Felix Bender, Migration, Flucht, Rassismus, Integration, Flüchtlinge
Felix Bender © privat, Zeichnung: MiGAZIN

Realismus und Flüchtlingspolitik

Was uns der britische Deal mit Ruanda lehrt

Das britische Abkommen mit Ruanda zeigt: Es geht im globalen Flüchtlingsregime nicht primär um Schutz von Menschen. Das sollte uns nicht überraschen, sondern wir sollten unser Verständnis anpassen.

Von Dienstag, 31.05.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.05.2022, 15:28 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Am 14. April gab die britische Regierung den nun berüchtigten Deal mit Ruanda bekannt. Dieser sieht vor, bestimmte Asylbewerber:innen nach Ruanda abzuschieben. Damit wäre nicht nur der Asylbewerbungsprozess ausgelagert, sondern auch die dauerhafte Verpflichtung auf Schutz gegenüber Flüchtlingen. Flüchtlinge, die in Großbritannien Schutz suchten, würden diesen stattdessen in Ruanda erhalten. Die britische Regierung lässt sich dies einiges kosten. Ruanda erhält rund 150 Millionen Euro an Entwicklungsgeldern und die britische Regierung übernimmt alle operationellen Kosten für den Transport und die Unterbringung von Flüchtlingen.

Die moralische Entrüstung über diesen Deal ist groß – und das zu Recht. Migrationsforscher:innen haben die Konsequenzen dieses Deals bereits ausgemalt. Es wird teuer. Sehr teuer. Vergleichbare Versuche der australischen Regierung, hunderte von Flüchtlingen weit entfernt vom Festland in Camps unterzubringen, haben die ungeheuren Kosten dieser unrechtmäßigen Zwangsinternierung sichtbar gemacht. Im Schnitt kostet die Zwangsinternierung die australische Regierung 358,646 US Dollar im Monat – pro Flüchtling. Das sind 4.3 Millionen US-Dollar pro Flüchtling pro Jahr. Die Kosten für Unterbringung, sprich Internierung, und Versorgung von Flüchtlingen in einem solch abgeschlossenen System werden im Falle des Deals mit Ruanda ähnlich ausfallen. Dazu kommen Transportkosten. Da diese mit Abschiebungsaktionen verglichen werden können, wissen wir, dass sich die Kosten in einer Größenordnung von rund 10,000 Euro pro Person und Abschiebung bewegen. Die exorbitanten Kosten eines solchen Deals sind natürlich nicht die Hauptgründe für den moralischen Abgrund, der sich damit auftut. Wissenschaftler:innen haben nicht nur betont, dass der Deal wahrscheinlich das ausgegebene Ziel der Abschreckung von Flüchtlingen verfehlen würde. Hierfür gibt es genügend Belege. Sie warnen auch vor den Konsequenzen.

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„Flüchtlinge sind keine Güter. Man kann sie nicht beliebig stapeln, kategorisieren und transportieren, und erwarten, dass diese genauso verharren. Sie haben Ambitionen, Ziele, Erwartungen, Ängste, sind eingebettet in soziale Zirkel und haben Verpflichtungen gegenüber anderen.“

Was der Deal bewirkt, wird zu einem von zwei Szenarien (und möglicherweise beiden) führen. Das erste führt zu mehr Zwangsinternierungen. Flüchtlinge sind keine Güter. Man kann sie nicht beliebig stapeln, kategorisieren und transportieren, und erwarten, dass diese genauso verharren. Sie haben Ambitionen, Ziele, Erwartungen, Ängste, sind eingebettet in soziale Zirkel und haben Verpflichtungen gegenüber anderen. Genauso wie alle anderen Menschen. Wenn man sie nun nach monatelangen Reisen in Richtung Großbritannien zwangsweise nach Ruanda abschiebt, tun sich zwei konsequente Szenarien besonders hervor. Entweder sie versuchen sofort wieder nach Europa (oder anderswohin) aufzubrechen, denn sie hatten Gründe Schutz in Großbritannien zu suchen. Oder man hält sie davon ab.

Ersteres führt zu einer dreifachen Zwangsmigration: die erste, die Flüchtlinge dazu brachte, nach Großbritannien zu reisen; die zweite, die durch die Abschiebung der Flüchtlinge vom britischen Staat initiiert wurde; und die dritte, die durch die Weiterreise der Flüchtlinge gen globalen Norden wieder auftaucht. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Die Abschiebeaktionen könnten in diesem Szenario nicht zur Unterbindung, sondern zu mehr Menschenschmuggel und Sklaverei führen. Präzedenz gibt es bereits. Die israelische Regierung hatte 2014 damit begonnen, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben und ihnen dort Schutz versprochen. In Ruanda angekommen, wurden die meisten Flüchtlinge sofort durch die ruandischen Behörden zur Weiterreise gedrängt und somit in die Hände von Schmugglern und Menschenhändlern getrieben.

