Konzentrationslager, Flossenbürg, Häftlinge, Steinbruch, Nazis, Nationalsozialismus
Häftlinge im Steinbruch, SS-Foto um 1942, © Niederländisches Institut für Kriegsdokumentation

Historiker im KZ-Prozess

SS-Wachen waren an Erschießungen beteiligt

Mehr als 200.000 Menschen waren zwischen 1936 und 1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Bewacht wurden sie von Menschen wie Josef S. Der 101-Jährige steht dafür jetzt vor Gericht.

Montag, 06.12.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 04.12.2021, 16:20 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Brandenburg an der Havel (epd). Im Prozess wegen Beihilfe zu tausendfachem Mord im KZ Sachsenhausen vor dem Landgericht Neuruppin hat ein Sachverständiger auf die Beteiligung von SS-Einheiten und Vorgesetzten des Angeklagten an Erschießungen hingewiesen. Der 101-jährige Josef S. bestreitet bislang eine Tätigkeit als SS-Wachmann in dem Konzentrationslager bei Oranienburg. Allerdings belegen Personalakten seine Mitgliedschaft in verschiedenen SS-Totenkopfwachbataillons zwischen Oktober 1941 und Februar 1945. (AZ: 11 Ks 4/21)

Laut Historiker Stefan Hördler zeigen unter anderem Aussagen von Vorgesetzen des Angeklagten, die 1946 in Gefangenschaft protokolliert wurden, die Teilnahme der SS-Wachkompanien an Erschießungen von Gefangenen. Als Beleg für eine hohe Gewalterfahrung des Führungspersonals verwies Hördler etwa auf SS-Unterscharführer Heinz F., der vor seinem Einsatz in Sachsenhausen an der Ermordung von Juden in den besetzten Gebieten beteiligt gewesen sei.

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Anklage: Beihilfe zum Mord

Mit einem Urteil in dem seit Anfang Oktober laufenden Prozess wird bislang im Januar gerechnet. Insgesamt sind 22 Verhandlungstage angesetzt. Josef S. muss sich wegen Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in 3.518 Fällen verantworten. Es geht um die Erschießung sowjetischer Kriegsgefangener, die Ermordung von Häftlingen durch Giftgas und um die Tötung von Häftlingen durch die Schaffung und Aufrechterhaltung von lebensfeindlichen Bedingungen.

Wegen des Gesundheitszustandes des Angeklagten ist die Verhandlung nach Brandenburg an der Havel verlegt worden. Der Hochbetagte ist nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig. Unter den insgesamt 16 Nebenklägern sind Überlebende des KZ Sachsenhausen und Nachkommen ehemaliger Häftlinge, darunter aus Israel, Peru, Polen, den Niederlanden und Frankreich.

Teil der Vernichtungsmaschinerie

Eine konkrete Tatbeteiligung von Josef S. wurde bislang nicht dargelegt. Allerdings ist dies für eine Verurteilung wegen Beihilfe gemäß der jüngeren höchstrichterlichen Rechtssprechung auch nicht nötig. Demnach genügt es, Teil der Vernichtungsmaschinerie des NS-Konzentrationslagers gewesen zu sein. So bestätigte der Bundesgerichtshof 2016 ein Urteil des Landgerichts Lüneburg gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning. Gröning war als Buchhalter im früheren Vernichtungslager Auschwitz in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt worden.

Für das Verfahren gegen Josef S. werteten die Ermittler unter anderem Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv Berlin und der Stasi-Unterlagenbehörde aus. Die Tätigkeit von S. ist demnach auf verschiedenen Unterlagen aus der Zeit vermerkt, auch dessen Beförderung zum SS-Rottenführer. Vorermittlungen hatte die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) geführt.

Angeklagter streitet ab

Josef S. streitet bislang alles ab. Am Donnerstag hatte er erklärt, er sei in der fraglichen Zeit Landarbeiter bei Pasewalk in Vorpommern gewesen. Zum Kriegsende sei er nach Kolberg abkommandiert worden, um als Zivilarbeiter Schützengräben zu schaufeln und Unterkünfte zu bauen.

Der Prozess soll am 9. Dezember mit dem 15. Verhandlungstag fortgesetzt werden. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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