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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Im Merzen der Bauer

Die CDU ist eine Partei, die ihren beständigen Kurs nach rechts für zu langsam hält, mit Merz neuen Anlauf nimmt, ihre Optionen mit Grüngelb aber auch nicht verspielen will und deshalb nicht so kann, wie sie gern wöllte.

Von Dienstag, 25.01.2022, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.01.2022, 15:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Er ist also wieder da. Die CDU hatte eine Wahl und sie hat sich für den Kandidaten von weniger als zwei Dritteln der Parteimitglieder, und damit gegen einen Kandidaten der Wähler entschieden. Nur: Parteimitglieder sind eben nicht wahlentscheidend. Und die Partei mit Merz nach rechts an die AfD heranzurücken, wird diejenigen Wähler, die von der Union zu SPD, Grünen und FDP übergelaufen sind, kaum zurückholen. Zu glauben, man könne dafür Wähler der AfD abgraben, hat sich schon in der Vergangenheit als trügerisch erwiesen, zumal in gleichem Maße, wie andere verloren gehen.

Dass ausgerechnet dieser Herr Friedrich Ohnedoktor Merz – zumindest den kann man ihm also nicht mehr wegnehmen – der sich für Mittelschicht hält, weil sein Privatjet ja auch eher nur so mittelgroß ist, für jene Bierzeltnähe stehen kann, die es dafür braucht, um in der Union mit jenen fremdenfeindlichen Parolen durchzukommen, die man dort als „konservative Haltung“ missdeutet, darf jedenfalls durchaus bezweifelt werden; mehr noch, dass sich der niedersächsische oder bairische Großagrarier, der sich immer noch für einen Bauern hält, von einer Kapitalmarkthure wie Merz vertreten sieht.

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Die Rolle der Union in der Opposition mag einer Schärfung der eigenen Identität ja durchaus entgegenkommen, wie derzeit an jedem Talkshowstrich geahnt wird, die Panikmache vor einem grünen Landwirtschaftsministerium wird nach 4 Jahren mehr oder weniger „weiter so“ bis zur nächsten Bundestagswahl aber längst verpufft sein. Der ein oder andere konservative  Güllebaron wird dann beim bewährten Cem bleiben, statt Experimente mit einem Freihandelsminister einzugehen, der darauf besteht, dass der deutsche Ackerknecht mit dem australischen Klonrindzüchter oder dem amerikanischen Genmaiskönig konkurrieren muss – weil der Freihandel schließlich allen ganz am Anfang der Wertschöpfungskette zugute komme – vom chemievergiftenen 6-jährigen Teppichknüpfer in Bangladesch über den erstmals in den 2000ern aufgetauchten Kindersklaven auf der Schokoplantage an der Elfenbeinküste, bis hin zum deutschen Milchbauern, der seine Milch Jahr für Jahr in den Abfluss kippt, um dagegen zu protestieren, dass er kein Geld mehr verdient.

Gleichzeitig ist die Union gespalten, in einen „sozialeren“ Flügel, der früher den rheinischen Katholiken um Helmut Kohl zugeordnet wurde, der aber heute ausgerechnet mit der Protestantin Merkel identifiziert wird, die diesen entmachtet hatte und die sich eine marktkonforme Demokratie wünschte anstelle einer sozialen Marktwirtschaft, und einen noch marktradikaleren Teil um den jetzt gewählten Friedrich Merz, der seinerseits mit der „guten alten CDU“ Kohls in Verbindung gebracht wird.

Und dieser gordische Knoten schizoiden Selbstverständnisses ruht also nun in den Händen eines Alphamännchens – einem Basta-Mann wie Gerhard Schröder, der auch schon eine Partei auf dem Gewissen hat – welchen aufzulösen er gewählt wurde, indem er seine Partei, die sich in den letzten 25 Jahren bei gleichzeitiger moderater gesellschaftlicher Erneuerung beständig nach rechts bewegt hat, noch weiter nach rechts bewege, um wieder „unterscheidbarer“ zu werden. Die Union wird sich früher oder später noch bewusst werden, dass sie nicht die SPD ist – und dieses Erwachen könnte zum Schockmoment werden für all jene, die den Anteil der SPD an der letzten Koalition gern Merkel zuschrieben, Wähler wie Mitglieder gleichermaßen. Wenn dieser Moment vor oder mit den anstehenden Landtagswahlen kommt, könnten die Partei und ihr Vorsitzender bereits dann weitgehend erledigt sein.

Friedrich Merz, der seinerseits auch kein Problem mit Hans-Georg Maaßen in seiner Partei hat, prophezeie ich daher, wenn er sich über das Frühjahr rettet, eine Zukunft entweder als ideologisches Anhängsel der AfD in einer verzweifelt nach rechts blickenden Frontalopposition oder als – als Tiger gestarteter – Bettvorleger, der sich seine Optionen mit Grüngelb nicht verspielen will und deshalb nicht so kann, wie er gern wöllte. Und da Merz kein Mann der subtilen Zwischentöne ist, gegenenfalls sogar beides: zu viel Islamophobie, zu viel Wirtschaftskrieg gegen ärmere Länder, zu viel Migrationskritik und Parolen gegen Menschen aus ärmeren Ländern, die dort keine Lebensgrundlage mehr haben, zu viel Antifeminismus und 50er-Jahre-Weltbild für Jamaika – zu rational, zu demokratisch für das AfD-Milieu. Bei aller Kritik an der Union wäre das für die bundesdeutsche Demokratie ein gravierendes Problem.

Aber immerhin ist der Fritz jetzt so ein richtig harter Hund. Einer, der als strammer Konservativer zu seinem Wort steht, ganz anders als die im Nebulösen herumhadernde Merkel. So konnte man das auch am Tag seiner Wahl am Samstag sehen: Hatte er während seiner Wahlkampagne nach darauf verwiesen, unbedingt eine Generalsekretärin bestellen zu wollen, hat er nach seiner Wahl nämlich schonmal geliefert. Neue CDU-Generalsekretärin ist Mario Czaja – sozusagen doppelt transgender: Ein Mann, geboren im Körper eines Mannes – wozu braucht man da noch eine Frauenquote? Meinung

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