Déjà-vu in Halle

Schüsse auf Moschee wirft Fragen auf

An einer Moschee in Halle fielen Schüsse. Die Gemeindemitglieder sind sich sicher: Es war ein Anschlag auf Muslime. Die Staatsanwaltschaft bezweifelt das. Der Tatverdächtige ist wieder auf freiem Fuß. Der Fall löst Reaktionen aus.

Dienstag, 25.01.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.01.2022, 20:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Am Islamischen Kulturzentrum in Halle sind am Sonntag mehrfach Schüsse aus einer Luftdruckwaffe abgegeben worden. Als Tatverdächtiger ermittelt wurde ein 55-Jähriger, der in einem Mehrfamilienhaus gegenüber dem Zentrum wohnt, wie die Polizei in der Nacht zum Montag mitteilte.

Der Mann sei nach bisherigem Erkenntnisstand bisher nicht durch politisch motivierte Straftaten in Erscheinung getreten. Nach einem Verhör wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt, erklärte eine Sprecherin der Polizeiinspektion Halle am Montag gegenüber MiGAZIN. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Halle bestätigte diesem Magazin die Freilassung. Mangels Straftat habe es für einen Haftantrag keinen Grund gegeben. Wie die Sprecherin weiter erklärte, gebe es vielmehr Zweifel darüber, ob überhaupt auf die Moschee oder auf Menschen geschossen worden sei.

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Gemeinde sicher: Anschlag auf Muslime

Der Vorstand der muslimischen Gemeinde, Djamel Amelal, ist anderer Meinung und sich sicher. „Die Schüsse zielten auf unsere Gemeindemitglieder, von denen einer auf dem Rollstuhl sitzt. Sie waren zum Beten in die Moschee gekommen. Drei Projektile schlugen auf Kopfhöhe ein, sie wurden vor Ort gefunden und von der Polizei gesichert. Das war eindeutig ein Anschlag auf Muslime“, erklärte er dem MiGAZIN.

Laut Polizei identifizierten zwei Zeugen ein Fenster im gegenüberliegenden Haus, aus dem die Schüsse abgegeben worden waren. Bei dem Mann fanden die herbeigerufenen Polizeibeamten eine Waffe zum Verschießen von Diabolos und eine Gasdruckpistole. Diabolos sind kleine Metall-Kegel, die üblicherweise aus Luftgewehren verschossen werden.

Wiederholungsgefahr unbekannt

Menschen wurden nach Polizeiangaben bei dem Vorfall nicht getroffen. Offizieller Darstellung zufolge entstanden auch keine Sachschäden. Amelal widerspricht auch hier: „Die Projektile schlugen an der frisch gestrichenen Moscheemauer ein. Die Spuren sind zu sehen.“

Das Islamische Kulturzentrum wurde bereits mehrmals Ziel bewaffneter Anschläge. Im Februar 2018 hatten Unbekannte aus umliegenden Hochhäusern mit Diabolos in Richtung Moschee geschossen und dabei eine Person an der Hand verletzt. Die Frage, ob Wiederholungsgefahr besteht, ließen Polizei und Staatsanwaltschaft Halle am Montag gegenüber MiGAZIN unbeantwortet.

Zentralrat fordert Aufklärung

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) in Deutschland forderte im Kurznachrichtendienst Twitter eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls. Gerade nach dem Terroranschlag auf die Synagoge in Halle wissen man, dass es beim Rassismus nicht bei Worten bleibe, erklärte ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek.

Sigmount Königsberg von der jüdischen Gemeinde zu Berlin und Beauftragter gegen Antisemitismus äußerte Zweifel. „Aufgrund #Halleprozess habe ich Zweifel an lückenloser Aufklärung. Rassistische und antisemitisches Grundrauschen wird gerne zugedeckt“, twitterte er.

Reaktionen im Netz

Die Schüsse lösten im Netz zahlreiche Reaktionen aus, ein sogenannter „Trending topic“ wurden sie aber nicht. So wird auf Twitter ein Wort, eine Phrase oder ein Thema bezeichnet, das häufiger als andere erwähnt wird. Das ist der Fall, wenn ein Vorfall oder Ereignis bundesweit auf breites Interesse stößt.

Sawsan Chebli (SPD) fragt im Twitter: „Warum gibt’s keine Sondersendungen dazu? Warum läuft es nicht auf allen Kanälen? Warum schweigen so viele?“

Rabbinerkonferenz: „Déjà-vu“

Die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, verurteilte die Tat und zeigte sich entsetzt. „Meine Solidarität gilt den Mitgliedern der muslimischen Gemeinde in Halle“, schrieb sie im Twitter. Laut Grünen-Politikerin Filiz Polat treffen die Schüsse „das Herz unserer Gesellschaft“. Sie erklärte volle Solidarität mit allen Muslimen der Gemeinde. SPD-Bundestagsabgeordneter Hakan Demir sieht im antimuslimischen Rassismus „ein Riesenproblem“. Der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft müssten handeln.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) sprach mit Blick auf den Anschlag auf die Hallenser Synagoge im Oktober 2019 von einem „traurigen Déjà-vu“. „Die betroffene Moscheegemeinde und ihre Mitglieder haben unser Mitgefühl und unsere Solidarität“, hieß es in einer Erklärung. Es erfülle mit Sorge, „dass vor allem religiöse Minderheiten immer mehr ins Fadenkreuz geraten und attackiert werden.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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