Das Gästezimmer
Der Geist Mussolinis geht in Italien um
Ist ein Land normal, in dem Pilgerreisen zu Mussolinis Grab toleriert werden? Ist ein Land normal, in dem die Nachfahren eines faschistischen Diktators im Parlament sitzen? Scheinbar ja.
Von Francesca Polistina Montag, 13.05.2019, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 15.05.2019, 12:14 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es gibt einen Spruch, der in Italien immer wieder zu hören ist, wenn die Korruption, die Ineffizienz des Staatsapparats oder auch die Dreistigkeit bestimmter Politiker an die Oberfläche kommt. Und zwar, dass Italien kein normales Land sei, sondern eines, wofür man zurecht von „Sonderweg“ sprechen könnte. Dieser Sonderweg zeigt sich vor allem im Umgang mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere des 20. Jahrhunderts.
Ist ein Land normal, in dem Pilgerreisen zu Mussolinis Grab toleriert werden? Ist ein Land normal, in dem die Nachfahren eines faschistischen Diktators im Parlament sitzen? Offenbar ja, zumindest scheint ein großer Teil der Bevölkerung so zu denken. Denn Normalität ist ein Begriff, der sich ständig ändert und entwickelt: Verhalten und Aussagen, die vor wenigen Jahrzehnten oder sogar Jahren als öffentlich inakzeptabel galten, weil zu rechtsextremistisch und nationalistisch, gehören heute zur Alltagsberichterstattung.
Man kann sich die eigene Geschichte, als Staat oder als Familie, nicht aussuchen. Man kann aber wählen, wie man mit ihr umgeht und wen man ehrt oder tadelt. Caio Giulio Cesare Mussolini, der Urenkel des Duce, kandidiert jetzt für das europäische Parlament mit einem klaren Statement: „Ich werde mich nie für meine Familie schämen“, sagte er neulich der Tageszeitung Corriere della Sera. Seine Cousine Alessandra ist ebenfalls Politikerin und saß schon mehrmals im italienischen sowie im europäischen Parlament. In den neunziger Jahren, als sie zum ersten Mal in die Abgeordnetenkammer einzog, betrachtete man ihre Wahl als ein folkloristisches Ereignis und nicht, wie der Historiker Sergio Luzzatto einmal schrieb, als ein beunruhigendes Signal der Vitalität der extremen Rechte – schließlich seien die Italiener „brava gente“, nette Menschen also, die nichts Böses vorhaben und für die der Faschismus nur ein kleiner historischer Zwischenfall (andere würden von „Vogelschiss“ sprechen) war.
Dass nun der letzte Sprössling der Mussolini-Dynastie für die anstehende Europa-Wahl kandidiert, überrascht deshalb nicht – auch nicht die Tatsache, dass sein Nachname dabei eine große Rolle spielte. Denn Caio Giulio Cesare hat keinerlei politische Erfahrung, ist im Ausland geboren und aufgewachsen und wohnt seit mehreren Jahren in Abu Dhabi: seine Kandidatur für die nationalkonservative Partei Fratelli d’Italia scheint mehr mit seinem berühmten Vorfahren als mit seiner Qualifizierung zu tun.
Wie erklärt sich das? Wie in anderen europäischen Ländern auch, bemühen sich italienische Politiker aus dem Rechten und Mitte-Rechten Spektrum seit langem – insbesondere seit dem Anfang der Berlusconi-Ära im Jahr 1994 – rechtsextremistische Positionen herunterzuspielen und zu enttabuisieren. Der Rechtsextremismus, nun mit Anzug und Krawatte anstatt mit Schwarzhemd und Schlagstock, wurde somit rehabilitiert. Er wurde legitimiert und begann schließlich, sich wieder als Protagonist des politischen Lebens zu profilieren (man denke an die Partei Alleanza Nazionale, Erbin der neofaschistischen Partei MSI). Der Comeback geschah natürlich nicht von heute auf morgen, sondern langsam Schritt für Schritt, denn der Gewöhnungsprozess funktioniert besser in kleinen, verträglichen Dosen – und am Ende merkt man gar nicht mehr, wie weit schon die Grenze verschoben worden ist.
Die aktuelle Regierungskoalition, die mit der Lega eine nationalistische Partei an der Macht sieht, hat den Rechtsruck also nicht initiiert, wohl aber beschleunigt. Innenminister Matteo Salvini, der aktuell starke Mann der italienischen Politik, nutzt jede Gelegenheit, um seine Sympathie gegenüber den neofaschistischen Bewegungen anzudeuten. Da die Faschismus-Verherrlichung in Italien strafbar ist und eine offene Parteinahme (noch) zu gewagt wäre, betreibt er eine typische Symbolpolitik – etwa, wenn er während einer Wahlkundgebung in einer für Mussolini sehr wichtigen Stadt seine Rede ausgerechnet auf dem Balkon hält, auf dem damals eben der Duce sprach. Oder er versucht den Antifaschismus zu diskreditieren, indem er den Tag der Befreiung, einen in Italien gesetzlichen Feiertag, als „Derby zwischen Faschisten und Kommunisten“ bezeichnet.
Gleichzeitig verbreitet er das Credo, welches schon lange wie ein Gespenst in Italien umgeht, dass Mussolini „auch gute Dinge getan hat“, wie zum Beispiel die „Einführung des Rentensystems“ und die „Trockenlegung großer Sumpfgebiete“. Dabei ist er nicht allein: auch Antonio Tajani, Präsident des europäischen Parlaments und Parteikollege von Silvio Berlusconi, behauptete neulich in einem Radiointerview, Mussolini habe auch was Positives getan (um sich kurz danach bei den Journalisten zu beschweren, dass sie seine Wörter instrumentalisiert hätten).
Wie weit wird man noch mit der Rehabilitierung Mussolinis und allgemein des faschistischen Denkens gehen? Schwierig zu sagen, vor allem wenn man bedenkt, dass beinahe alle europäischen Länder vom Phänomen betroffen sind. In den letzten Tagen haben viele Schriftsteller und Intellektuelle, und anschließend auch einige Politiker, gegen die Teilnahme eines faschistischen Verlages an den Salone del libro, Italiens wichtigster Buchmesse, protestiert und zum Teil boykottiert – was dazu geführt hat, dass der Verlag letztendlich aus der Veranstaltung ausgeschlossen wurde. Ob das eine einzelne Episode im kulturellen Leben des Landes bleiben wird, ist offen. Aber immerhin hat man die Stimme erhöht. Man hat gesehen, dass nicht nur die Rechten laut sein können. Und man hat letztendlich sogar einen kleinen Kampf gewonnen. Aktuell Meinung
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