Gespräch mit Sabina Schutter
„Die Sommerschule wird die Bildungsunterschiede nicht ausgleichen“
Die „Sommerschule“ für Kinder und Jugendliche soll bundesweit pandemiebedingte Lernrückstände auffangen. SOS-Kinderdorf sieht das Programm in dieser Form kritisch, erklärt die Vorstandsvorsitzende Sabina Schutter im Gespräch.
Von Christine Ulrich Montag, 02.08.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.08.2021, 12:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Frau Schutter, ist die Sommerschule nicht sinnvoll, um verpassten Lernstoff nachzuholen?
„Wer zuhause viel Unterstützung bekam, ist jetzt noch weiter vorne, während benachteiligte Kinder das Bildungsdefizit noch weiter nach hinten drängt.“
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Sabina Schutter: Die Pandemie hat die Bildungsungleichheit verschärft. Wer zuhause viel Unterstützung bekam, ist jetzt noch weiter vorne, während benachteiligte Kinder das Bildungsdefizit noch weiter nach hinten drängt. Es muss also die Möglichkeit geben, Lerninhalte nachzuholen und mehr Gleichheit herzustellen. Aber: Mit der Sommerschule, so wie sie konzipiert ist, wird das nicht gelingen. Sie wird die Bildungsunterschiede nicht ausgleichen, weil sie dem gleichen Muster der Bildungsvermittlung folgt wie die reguläre Schule.
Kinder waren in der Pandemie eine Verschiebemasse – Kitas und Schulen wurden auf- und zugemacht, und nie wurde gefragt, was die Kinder wollen. Sie wurden auch nicht gefragt, wo ihre Ängste sind – dabei haben gerade die Älteren mitbekommen, dass eine tödliche Pandemie grassiert, die etwa auch ihre Eltern treffen könnte. Ich denke, dieses Trauma ist relevanter als das, was sie in der Schule verpasst haben. Die Sommerschule ist eine zu kurz gesprungene Antwort darauf.
Was sollte die Politik stattdessen anbieten?
„Die Pandemie hat leider auch gezeigt, dass die Gesellschaft in Ausnahmesituationen – zack – wieder in die alten Muster verfällt.“
Sabina Schutter: Es geht darum, vielfältigere Bildungsformen zu verankern, also formelles und informelles Lernen zu verbinden. Informelles Lernen findet in Lebenszusammenhängen statt. Wenn es gelänge, neue Lernformen in der Schule zu etablieren, könnte man bei allen Belastungen sogar aus Corona noch einen positiven Effekt ziehen. Es wäre doch toll, das im Sommer auszuprobieren: Spiele, Aktionen, gemeinsame Projekte statt Schule wie gehabt.
Die Pandemie hat leider auch gezeigt, dass die Gesellschaft in Ausnahmesituationen – zack – wieder in die alten Muster verfällt. Es braucht mehr politischen Gestaltungswillen. Dazu gehört auch, ein paar Jahre vorauszudenken und einen Handlungsplan zu entwerfen – etwa dafür, dass Kleinbetriebe wegen Corona keine Azubis mehr einstellen. Es braucht Maßnahmen, damit die jungen Leute nicht das Gefühl bekommen, die „Generation Corona“ zu sein.
Sie berufen sich bei der Ablehnung der Sommerschule auf das UN-Kinderrecht auf Freizeit und Erholung. Was beinhaltet dieses – und was heißt es, dass es die Kinderrechte immer noch nicht ins Grundgesetz geschafft haben?
Sabina Schutter: Freizeit und Erholung bedeuten auch eine Art von Lernen: dass ich mein Leben anders kennenlerne. Die Schüler, die in diesen Corona-Jahren Abitur gemacht haben, machen eher kein „gap year“ im Ausland oder mit Interrail. Dabei bedeutet gerade so eine Auszeit, Lebenserfahrung zu sammeln, sich neu auszurichten, etwas selbstbestimmt zu machen. Wir Erwachsenen verzichten auch nicht auf unseren Urlaubsanspruch.
Dass die Kinderrechte nicht in diesem Entwurf im Grundgesetz gelandet sind, ist besser so. Denn darin wären keine Beteiligungsrechte dabei gewesen, denn darin wären keine Beteiligungsrechte dabei gewesen, also keine direkten Einflussmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche beispielsweise analog zum Wahlrecht für Erwachsene. Dabei wird doch immer gefordert, dass sie Demokratie lernen sollen. Ich denke, dass in der neuen Legislaturperiode ein neuer Anlauf mit einem besseren Entwurf gelingt. Der Diskurs über Kinderrechte ist so weit fortgeschritten, dahinter geht es nicht mehr zurück. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama
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