„Die Errichtung von Flüchtlingslagern im globalen Süden, die Internierungs- und Foltergefängnisse in Australien und Libyen sind allemal als Konsequenz einer solchen Abschottungspolitik des globalen Nordens entstanden.“

Das zweite Szenario ist moralisch kaum besser zu verteidigen. Wenn Flüchtlinge nicht bleiben wollen und man sie nicht gehen lassen möchte, dann sperrt man sie ein. Die Errichtung von Flüchtlingslagern im globalen Süden, die Internierungs- und Foltergefängnisse in Australien und Libyen sind allemal als Konsequenz einer solchen Abschottungspolitik des globalen Nordens entstanden – entweder durch direkte Internierung durch die Staaten im globalen Norden, oder als (oft finanziell unterstützte) Konsequenz dieser Abschottungspolitik. Beide Szenarien sind moralisch nicht vertretbar. Und doch sind sie wenig überraschend. Wieso?

Die Entrüstung rührt teilweise von einem Bild des internationalen Flüchtlingsschutzes, den es so nicht gibt. Die normative Idee des globalen Flüchtlingsregimes ist die des Schutzes vor Verfolgung. Der Unglaube über den Deal mit Ruanda besteht, weil dieser in so starkem Kontrast zu den normativen Grundgedanken des Flüchtlingsregimes steht. Wie kann man behaupten, dass es um Schutz geht, wenn Flüchtlinge in unsichere Gebiete abgeschoben werden? Wie kann Schutz der normative Leitfaden einer Flüchtlingspolitik sein, wenn ukrainische Flüchtlinge guten Willens ohne Asylverfahren aufgenommen werden (und diese von Abschiebungen nach Ruanda ausgenommen werden), während man gleichzeitig Tausenden anderen Schutz verweigert, sie abschiebt und ihnen Flüchtlingsstatus verkennt? Die Antwort liegt auf der Hand. Es geht im globalen Flüchtlingsregime nicht primär um Schutz.

Was Staaten und ihr Handeln antreibt, lässt sich eindrücklich durch Rückgriff auf Staatsinteressen erklären. Teils liegt es im Staatsinteresse, Migration zu fördern, teils steht es diesem entgegen. Wir beobachten ein solches Verhalten nicht nur, wenn Staaten Flüchtlinge und andere Migranten zu ihren Zwecken instrumentalisieren, oder Immigration im Kontext einer erwünschten wirtschaftsnotwendigen Arbeitsmigration fördern, sondern auch in der Aufnahme und Abschiebung von Flüchtlingen.

„Ein solcher Realismus kann erklären, wieso europäische Staaten dazu bereit sind, Millionen ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen, und gleichzeitig vor einer „Flüchtlingswelle“ an Afghanen oder Syrern warnen und sich dagegen abschotten.“

Ein solcher Realismus kann erklären, wieso europäische Staaten dazu bereit sind, Millionen ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen, und gleichzeitig vor einer „Flüchtlingswelle“ an Afghanen oder Syrern warnen und sich dagegen abschotten. Als Grund kann man auf die Funktion von Asyl als Instrument der Verurteilung des Handelns anderer Staaten und die gleichzeitige Selbstlegitimierung verweisen. Sowohl Russland als auch europäische Staaten waren mehr als willig, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen. Russland ging sogar so weit, diese zur Flucht nach Russland zu zwingen. Die Aufnahme von Flüchtlingen signalisiert im Kontext einer internationalen Machtpolitik sogleich die Unrechtmäßigkeit der Anderen als auch die Rechtmäßigkeit der eigenen Handlungen. In diesem Falle führte es zur leichten und „großzügigen“ Aufnahme vieler Flüchtlinge. Ein solches Bild von Asyl und Flucht bedeutet allerdings auch, dass der Verweis auf die Moral ein fadenscheiniger ist. Es geht hierbei nicht darum, Schutz zu gewähren. Sicherlich ist dies ein (von vielen geschätzter) positiver Nebeneffekt. Er ist aber nicht Ziel und Grundlage dieses Handelns, und das ist der Grund, wieso sich eine Politik der Zwangsinternierung und Abschiebung von manchen Menschen, und das gleichzeitige Angebot von Schutz an andere, verbinden lässt.

Was folgt hieraus? Wir müssen unser Verständnis der globalen Flüchtlingspolitik anpassen. Das britische Abkommen mit Ruanda sollte uns nicht überraschen. Legen wir das Erklärungsschema eines Realismus in der Migrationspolitik zugrunde, müssen wir mit weiteren solchen Abkommen und eines solchen amoralischen Handelns rechnen. Wir müssen uns also darauf einstellen. Appelle an das moralische Bewusstsein der Regierungen werden dann fruchtlos bleiben. Wir müssen uns andere Wege suchen, diese zu einer Änderung der Flüchtlingspolitik zu drängen. Eine solche Strategie sollte den Realismus der Migrationspolitik nicht nur als Erklärungsschema, sondern als Grundbaustein von normativen Argumenten verwenden.

Info: Dieser Text ist zuerst erschienen im FluchtforschungsBlog. Meinung

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  1. Anja Katarina sagt:

    Flüchtlinge weiterhin ins deutsche Sozialsystem einwandern zu lassen, ist aber auch keine Lösung und ein vielfaches teurer als die Unterbringung in Drittländern wie Ruanda.