Außenministerin Baerbock
Wir werden allen helfen, auch jenen ohne ukrainischen Pass
Vor dem Krieg in der Ukraine fliehen schon jetzt Hunderttausende Menschen, die EU rechnet sogar mit Millionen. Sie will ihnen unbürokratisch Schutz gewähren. Nach Innenministerin Faeser hat auch Außenministerin Baerbock Aufnahme zugesagt – mit Blick auf Rassismusvorwürfe für alle. Berlin hat bereits 400 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert.
Dienstag, 01.03.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.02.2022, 20:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die EU will ein unbürokratisches Verfahren zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine schaffen. Nach einem Sondertreffen der EU-Innenminister sprach sich die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson am Sonntagabend dafür aus, eine entsprechende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 zu aktivieren. Gemeint ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die Kriegsflüchtlingen ohne ein aufwendiges Asylverfahren Schutz in der EU garantiert. Unterstützung findet die Aktivierung dieser Richtlinie auch beim Vorsitzenden des EU-Innenminister-Rates, dem französischen Ressortchef Gérald Darmanin.
Darmanin kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung des nächsten regulären Treffens der EU-Innenminister am Donnerstag zu setzen. Er hofft dort auf eine qualifizierte Mehrheit für die Aktivierung des Mechanismus. Johansson, die bis dahin einen konkreten Vorschlag vorlegen will, sagte, beim Treffen am Sonntag habe sich die Mehrheit der Ministerinnen und Minister für die Aktivierung der Richtlinie ausgesprochen. Nicht alle seien der Auffassung, dass jetzt schon der richtige Zeitpunkt dafür sei. Widerstand gegen die Aufnahme von Ukrainern hat es Johansson und Darmanin zufolge aber nicht gegeben.
Faeser für unbürokratischen Weg
Die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 verfolgt die Idee, dass im Fall einer großen Fluchtbewegung in die EU vorübergehend vereinfacht ein Schutzstatus erteilt wird, um eine Überlastung der Asylbehörden zu vermeiden. Die Richtlinie sieht auch eine solidarische Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union vor.
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich vor dem Innenminister-Treffen in Brüssel für einen unbürokratischen Weg der Schutzgewährung ausgesprochen. Nach dem Treffen sprach sie von einem „Schulterschluss aller Staaten der Europäischen Union“. „Wir schaffen in allen EU-Mitgliedstaaten das gleiche, unbürokratische Verfahren zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen“, sagte sie. Europa sei angesichts der russischen Bedrohung enger zusammengerückt. „Alle EU-Staaten sind zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine bereit“, betonte Faeser.
Baerbock: Wir werden alle aufnehmen
Am Montag sagte in Berlin auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine zu. Gemeinsam mit den osteuropäischen Nachbarn stehe man an der Grenze zur Ukraine zusammen, um den Menschen vor Ort direkt zu helfen und um sie weiter in alle europäischen Länder bringen zu können. Europa stehe „an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer und wir werden alle aufnehmen“, erklärte Baerbock. Die Ministerin unterstrich, dass allen Schutzsuchenden geholfen werde, auch jenen ohne ukrainischen Pass.
Mehreren voneinander unabhängigen und übereinstimmenden Berichten in sozialen Medien zufolge werden Schwarze Menschen innerhalb der Ukraine oder an den Außengrenzen von der Flucht abgehalten. Betroffene und Augenzeugen berichten, wie Menschen in Bussen und Bahnen sowie an den Grenzübergängen zurückgewiesen werden, weil ukrainische Staatsbürger Vorrang hätten. In sozialen Netzwerken lösen die Berichte Empörung aus. Immer mehr Menschen fordern die Bundesregierung auf, bei der Aufnahme von Schutzsuchenden nicht nach der Staatsbürgerschaft zu differenzieren. Baerbock zufolge laufen Gespräche mit Ländern, deren Staatsbürger in der Ukraine seien, um Ausreisen zu organisieren.
Tipp: Ein Netzwerk aus gemeinnützigen Organisationen und Firmen stellt im Internet eine Plattform zur Verfügung, über die Bürger private Unterkünfte für Flüchtlinge aus der Ukraine anbieten können. Über ein Formular können freie Plätze unverbindlich gemeldet werden. Interessenten können die Anzahl der Betten und den Zeitraum angeben, für den sie die Kapazitäten für mindestens zwei Wochen zur Verfügung stellen. Überdies können Angaben zu Sprachkenntnissen gemacht werden.
400 ukrainische Flüchtlinge in Berlin
Bis Montagvormittag haben sich etwa 400 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten in Berlin gemeldet. Mit 300 seien bislang Beratungsgespräche geführt worden, etwa 40 hätten einen Asylantrag gestellt, sagte Behördensprecherin Monika Hebbinghaus dem „Evangelischen Pressedienst“. 85 ukrainische Kriegsflüchtlinge seien von Sonntag zu Montag für eine Nacht im Ankunftszentrum in der Oranienburger Straße in Berlin-Reinickendorf aufgenommen worden.
Die Menschen meldeten sich beim Landesamt, um über das weitere Vorgehen beraten zu werden, sagte die Sprecherin. Ukrainer können nach Deutschland ohne Visum für 90 Tage als Touristen einreisen. Aktuell können sie das normale Asylverfahren durchlaufen oder sie warten ab, bis der Bund sich auf einen Aufenthaltsstatus für die Kriegsflüchtlinge einigt. Laut Hebbinghaus verfügt Berlin aktuell über 1.300 freie Unterkunftsplätze für Geflüchtete, in etwa die gleiche Anzahl soll in den nächsten Wochen regulär dazukommen. „Darüber hinaus prüfen wir gerade weitere Möglichkeiten“, sagte die Behördensprecherin.
Innenministerium veröffentlicht FAQ auf Ukrainisch
Das Bundesinnenministerium hat auf seiner Internetseite die wesentlichen Informationen zu Einreise und Aufenthaltstitel für aus der Ukraine flüchtende Menschen auf Ukrainisch veröffentlicht. Seit Montag können Ukrainer in ihrer Landessprache dort nachlesen, wie lange Visa gelten, wie sie verlängert werden können und warum derzeit nicht zwingend ein Asylverfahren notwendig ist. Man habe den Schritt gewählt, weil die Informationen die Menschen in Not schnell erreichen sollen, sagte ein Sprecher des Ministeriums.
Es sei das erste Mal, dass das Innenministerium auf Ukrainisch twittert oder Informationen in der Sprache zur Verfügung stellt. In früheren Fällen sei das auch schon in anderen relevanten Sprachen geschehen, erklärte der Sprecher. (epd/mig) Leitartikel Politik
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