, ein Versagen des Neoliberalismus. Dass er so großen Zulauf erfährt, liegt daher auch daran, dass er sich als antikapitalistisch gibt: Er wendet sich gegen die „konsumistische Versklavung“, wie Meloni es bezeichnet. Er setzt auf Abschottung, und zwar sowohl gegen globalen Handel als auch gegen jede Form von Migration. Beides macht ihn für einen Teil der Bevölkerung attraktiv; es macht ihn aber nicht weniger gefährlich.

Wir sollten uns bewusst machen, dass auch hierzulande die Folgen der Krise spürbar sind, dass auch hierzulande Verschwörungstheoretiker Hand in Hand mit Faschisten und bürgerlichen Coronaleugnern, Impf- und Maßnahmengegnern gegen die Regierung demonstrieren, dass die Inflation die Kluft zwischen reich und arm noch verstärken wird, dass auch hierzulande der Faschismus wieder ausbrechen kann. Gerade deshalb ist es wichtig, hinzuschauen, wachsam zu sein – und vor allem: die Dinge beim Namen zu nennen. Die Fratelli d’Italia sind keine Postfaschisten, sondern Faschisten. Und um es mit dem Musiker Danger Dan zu sagen: „Faschisten hören niemals auf, Faschisten zu sein.“ Meinung

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