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Christiane Carstensen © privat, Zeichnung: MiG

Sprachhintergrund

Und wer hat´s gemacht?

100.000 Ukrainer lernen in Integrationskursen Deutsch, verkündet das Bamf stolz. Dabei sind wir es, die Lehrkräfte, die in Krisenzeiten schnell und flexibel reagieren - und ein paar Ideen haben, wie es noch besser ginge.

Von Donnerstag, 08.09.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.09.2022, 21:38 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die bundesdeutsche Presse vermeldet dieser Tage, dass mittlerweile 100.000 Ukrainer in Integrationskursen Deutsch lernen. Das ist großartig und wir freuen uns. Wir, Lehrende an Integrationskursen, hätten uns noch mehr gefreut, wenn man nicht nur die Pressemitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geteilt hätte, sondern auch mal mit Lehrkräften und Sprachkursträgern gesprochen hätte. Wir sind es, die in Krisenzeiten schnell und flexibel reagieren und dabei zum Teil über unsere finanziellen und persönlichen Grenzen gehen müssen. Leider werden wir selten in der Berichterstattung sichtbar. Und ein paar Ideen, wie es noch besser ginge, hätten wir auch.

Die Sprachkursangebote des Bundes sind seit 2005 zu Recht ein Erfolgsmodell und der gesicherte Rahmen, der dafür zur Verfügung gestellt wird, ermöglicht es uns, schnell und verlässlich, gute Angebote bereit zu stellen. Die Kurse selbst bereiten uns keine Sorgen, allerdings sehen wir in der Steuerung des Bundes einen gewaltigen Reformbedarf, der im öffentlichen Diskurs, aber auch in der Politik ignoriert wird.

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Die Sprachkursträger – ob VHS, privater Träger oder kleine Bildungsvereine – bauen derzeit ihr Angebot aus, um Geflüchtete aus der Ukraine mit Sprachkursen zu versorgen, aber viele gehen damit weit über ihre persönlichen und finanziellen Grenzen hinaus. Die Burn-out-Quote ist in unserem Beruf gefühlt sehr hoch, die Finanzdecken sind knapp. Eine Erweiterung der Haushaltsmittel, um das Mehr an Kursen finanzieren zu können, darf aber nicht die einzige Unterstützung sein.

Die Überforderung der Praxis zeigt sich in unzähligen unbezahlten Überstunden, zum Beispiel bei den Fachbereichsleitungen, die diese Kurse koordinieren und manchmal auch nur noch verwalten. Diese Überbelastung resultiert aus einer Bürokratisierung der Kurse, die sich verselbstständigt und vom eigentlichen Arbeitsauftrag abgekoppelt hat. Eine gute fachliche Betreuung der Kurse, der Lehrkräfte und Teilnehmenden ist im Arbeitsalltag mancher Fachbereichsleitung kaum noch denkbar. Eine Personalaufstockung ist oft nicht möglich, da die Kursfinanzierung sehr knapp bemessen ist. Außerdem agieren viele Träger vorsichtiger, da der Bund mehrmals im laufenden Prozess elementare Rahmenbedingungen verschlechtert hat, so dass ein betriebswirtschaftliches Planen nur unmittelbar auf Sicht möglich ist.

„Das Bamf hat die Integrations- und Berufssprachkurse bürokratisch so bewegungsunfähig eingewickelt, dass am Ende keiner der Anbieter mehr sicher sein kann, ob er den Kurs am Ende kostendeckend abrechnen kann oder aufgrund von simplen Formfehlern mit nachträglichen finanziellen Kürzungen rechnen muss.“

Wir haben in den Integrations- und Berufssprachkursen eine hohe Differenzierung nach verschiedenen Kursformaten, allerdings suggeriert das eine Flexibilität, die sich nicht in der Umsetzung zeigt. Das Bamf hat die Integrations- und Berufssprachkurse bürokratisch so bewegungsunfähig eingewickelt, dass am Ende keiner der Anbieter mehr sicher sein kann, ob er den Kurs am Ende kostendeckend abrechnen kann oder aufgrund von simplen Formfehlern mit nachträglichen finanziellen Kürzungen rechnen muss. Um keine Fehler zu machen, müsste man im Gegenzug auf ein funktionierendes Informationssystem oder Wissensmanagement des Sprachkursprogrammes zurückgreifen können. Dieses steht uns leider nicht mal im Ansatz zur Verfügung.

Die enger werdenden Korridore haben auch Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts. Ein kleines Beispiel sind die Exkursionen. Gesetzlich haben wir zwar die Möglichkeit, in den Kursen mit den Teilnehmenden eine Exkursion zum benachbarten Wochenmarkt oder auch nur zum nächsten Fahrkartenautomaten zu unternehmen. Faktisch ist dies unter den gegebenen bürokratischen Anforderungen allerdings kaum noch umsetzbar.

