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Kien Nghi Ha, Asien, asiaten, rassismus, kulturwissenschaftler
Kien Nghi Ha © privat, Zeichnung MiG

Essay

BIPoC – Der Elefant im Raum

BIPoC bürgert sich zunehmend ein. Dabei kann er als dreigeteilter „fake umbrella term“ keine Lösung anbieten. Der PoC-Begriff ist besser. Er widersetzt sich dem rassistischen Teile-und-Herrsche-Prinzip.

Von Donnerstag, 15.07.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.07.2021, 17:04 Uhr Lesedauer: 21 Minuten  |  

Laut der New York Times hat sich ausgehend von einem shout out-Tweet in der Schwarzen, queeren, sex positive Community in Toronto aus dem Jahre 2013 in vielen anti-rassistischen Zusammenhängen, aber teilweise auch darüber hinaus, die Redeweise BIPoC für „Black, Indigenous, People of Color“ eingebürgert. Die Dynamik sekundenschneller Kurzmitteilungsdiskurse in der flüchtigen Social-Media-Aufmerksamkeitsökonomie mit ihrer Macht des Trendsettings spielte dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.1 Journalist:innen haben den Sommer 2020 als Trendwende ausgemacht, als mit der Welle der globalen Anteilnahme an BLM und der überwältigenden emotionalen Betroffenheit angesichts der qualvollen Ermordung George Floyds Schwarze Betroffenheiten uneingeschränkt, vielleicht sogar ausschließlich, im Fokus anti-rassistischer Kämpfe standen.

In dieser Zeit fanden die Forderungen von BLM sogar in vermeintlich „unpolitischen“ Kreisen sowie bei einigen Konservativen Zustimmung. Dass in dieser Situation Schwarze Perspektiven eine besondere Wertschätzung und Anerkennung erfahren, ist selbstverständlich. Es war nicht die Zeit langwieriger Diskussionen oder des kritischen Abwägens in den identitätspolitischen Widerstandsreaktionen auf die komplexen historischen Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, Rassismus, Sexismus und Kapitalismus. Das politische Bedürfnis, sofort uneingeschränkte Solidarität in der erwünschten oder eingeforderten Weise zu zeigen, überwog eindeutig und schob alles andere zur Seite. Das sonst als unabdingbar angesehene kritische Nach- und Hinterfragen von Positionen und Perspektiven kam vielen im Ausnahmezustand gar nicht erst in den Sinn, erschien als unsittliche Pietätlosigkeit oder wurde als verinnerlichter Rassismus gegen Schwarze durch Selbstzensur unterdrückt. Auch das Aufkommen der cancel culture hat kritische Hinterfragungen von populären Dogmen und starken Überzeugungen nicht leichter gemacht.2

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People of Color-Begriff durch Black Movement geprägt

„Während Black das spezifische Begehren nach kultureller, ästhetischer, sozialer und politischer Aufwertung Schwarzer Identität vereinte, drückte People of Color als umbrella term für eine grenzüberschreitende Interessensgemeinschaft den politisch-strategischen Wunsch nach Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen rassistisch unterdrückten Minderheiten aus.“

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Die begriffliche Konstruktion BIPoC drückt ein Gefühl des Unbehagens nicht nur, aber vor allem in Teilen der Schwarzen Community aus, wo Fragen des Übersehenwerdens den Begriff „People of Color“ (PoC) seit seiner Einführung etwa durch Martin Luther King in den 1960er Jahren begleiten.3 Trotz partieller Kritik – etwa aus afrozentristischen und nationalistischen Kreisen — popularisierte er sich in den USA in den 1970er-Jahren immer mehr, weil er nicht nur für andere rassifizierte Communities, sondern auch für die Schwarze wichtige Funktionen hat. Schwarze Menschen, die sich ausdrücklich mit anderen rassistisch unterdrückten Communities solidarisierten, fingen an, sich im Kontext gemeinsamer Kämpfe auch als Teil der PoC-Community zu begreifen. Entgegen des gegenwärtig dominierenden Bildes sind Schwarz und PoC keine gegensätzlichen oder sich ausschließenden Kategorien. Und es war kein Zufall, dass eine gemischte Gruppe um die Schwarze Feministin Loretta Ross 1977 auf der National Women‘s Conference erstmalig den Begriff Women of Color prägte.

