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Ratlosigkeit und Willkür

Behörde wollte Ukraine-Flüchtling nach Georgien abschieben

Eine 63-jährige Georgierin ist mit ihrer ukrainischen Familie vom Krieg nach Deutschland geflüchtet. Doch der Kreis Euskirchen wollte die pflegebedürftige Frau abschieben, weil sie keinen ukrainischen Pass hat. Erst nach Druck gab die Behörde nach – vorerst.

Von Montag, 04.07.2022, 16:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.07.2022, 14:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Kreis Euskirchen sollte eine 63-jährige, gehbehinderte Georgierin abgeschoben werden. Aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft hätte sie kein Anrecht auf Schutz in Deutschland. Ihr Fall steht exemplarisch für den bedenklichen und rücksichtslosen Umgang mit geflüchteten Menschen in deutschen Ämtern.

Die 63-jährige Georgierin verließ vor mehr als 10 Jahren ihre Heimat in Georgien mit ihrem Mann, um sich in Charkiv (Ukraine) bei der Familie ihrer Tochter, die einen Ukrainer geheiratet hatte, eine neue Existenz aufzubauen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine dieses Jahr floh sie mit ihrer 43-jährigen Tochter und ihrer 4-jährigen Enkelin nach Deutschland. Die Männer der Familie blieben in der Ukraine zurück.

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Im Kreis Euskirchen fanden die Frauen eine Unterkunft, die von einem Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen für Geflüchtete bereitgestellt wurde. Ende April erhielt Frau Mikava dann einen Abschiebungsbescheid, der sie aufforderte, innerhalb eines Monats nach Georgien auszureisen. Begründung: Sie habe aufgrund ihrer georgischen Staatsbürgerschaft keinen legitimen Aufenthaltsstaus in der Ukraine gehabt und könne deshalb auch keinen Schutz von der EU erhalten.

Kein Einzelfall

Der Fall ist bezeichnend für das Schicksal vieler Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, weil sie keine ukrainischen Staatsbürger sind. Sebastian Rose vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. arbeitet für das Projekt Abschiebungsreporting NRW und spricht von Tausenden bis Zehntausenden Menschen, die das gleiche Schicksal teilen.

Die EU garantiert allen ukrainischen Staatsbürgern einen Schutzstatus, wohingegen die Behörden bei allen anderen Geflüchteten aus der Ukraine einzeln prüfen, ob eine Rückkehr möglich ist. Dieser Vorgang sei jedoch oftmals von Ratlosigkeit und Willkür geprägt, berichtet Rose gegenüber MiGAZIN.

Behörde „höchst bedenklich“

Ähnlich ist auch der Fall von Mikava gelagert. Sie ist aufgrund einer Teilamputation eines Fußes stark gehbehindert und leidet unter Diabetes. Daher wird sie im Familienverbund versorgt und ist auf ihre Tochter angewiesen: „Immerhin droht aktuell offenbar keine Abschiebung nach Georgien. Aber der ganze Umgang der Verwaltung des Kreises Euskirchen mit dieser vulnerablen Person, die gerade dem Krieg entronnen war, ist schon höchst bedenklich gewesen“, bewertet Rose den Fall.

Auch die Besitzerin der Wohnung, die die Familie auch privat unterstützt, berichtet von einem unverständlichen Umgang der lokalen Ausländerbehörde mit der 63-Jährigen. Man hätte ihr sogar unterstellt, sie wäre erst kurz vor dem Krieg aus Georgien in die Ukraine gegangen, um dann nach Deutschland kommen zu können. Erst nach großem Engagement und Interventionen von Helfern sowie durch den eingelegten Widerspruch der Familie wurde Frau Mikava bis Mitte Dezember eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt.

Nachweise nicht mitgenommen

„Wir sollten Nachweise erbringen, die belegen, dass sie schon länger in Charkiv gewohnt hat. Aber natürlich nimmt man bei einer Flucht keine Mietverträge oder Arztrechnungen mit. Also hat die Tochter versucht, nicht geflohene Nachbarn in der Ukraine ausfindig zu machen. Diese machten in der früheren Wohnung der Familie Fotos von alten Arztattesten und ähnlichen Dokumenten, mit denen wir dann nachweisen konnten, dass Mikava schon seit langer Zeit in der Ukraine gelebt hat“, berichtet die Vermieterin gegenüber MiGAZIN.

Mikavas Situation lässt eine alleinige Rückkehr nach Georgien nicht zu. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie dort völlig auf sich allein gestellt wäre. Ihr Ehemann und der Schwiegersohn sind in der Ukraine in Russisch besetzten Gebieten, ihre Tochter würde mit ihrer Enkelin der Sicherheit wegen in Deutschland bleiben. Aktuell verdient ihre Tochter, die nebenbei einen Deutschkurs besucht, gerade so viel Geld, dass es für die Familie reicht.

Happy End?

Würde die 63-Jährige nicht auf ihre Enkelin aufpassen, könnte ihre Tochter weder den Sprachkurs besuchen, noch ihrer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, denn ein Kindergartenplatz für die Enkelin ist derzeit noch nicht in Sicht. Das Ankommen und Leben in Deutschland wurde Frau Mikava zusätzlich erschwert, weil sie bis zur Ausstellung ihres Aufenthaltstitels vor wenigen Tagen von Sozialleistungen und gesundheitlicher Versorgung ausgeschlossen war.

Welches Ende das Hin und Her mit den Behörden nimmt, wird sich am Ende des Jahres zeigen, wenn Mikavas Aufenthaltstitel ausläuft. Bis dahin werden sie mit der Angst leben, auseinandergerissen zu werden. (sh/mig) Leitartikel Panorama

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