Sheila Mysorekar, Vorsitzender der Neuen Deutschen Organisationen © Sedat Mehder

Interview mit Sheila Mysorekar

Im Wahlkampf wurden alle angesprochen, nur Migranten wurden konsequent ignoriert.

Auch der neu gewählte Bundestag bildet die Bevölkerung nicht ab. Insbesondere Menschen aus Einwandererfamilien sind deutlich unterrepräsentiert. Sheila Mysorekar, Vorstandsvorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, wirft im MiGAZIN-Interview einen kritischen Blick auf den Wahlkampf, auf die Wahlergebnisse und formuliert Forderungen an die künftige Regierung.

Freitag, 01.10.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.09.2021, 16:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

MiGAZIN: Die Bundestagwahl ist vorbei. Können Wählerinnen und Wähler mit Migrationserfahrung zufrieden sein mit den Wahlergebnissen?

Sheila Mysorekar: Eigentlich nicht. Keine Partei hat überzeugende Konzepte zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus vorgelegt. Darüber hinaus war im Wahlkampf deutlich zu sehen, dass keine Partei die Wähler:innen aus Einwandererfamilien im Blick hat – immerhin 7,4 Millionen Menschen. Es wurden verschiedene Wählergruppen angesprochen – Junge, Alte, Landbevölkerung, Mittelstand etc. -, aber diese Gruppe wird konsequent ignoriert. Dabei sind es mehr als AfD-Wähler:innen.

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Genaue Zahlen liegen noch nicht vor, doch auch in der kommenden Legislaturperiode werden Menschen mit ausländischen Wurzeln gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert sein im Bundestag. Welche Forderungen leiten Sie daraus ab?

„Wir sind im Öffentlichen Dienst unterrepräsentiert und auch in vielen Berufen. In der Politik ist es aber besonders schwerwiegend, da hier die Entscheidungen getroffen werden, die uns alle betreffen – und manche Themen geraten da in Vergessenheit.“

Nicht nur Menschen aus migrantischen Communities, sondern auch Frauen sind unterrepräsentiert. Bei den Grünen gibt es zumindest eine Frauenquote, aber keine Quote für Minderheiten. Wir sollten in jedem Lebensbereich darauf drängen, dass Männer und Frauen 50:50 repräsentiert sind, aber auch Menschen aus internationalen Familien entsprechend ihrem Anteil der Gesamtbevölkerung. Wir sind im Öffentlichen Dienst unterrepräsentiert und auch in vielen Berufen. In der Politik ist es aber besonders schwerwiegend, da hier die Entscheidungen getroffen werden, die uns alle betreffen – und manche Themen geraten da in Vergessenheit. Wir müssen Druck auf die Parteien ausüben, zumindest intern eine Quote oder eine Zielmarke einzuführen, und diese auch in den Listenplätzen bei Wahlen zu beachten.

Bei diesem Wahlkampf haben migrationspolitische Themen – Stichwort: Asyl oder Flucht – im Vergleich zu früheren Wahlen kaum eine Rolle gespielt. Fanden Sie das entspannend oder hätten Sie sich mehr Interesse gewünscht?

Kommt darauf an. Die Diskussion über Flucht und Asyl war in den letzten Jahren selten konstruktiv oder zielführend, sondern befeuerte in der Regel rassistische Ressentiments. Oft setzt die AfD den Ton für die migrationspolitische Debatte, und insofern bin ich froh, dass uns das dieses Jahr erspart geblieben ist. Aber dennoch brauchen wir eine echte Diskussion über Ideen und Visionen für eine postmigrantische Gesellschaft, an der alle teilhaben. Die Parteien hätten jetzt die Gelegenheit gehabt, ihre Wege zu einem positiven Zusammenleben und Teilhabe zu präsentieren. Bei manchen war es im Wahlprogramm versteckt, wie bei den Grünen, aber viel darüber geredet wurde nicht. Eine verpasste Chance, um bei Wähler:innen aus Einwandererfamilien zu punkten.

Auch der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung waren kaum Thema während des Wahlkampfs. Ist das schon Verharmlosung des Problems?

„Fast jede Woche wird eine neue rechtsradikale Gruppe in deutschen Sicherheitskräften aufgedeckt, aber die Empörung darüber bleibt aus. Rechtsextreme bauen feste Strukturen auf, aber die Politik reagiert nicht darauf.“

Fast jede Woche wird eine neue rechtsradikale Gruppe in deutschen Sicherheitskräften aufgedeckt, aber die Empörung darüber bleibt aus. Rechtsextreme bauen feste Strukturen auf, aber die Politik reagiert nicht darauf. Nicht einmal, als der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen wurde, gab es ein Umdenken. Meines Erachtens herrscht eine Art kollektive Negation gegenüber diesem Problem: die Entscheider:innen in diesem Land stecken den Kopf in den Sand. Nicht nur im Bezug auf Rechtsextremismus, sondern generell bezüglich Rassismus und strukturelle Diskriminierung. Die meisten deutschen Politiker:innen beharren auf der Lebenslüge, dass Rassismus mit Ende der Nazi-Herrschaft beendet worden sei. Aber das entspricht leider nicht der Realität. Es ist unerlässlich, dass die nächste Regierung dieses Problem aktiv angeht.