Zeitlich parallel zum historisch belasteten Begriff „black“, wurde auch die koloniale Bezeichnung „people of color“ im Kontext anti-rassistischer Kämpfe als Selbstbenennung neu angeeignet und durch Großschreibung als emanzipatorische Subjektwerdung markiert. Beide Begriffe reflektierten Bedürfnisse in der Schwarzen Community: Während Black das spezifische Begehren nach kultureller, ästhetischer, sozialer und politischer Aufwertung Schwarzer Identität vereinte, drückte People of Color als umbrella term für eine grenzüberschreitende Interessensgemeinschaft den politisch-strategischen Wunsch nach Solidarität und Zusammenarbeit mit anderen rassistisch unterdrückten Minderheiten aus. Obwohl Gegner:innen dies häufig behaupten, ist der PoC-Begriff an sich – etwa im Unterschied zu Black oder Latinx – keine kulturelle Identitätsform. Rassifizierte Menschen können sich aber natürlich politisch als PoC identifizieren, wenn sie es möchten, um in bestimmten Situationen ihre Solidarität und Verbundenheit zu betonen.

Im Unterschied zu partikulären Interessen und Perspektiven unterstreicht der PoC-Ansatz die vielfältigen Verbindungen und Überschneidungen zwischen singulär erscheinenden Kämpfen und bietet ein gemeinsames Narrativ und Framing für alle rassistisch unterdrückten Gruppen an.4 Es wäre eine Karikatur der historischen Entwicklung, wenn retrospektiv mit grobkörnigen oder interessegeleitetem Blick Black und People of Color als Gegensätze konstruiert werden oder so getan wird, als ob Schwarze der PoC-Begriff aufgezwungen wurde oder sie in Communities of Color untergeordnet wären. Beide Begriffe ergänzen sich, um je nach inhaltlichem oder politischem Kontext spezifische und/oder gemeinsame Interessen wie Betroffenheiten in den Fokus zu rücken.

Keine Identität ohne Differenz

„Der BIPoC-Begriff kann als dreigeteilter „fake umbrella term“ prinzipiell keine Lösung dafür anbieten, sondern verschärft nur bestehende Probleme und schafft neue.“

Kollektive Selbstbilder, Bedürfnisse und Affektionen sind selbst in einer Community nie einheitlich und unterliegen permanenten historischen Veränderungen. Der BIPoC-Begriff kann als dreigeteilter „fake umbrella term“ prinzipiell keine Lösung dafür anbieten, sondern verschärft nur bestehende Probleme und schafft neue. Das zeigt die fortschreitende Entwicklung von teilweise sich widerstreitenden Selbstbezeichnungen mit ihren sich ständig verschiebenden Positionalitäten, die zeit- und kontextabhängig unterschiedliche Identitätsbezüge und Interessen betonen: Negro, Négritude, African, Black, Afro- und African-American, Blackness bis hin zum Nigga oder ähnlich komplex Pan-Indianism, American Indian, Red Power, Native American, First Nations, Indigenous, Inuits und Métis sind nur die bekannteren Markierungen auf dieser kulturellen Kartografie. Wie die interne Diskussion zwischen den Begriffen „Black“ und „African American“ (mit und ohne Bindestrich) im Kontext der PoC-Kritik innerhalb der Schwarzen Community zeigt, geht es nicht so sehr um richtig oder falsch, sondern vielfach um persönliche kulturelle und politische Präferenzen der Selbstidentifikation, die Verschiebungen, Zwischenstadien und auch ein Sowohl-als-auch kennt.