Lehrkräfte verlassen den Arbeitsbereich zunehmend. Die Presse lobte den Bund, dass während der Pandemie die Umstellung der Integrationskurse in den virtuellen Raum erfolgreich war. Auch das war nur erfolgreich, weil Lehrkräfte in dieser Zeit deutlich über ihre Grenzen gingen. Sie mussten sich während der Pandemie nicht nur um ihre zumeist freiberufliche Existenz und das Homeschooling sorgen, sondern sich parallel das digitale und didaktisch-methodische Rüstzeug weitgehend eigenständig erarbeiten. Es gab für sie in der heißen Phase seitens des Bamf keine spezifischen Fortbildungsangebote, keine Veröffentlichungen zu best-practice, sondern im Gegenteil – wie auch für die Träger, – ein Informationsvakuum.

Ein Kompetenzzentrum oder ein unterstützender Think-Tank, die Lehrkräfte zeitnah und bedarfsorientiert unterstützen? Fehlanzeige. Es gibt mit der IQ-Fachstelle „Berufsbezogenes Deutsch“ immerhin ein hochqualifiziertes, aber kleines Spartenangebot, das leider Ende des Jahres als befristetes Projekt ausläuft.

„Viele unserer Kollegen verlassen derzeit den Arbeitsbereich, obwohl es für sie ein Leidenschaftsberuf ist.“

Erschwerend kam hinzu, dass selbst die Kollegen mit einem Master in „Deutsch als Zweitsprache“ parallel zu den ohnehin anstrengenden Anforderungen während der Pandemie eine berufsbegleitende und unbezahlte Pflichtfortbildung über 120 Stunden absolvieren mussten. Bei aller Wertschätzung für Fortbildung – unterstützende Personalpolitik in Zeiten von Fachkräftemangel sieht anders aus. Das geht besser.

Nicht nur in den Rahmenbedingungen, sondern auch in der Qualitätssicherung sehen wir Reformbedarf. Lehrkräfte müssen im Unterricht häufig asynchrone und in verschiedenen Behörden geplante Prozesse umsetzen, die eher einen administrativen Nutzen für die beteiligten Behörden denn einen pädagogischen Nutzen haben. So müssen die Lehrkräfte in den Berufssprachkursen seit dem 1. Januar 2022 mit verbindlich festgelegten Lehrwerken arbeiten, die auf die neu geplante Prüfung „DTB – Deutschtest für den Beruf“ hinführten. Diese verbindliche Prüfung stand uns als Format tatsächlich erst am 1. Juli 2022 zur Verfügung, so dass viele Kurse noch mit der alten Prüfung abschließen mussten, auf die sie – zumindest mit dem zur Verfügung stehenden Lehrwerk – gar nicht vorbereitet waren. Und auch die Informationspolitik zum DTB war über Monate in all seinen Facetten intransparent, was für viele Kollegen eine zusätzliche Belastung darstellte. So kann man keinen guten Unterricht machen. Viele unserer Kollegen verlassen derzeit den Arbeitsbereich, obwohl es für sie ein Leidenschaftsberuf ist.

„Wir sind uns unserer Verantwortung in der Verwendung öffentlicher Mittel bewusst, aber sehen, wie viel davon in bürokratischen Prozessen versickert, ohne wirklich wirksam zu werden.“

Das soll nur ein kurzer Anriss ein, der Reformbedarf ist deutlich höher – auch mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Kurse. Wir sind uns unserer Verantwortung in der Verwendung öffentlicher Mittel bewusst, aber sehen, wie viel davon in bürokratischen Prozessen versickert, ohne wirklich wirksam zu werden.

Dass zugewanderte Menschen in Deutschland sicher sein können, einen geregelten Zugang zur Sprachförderung zu bekommen, ist eine großartige Leistung des Bundes. Aber gut ist der Feind von besser und meine Kollegen stehen täglich vor den Menschen, die lernen möchten. Uns geht das ganz unmittelbar an.

„Leider zielen alle Reformaufrufe der Praxis beim Bund seit Jahren ins Leere oder werden mit einem bloßen „geht nicht“ abgeblockt.“

Leider zielen alle Reformaufrufe der Praxis beim Bund seit Jahren ins Leere oder werden mit einem bloßen „geht nicht“ abgeblockt. Alternativlos – ein Wort, dass wir im politischen Kontext eigentlich nicht mehr hören wollten. Wo ist er – der politische Wille zu Reformen, Digitalisierung und einem agilen Staat?

Offensichtlich braucht es externer Beratung, mit einem frischen und unvoreingenommenen Blick, mit Expertise in agiler Steuerung und ohne Eigeninteressen und Befangenheit. Wir plädieren mit Blick auf die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen, Mittel für eine Reformkommission einzuplanen, mit einem unabhängigen Vorsitz, eine Kommission, die sich paritätisch aus externer Bildungsexpertise, Expertise in agiler Bildungssteuerung, Verwaltung und Praxis zusammensetzt und den Reformfaden in den Integrations- und Berufssprachkursen endlich aufnimmt. Meinung

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