Von welchen Parteien bzw. welcher Koalitionskonstellation versprechen Sie sich mehr positive Impulse für das Einwanderungsland Deutschland?

Möglicherweise bei einer Ampelkoalition: Wenn sich die SPD mit den Grünen zusammentut, zünden vielleicht ein paar neue Ideen. Die Sozialdemokratie hat eigentlich eine starke internationalistische Tradition; in Kombination mit der grünen Forderung nach Vielfalt lässt sich vielleicht konstruktive Politik herleiten. Und die FDP müsste eigentlich wissen, dass Einwanderung gut für die Wirtschaft ist.

Die AfD hat im Bundesdurchschnitt mehr als zwei Prozentpunkte verloren, in manchen Bundesländern haben sie jedoch zugelegt. Wie müssen wir das lesen?

„Bei jeder Wahl bekommt die AfD rund 10 Prozent der Stimmen. In manchen Bundesländern ist sie die stärkste Kraft. Das heißt, rechtes und rechtsradikales Denken ist stabil in der Gesellschaft verankert.“

Bei jeder Wahl bekommt die AfD rund 10 Prozent der Stimmen. In manchen Bundesländern ist sie die stärkste Kraft. Das heißt, rechtes und rechtsradikales Denken ist stabil in der Gesellschaft verankert. Dagegen muss strategisch vorgegangen werden. Entsprechende Stellen, auch Nichtregierungsorganisationen, brauchen Geld und Unterstützung, um dies leisten zu können. Und die anderen Parteien sollten aufhören, mit rechten Parolen den AfD-Wähler:innen hinterherzulaufen. Die wählen lieber das Original.

Auch bei dieser Bundestagswahl haben Millionen Menschen an den Bundestagswahlen nicht teilgenommen, weil sie nicht deutsche Staatsbürger sind. Haben Sie einen Rat für die künftige Regierung?

Menschen, die seit mehreren Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sollten auch mitentscheiden dürfen, wie sie regiert werden, zumindest auf kommunaler Ebene. Des Weiteren sollten die Hürden für die Einbürgerung gesenkt werden. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Unsere Gesetze sollten dies widerspiegeln. (mig) Interview Leitartikel Politik

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  1. urbuerger sagt:

    Hier in Deutschland leben wir in einer Demokratie, in der jeder in ein Amt gewählt werden kann, der einen deutschen Pass hat!

    Wenn es Zuwenig Leute in der Regierung mit deutschem Pass und Migrationshintergrund gibt, liegt das an den Wählern und nicht nur an den Parteien und schon gar nicht an der Regierung selbst!

    Wie stellen sie sich das vor, für eine Demokratie, eine Quote aufzustellen, für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, wollen sie die Bürger dazu zwingen nach Quote zu wählen?

    Aus meinem Landkreis ist mir gut bekannt, dass es divers Politiker auf Kreis und Landesebene gibt, die einen Migrationshintergrund haben, aber es sind lange nicht so viele, um eine Quote daraus ableiten zu können, allein schon aus dem Grund, weil es nicht genug Anwärter auf politische Ämter gibt, die sich zur Wahl stellen, egal von welcher Partei oder auch, was in letzter Zeit auch schon des öfteren vorgekommen ist, als Parteilose!
    Mit Frauen sieht es âhnlich aus, man kann eine Quote nur erreichen, wenn es genug Anwärter gibt, die sich zu der Erfüllung der Quote eignen und zur Verfügung stellen!

    Gerade bei Frauen sieht es oft auch so aus, dass sie sich nicht aufstellen lassen wollen, um nicht als die Quotenfrau in ein Amt zu kommen, ob das so bei den Menschen mit Migrationshintergrund ist, kann ich leider nicht beurteilen!

    Ich bin nun Mal ein absoluter Urseutscher, meine Familie lâsst sich bis ins Jahr 714 n.Chr. in dieser Gegend verorten!
    Aber eines kann ich ihnen mit Sicherheit bestätigen, ich bin ein absoluter Befürworter, aus vielerlei Gründen, für die Migration in unser Land, da ich die Vielfalt für unbedingt nötig erachte. Allein schon deshalb, dass unser Land nicht auf dem Demographie Problem sitzen bleibt und demnächst nur noch so alte Säcke wie ich, hier herumlungern und den Jungen auf der Tasche liegen!

    In unserer Gegend werden Ü 60 jährige als „Alte Säcke“ bezeichnet, weshalb lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen hat aber etwas mit der Müllerszumft zutun!

    Nochmals zu den Quoten der Leute mit Migrationshintergrund und der Quote für Frauen in der deutschen Politik, wir müssen die Geduld aufbringen, bis die Bevölkerung uneingeschränkt dahinter steht und nicht, bis eine Quote erfüllt ist, nur wenn man den demografischen Weg seinen Lauf lâsst, wird sich auch hier etwas ändern, wie man dran sieht dass auch Transgender Personen gewählt wurden!!!