Jeder Identitätsbegriff ist unauflösbar mit Fragen und Problemen der Nicht-Identifikation und der Nicht-Repräsentation, aber auch des sich Nicht-Repräsentiert-Fühlens verbunden. Diese Kritik kann letztlich nur durch Verzicht auf jegliche Form von Gruppenidentität aufgelöst werden und zeigt nicht zuletzt die Fragilität und Widersprüchlichkeit individueller Identitätsentwürfe und Selbstbilder auf, wenn wir den Gedanken konsequent zu Ende denken. Vor dem Hintergrund interner Differenzen in jeder Gruppe und Teilgruppe bis hin zum uneinheitlichen Ich ist der Vorwurf, dass der PoC-Begriff die Differenzen zwischen verschiedenen Communities nicht anerkennt, kaum überzeugend, da keine Gruppenbezeichnung das Spannungsverhältnis zwischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden auflösen kann. Selbst zwischen urbanen lesbischen Schwarzen Frauen in der Mittelschicht mit Harvard Universitätsabschluss gibt es keine einheitliche Identität ohne bedeutsame Differenzen.

Schwarze Unsichtbarkeit oder die Kosten und Nachteile des Sharings

„Zeitlich fällt auf, dass mit der globalen Prominenz und dem Erstarken von BLM in der US-Politik sich anscheinend auch die Kräfteverhältnisse innerhalb der Schwarzen aktivistischen Gemeinschaft verschoben haben und das historische Bündnis mit anderen Communities of Color an Attraktivität und Überzeugungskraft verloren hat.“

Schon bei der Einführung und Aneignung des Begriffs „People of Color“ gab es in Teilen der Black Movement Stimmen, die sich mit und in diesem Begriff nicht repräsentiert fühlten. Diese Stimmen sind lauter geworden, seit in den letzten Jahren mit der zunehmenden Sichtbarkeit systemischer Gewalt gegen Schwarze auch der Wunsch und die politische Dringlichkeit wächst, dieses Thema als absolute Top-Priorität festzuschreiben. Zeitlich fällt auf, dass mit der globalen Prominenz und dem Erstarken von BLM in der US-Politik sich anscheinend auch die Kräfteverhältnisse innerhalb der Schwarzen aktivistischen Gemeinschaft verschoben haben und das historische Bündnis mit anderen Communities of Color an Attraktivität und Überzeugungskraft verloren hat. Da es nicht mehr oder nicht in gleicher Weise notwendig erscheint, werden die politischen „Kosten“ und „Nachteile“ des Bündnisses jetzt anders wahrgenommen und gewichtet. Mit dem Gefühl der zunehmenden eigenen Stärke wächst auch der politische Führungsanspruch, so dass die bemerkenswert aggressive Rhetorik gegen den als nachteilig empfundenen People of Color-Sharing-Ansatz mit der Hochzeit von BLM im Sommer 2020 zusammenfällt.5

Ungeachtet der tatsächlichen Begriffsgeschichte und der führenden Stellung Schwarzer Akteur:innen und der Black Movement in PoC-Zusammenhängen stellen Interessierte ihr Gefühl bzw. ihre Befürchtung in den Raum, dass spezifische Schwarze Erfahrungen in ihrer Besonderheit unsichtbar gemacht oder gar ausgelöscht würden – was einen extrem gewaltvollen Effekt impliziert. Dabei bezieht sich das PoC-Konzept nicht auf spezifische Betroffenheiten, so dass bspw. für den modernen transatlantischen Handel mit versklavten Afrikaner:innen oder für die Genozide gegen Natives und Indigene auf den amerikanischen Kontinenten andere Bezeichnungen präziser sind.

Die Angst mag real sein, aber als Argument ist es schwer nachvollziehbar, da das nicht ausschließliche PoC-Konzept einfach, leicht verständlich und sprachlich flexibel ist, so dass unklar bleibt, warum der PoC-Begriff überhaupt missverstanden werden kann: Er bezieht sich auf rassistische Effekte, die alle Rassifizierte ähnlich oder gleichermaßen betreffen, und er lässt sich mit anderen Gruppenbezeichnungen kombinieren, wenn eine oder mehrere Communities besonders stark oder anders betroffen sind. Da die Markierung „of Color“ an andere gegenderte, soziale, sexuelle und kulturelle Kategorien angehängt werden kann, können so auch komplexe Identitätskombinationen oder besondere Gruppenkonstellationen wie muslimische Queers of Color, die mehrheitlich Schwarz sind, einfach ausgedrückt werden.

