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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Archiv)

Rostock-Lichtenhagen

Steinmeier: Rhetorik demokratischer Parteien war ressentimentgeladen

Vor 30 Jahren ereigneten sich in Rostock-Lichtenhagen schwere rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Ausschreitungen. Am Donnerstag besuchte Bundespräsident  Steinmeier die Hansestadt Rostock und erinnerte an die Ereignisse.

Donnerstag, 25.08.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 25.08.2022, 19:12 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Zum 30. Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gefordert, Konsequenzen aus den damaligen Ereignissen für hitzig geführte Debatten in der Gegenwart zu ziehen. Die Ausschreitungen im August 1992 seien „eine Katastrophe mit Ansage“ gewesen, sagte Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung am Donnerstag in der Hansestadt. Die Krawalle „gediehen auf dem Boden einer bis dahin schon teilweise hasserfüllten Debatte“, sagte er. Staat und Zivilgesellschaft müssten daraus Lehren ziehen. Die Schweriner Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warb in ihrem Grußwort für den Einsatz für die Demokratie.

Vom 22. bis zum 26. August 1992 gab es im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen schwere rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Ausschreitungen. Im Verlauf der vier Tage gerieten dabei 150 Menschen in akute Lebensgefahr, nachdem ein Wohnhaus ehemaliger vietnamesischer DDR-Vertragsarbeiter in Brand gesetzt worden war. Mehr als 200 Polizisten wurden verletzt, einer davon schwer.

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Der Bundespräsident erinnerte daran, dass bereits vor den Ausschreitungen in Rostock, bei denen durch Brandanschläge auf ein Wohnheim 150 Menschen in akute Lebensgefahr gerieten, Angriffe auf Ausländer stattgefunden hatten. Die Ausschreitungen in Rostock bezeichnete er als „die schlimmsten rassistischen Übergriffe in Deutschland bis dahin“. Bis heute entsetze ihn, dass der Rechtsstaat, der die Pflicht hatte, die Menschen zu schützen, die Bedrohten alleingelassen habe. „Was in Rostock geschah, war eine Schande für unser Land.“

Steinmeier: Rhetorik der Parteien war ressentimentgeladen

Info: Vom 22. bis zum 26. August 1992 ereigneten sich in Rostock-Lichtenhagen die schwersten rassistisch motivierten Ausschreitungen nach der Wende. Die Gewalt richtete sich gegen die damalige Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende, gegen Wohnungen der Vietnamesen und gegen die Polizei. Die Krawalle einiger hundert Gewalttäter wurden durch 2.000 bis 3.000 Sympathisanten und Schaulustige vor Ort unterstützt. Nachdem es der Polizei drei Tage lang nicht gelungen war, die Krawalle zu beenden, wurde die Polizei für zwei Stunden abgezogen. Mit Molotow-Cocktails setzten Gewalttäter das angrenzende Wohnheim der Vietnamesen in Brand. Die in diesem Haus verbliebenen Menschen – darunter 120 Vietnamesen, ein fünfköpfiges Fernsehteam des ZDF sowie einige Rostocker – drohten an Rauchvergiftung oder durch das in den unteren Stockwerken entstandene Feuer zu sterben. Die Flucht über das Dach in einen anderen Hausaufgang rettete ihnen schließlich das Leben. In den Folgejahren wurden nur wenige Täter ermittelt und verurteilt, viele Opfer wurden zeitnah abgeschoben.

Steinmeier erinnerte auch an das damalige gesellschaftliche Klima, in dem rechtsradikale Parteien im Aufwind gelegen hätten. „Die Rhetorik auch der Parteien im demokratischen Spektrum war Anfang der 90er-Jahre ressentimentgeladen“, sagte er. Als Konsequenz forderte er zu erkennen, dass Worte Waffen sein könnten. „Es gilt also, verbal abzurüsten“, sagte Steinmeier und verwies auf kontroverse Debatten in sozialen Netzwerken. Er forderte den Verzicht auf Hetze und Gewalt in Auseinandersetzungen, und denjenigen Schutz zu bieten, die potenziell Opfer sind.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig rief dazu auf, für die Demokratie einzustehen. Demokratie brauche sozialen Zusammenhalt, Solidarität, eine Absicherung gegen Krisen und Schicksalsfälle. „Keine Gewalt. Kein Rassismus. Keine Ausgrenzung von Menschen, die anders aussehen, anders leben oder woanders herkommen“, mahnte die SPD-Politikerin.

„Menschenfeindliche Denkweisen“ bis heute

Im Kurznachrichtendienst Twitter berichtet Journalist Ole Jonathan, dass er in der Menge vor Ort Sätze aufgeschnappt habe, die darauf deuten, dass es in Rostock-Lichtenhagen nach wie vor Menschen mit „tief verankerten menschenfeindlichen Denkweisen“ gibt und die „bisherige Erinnerungskultur versagt“ hat.

So sollen unter anderem Sätze wie „Vor 30 Jahren hat es hier mehr Spaß gemacht.“ oder „Das, was hier passiert ist ein Pogrom zu nennen, ist lächerlich – es ist ja keiner gestorben.“ gefallen sein. Dazu gesellten sich laut Jonathan diverse Aussagen, die Antiziganismus und anti-asiatischen Rassismus beinhalteten. „Obwohl die Äußerungen teils sehr laut gerufen wurden, haben weder Steinmeier noch Schwesig die Möglichkeit genutzt, sich verbal gegen diese zu positionieren“, so der Journalist weiter.

Radfahrer hebt rechten Arm während Dreharbeiten

Unterdessen teilte das Polizeipräsidium Rostock mit, dass es vormittags in Rostock am Rande von Dreharbeiten zu einem Polizeieinsatz kam. Während der Aufnahmen soll ein 13-jähriger Rostocker mit einem Fahrrad hinter dem Reporter in die Aufzeichnung hineingefahren sein und dabei den rechten Arm gehoben haben. Die Journalisten hätten umgehend die Polizei informiert, die das Videomaterial sicherte und den Staatsschutz informierte. Es werde wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisatoren ermittelt.

Die Rostocker Polizeipräsidentin Anja Hamann sagte: „Ich bedaure diesen beschämenden Vorfall außerordentlich, auch wenn es sich hierbei um ein nicht strafmündiges Kind handelt. Mögliche Hintergründe der Tathandlung sind Bestandteil der weiteren Ermittlungen.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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