Schwarze Perspektiven zentral und führend in PoC-Bündnissen

Die Befürchtung einiger vornehmlich Schwarzer US-Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen durch den PoC-Ansatz unsichtbar gemacht zu werden,6 war historisch immer schon fragwürdig, und die medialen Diskussionsforen wirken nicht immer unparteilich, sondern gleichen teilweise einer Kampagne mit einer politischen Agenda.7

Die heutigen und früheren anti-rassistischen Bewegungen, gerade in westlichen Migrationsgesellschaften, wären ohne die Vorbildfunktion Schwarzer Communities mit ihren großartigen intellektuellen, künstlerischen und politischen Inspirationen in dieser Form überhaupt nicht denkbar. Schwarze Erfahrungen mit Versklavung, Kolonialismus und systemischem Rassismus standen immer im Mittelpunkt gemeinsamer Kämpfe. Sie waren und sind nach wie vor auch für andere Communities von so zentraler Bedeutung, dass es eher notwendig ist sich zu fragen, ob der unglaublich große und zugleich auch wichtige Einfluss Schwarzer Perspektiven nicht zu ungleichgewichtigen Entwicklungen, Abhängigkeitsverhältnissen und einer gefährlichen Zentrierung führt, die gleichberechtige Dialoge und gegenseitige Lernprozesse zwischen Communities of Color schwierig bis unmöglich machen.

Die Frage, was andere rassifizierte Communities von Schwarzen Bewegungen lernen können, erscheint einleuchtend und wird häufig automatisch gestellt. Aber was Schwarze Aktivist:innen von anderen marginalisierten Communities und ihren politischen Kämpfen lernen können, erscheint demgegenüber weit weniger relevant.

Divide and Rule

„Der PoC-Begriff widersetzt sich dem rassistischen Teile-und-Herrsche-Prinzip und betont die gemeinsamen Erfahrungen aller Menschen, die von Rassismus betroffen sind. „

Der PoC-Begriff widersetzt sich dem rassistischen Teile-und-Herrsche-Prinzip und betont die gemeinsamen Erfahrungen aller Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Obwohl der Ansatz eine universalistische Perspektive für die „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) anbietet und alle Betroffenen empowert, ist er flexibel und hat keinen Ausschließlichkeitsanspruch.8 Wie die Beispiele oben verdeutlichen, lässt der PoC-Begriff Raum für die Anerkennung und Artikulation von Differenzen und ist dadurch auch innerhalb marginalisierter Zusammenhänge ansatzweise machtsensibel. Im Gegensatz dazu betont das BIPoC-Konzept verschiedene Gruppen, deren Erfahrungen nicht nur als distinkt, sondern auch als unterschiedlich wichtig angesehen werden, so dass einige besonders hervorgehoben werden müssen. Die Schwarze Pressesprecherin Kizha Davidson der Young Women’s Christian Association (YWCA) begründet die offizielle Verwendung des Begriffs in ihrer Organisation wie folgt:

„The term ‚BIPOC‘ is more descriptive than people of color or POC. It acknowledges that people of color face varying types of discrimination and prejudice. Additionally, it emphasizes that systemic racism continues to oppress, invalidate, and deeply affect the lives of Black and Indigenous people in ways other people of color may not necessarily experience. Lastly and significantly, Black and Indigenous individuals and communities still bear the impact of slavery and genocide. BIPOC aims to bring to center stage the specific violence, cultural erasure, and discrimination experienced by Black and Indigenous people. It reinforces the fact that not all people of color have the same experience, particularly when it comes to legislation and systemic oppression.“

Im BIPoC-Ansatz werden also bestimmte historische Kollektiverfahrungen als besonders wichtig anerkannt, während andere Erfahrungen wie etwa mit der US-Kolonialisierung der Philippinen, die Eroberung des indigen-mexikanisch geprägten Südwestens der USA, dem US-Imperialismus in Lateinamerika, der Internierung der japanischen Minderheit während des Zweiten Weltkriegs oder die spezifisch anti-muslimische Gesetzgebung in diesem Kontext unerwähnt bleiben und dadurch unsichtbar gemacht werden. Die klischeehafte Vorstellung, dass bestimmte Formen des Rassismus immer schwerwiegender und daher allgemein relevanter seien, ignoriert schlicht die historische und sozio-kulturelle Komplexität der miteinander verwobenen Rassismen.

Rassismen sind immer spezifisch, besonders relevant und miteinander verbunden

So macht das einfache Bild der Schwarz-Weiß-Binarität im US-Kontext nicht nur die Genozide gegen Native Americans unsichtbar. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen, dass alle rassifizierte Communities spezifische Formen des systemischen Rassismus erfahren, die Kizha Davidson in ihren Ausführungen nicht bedenkt: Sie übersieht etwa, dass auch die Entrechtung chinesischer Migrant:innen und später aller anderen Asians in den USA eine besondere historische Dimension und Relevanz haben, die miteinander in differenzierter Verbindung stehen. Mit dem Nationality Act von 1790 wurde das Einbürgerungsrecht zunächst auf freie Weiße beschränkt. 1848 erhielten Mexikanisch-Stämmige, 1868 Schwarze und bis 1924 alle Indigenous People dieses Recht. Nur Asians, die als einzige „rassische“ Gruppe durch die Ausweitung des Chinese Exclusion Act (1882) zum Asian Exclusion Act (1924) bereits von der Einwanderung in die USA ausgeschlossen wurden, wurden bis 1952 offiziell als „alien ineligible to citizenship“ („rassisch“ untauglich für die US-Staatsbürgerschaft) definiert. Auch in diesem Fall waren Asians als einzige und letzte Bevölkerungsgruppe von einer „exzeptionellen“, d.h. spezifischen Entrechtung betroffen. Diese Gesetze sind aber auch in den USA nur wenigen bekannt, und das Thema „anti-asiatischer Rassismus wird gesellschaftlich wie in PoC-Zusammenhängen kaum bearbeitet.

Obwohl die Versklavung afrikanischer und indigener Menschen eine besondere Form der lebenslänglichen wie entmenschlichten Ausbeutung kolonialisierter Gemeinschaften ist, weist sie neben wichtigen Differenzen auch bedeutsame Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mit anderen kolonialen Zwangsarbeitsformen auf. So steht die imperiale Kuli-Ökonomie mit ca. 3,7 Millionen (andere Schätzungen gehen von weit höheren Zahlen aus) entrechteten Indentured Servants aus Indien und China über den weit weniger erforschten Yellow Pacific und Brown Atlantic in direkter Relation zur Sklaverei. Der rechtliche und in der Theorie grundsätzliche Unterschied zur Versklavung minimierte sich jedoch in der alltäglichen Lebensrealität drastisch, da viele „Kulis“ entführt und in diese Dienste gepresst wurden, ihre minimalen Rechte häufig nur auf dem Papier bestanden und nicht einklagbar waren. In den meisten Fällen wurden diese Arbeiter*innen (meist Männer) nicht besser als Versklavte und in vielen Ländern sogar schlechter behandelt.9 Die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft war zeitlich begrenzt, so dass im Unterschied zum Versklavten ihr Überleben zur Wahrung von langfristigen Besitzrechten und Nutzungsinteressen auf der Plantage oder in den Minen keine Rolle spielte.

„Trotz der Euphemismen wie anders oder besonders ist es offensichtlich, dass der BIPoC-Begriff nicht inklusiv, sondern hierarchisch und exklusiv ausgerichtet ist.“

Statt Exzeptionalismus wäre es daher weitaus sinnvoller verwobene historische Realitäten in ihrer ganzen Komplexität anzuerkennen. Jede Form – und nicht nur anti-Schwarze und Anti-Indigenous Formen – des Rassismus ist wichtig und besonders relevant. Der BIPoC-Begriff fragt aber nicht danach, welche rassistische Erfahrungen Schwarze und Indigene nicht gemacht haben und was es bedeutet, wenn durch die perspektivische Engführung andere Erfahrungen mit systemischem Rassismus und kultureller Auslöschung aus dem Fokus des Anti-Rassismus fallen. Im Gegensatz zum PoC-Ansatz werden nicht alle Rassismus-Erfahrungen miteinander verbunden und in einen egalitären wie gemeinsamen Rahmen eingebettet. Trotz der Euphemismen wie anders oder besonders ist es offensichtlich, dass der BIPoC-Begriff nicht inklusiv, sondern hierarchisch und exklusiv ausgerichtet ist.

Wenn uns eine emanzipatorische und befreiende anti-rassistische Bewegung wichtig ist, dann ist es natürlich notwendig, über die Gefahren dieses Ansatzes zu sprechen. Ich erinnere mich an die Fabel Animal Farm von George Orwell, in dem das Umschlagen von einem revolutionären Projekt zur Dystopie von dem Leitgedanken „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher“ ausgeht. In unserem Kontext lautet die Maxime „Alle Erfahrungen mit Kolonialismus und Rassismus sind speziell, aber manche sind spezieller“.

Opferhierarchien sind unhaltbar, repressiv und kontraproduktiv

Offensichtlich nimmt der BIPoC-Ansatz nicht mal seine eigene Kritik am PoC-Begriff ernst, denn logisch und argumentativ macht es keinen Sinn, nur Schwarze und Indigene auszuklammern, um alle anderen weiterhin als Personen of Color zu bezeichnen. Wenn der PoC-Begriff Schwarze Geschichte unsichtbar macht, warum macht er nicht die Geschichten der asiatischen oder muslimischen Communities unsichtbar? Oder andersherum gefragt: Vielleicht macht der PoC-Begriff auch asiatisch-muslimische Diasporageschichten unsichtbar, aber warum akzeptiert der BIPoC-Ansatz das dann? Konsequent und ehrlich wäre es, sich gänzlich vom PoC-Ansatz zu verabschieden und offensiv Interessen von Einzelgruppen zu betonen.10 Dann könnten wir uns zumindest transparent mit dem Problem auseinandersetzen, wie am besten mit der Reproduktion vom internalisierten divide and rule umgegangen werden kann.

Stattdessen gibt der BIPoC-Ansatz vor, eine solidarische Politik zu verfolgen. Das ist aber gar nicht möglich, denn durch das Hervorheben von bestimmten historischen Gruppenerfahrungen als „besonders“ wird eine Wertigkeit und Rangfolge rassistisch unterdrückter Communities vorgegeben. Das ist aber eine Politik, die auf der Basis von Opferhierarchien operiert. Opferhierarchien sind nicht nur unproduktiv und repressiv, weil sie eine feste Ordnung vorgeben und einen Führungsanspruch implizieren. Sie stellen auch eine moralische Bankrotterklärung dar, weil sie methodisch, normativ und politisch nicht zu verteidigen und nicht mit emanzipatorischen Vorstellungen vereinbar sind.

„Dieser Logik folgend müsste eigentlich auch entschieden werden, ob Versklavung oder Genozid am exzeptionellsten ist.“

Wie wollen wir messen und vergleichen, ob anti-afrikanische Versklavung und anti-indigene Genozide „exzeptioneller“ im Verhältnis zu „gewöhnlichen“ rassistischen Pogromen, „alltäglicher“ kolonialer Zwangsarbeit oder „normalen“ imperialistischen Eroberungs- und Vernichtungszügen sind, ganz zu schweigen vom Holocaust. Dieser Logik folgend müsste eigentlich auch entschieden werden, ob Versklavung oder Genozid am exzeptionellsten ist. Wenn wir unterschiedliche Unterdrückungserfahrungen nicht messen können und es unmöglich ist, diese normativ zu vergleichen oder – wie Black, Indigenous, People of Color es macht – in einem hierarchischen Verhältnis mit unterschiedlichen Privilegien der Sichtbarkeit zu ordnen, wie können wir widerspruchsfrei bestimmen, wie und warum welche kollektiven historischen Erfahrungen besonders anders sind? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die politische Praxis und die Zielsetzungen anti-rassistischer Politik?

Exklusive Emanzipation

Wie es aussieht, ist BIPoC mehr als eine alphabetische Reihenfolge und auch mehr als reine Symbolpolitik. Die Kontroverse um Bezeichnungen wäre nicht so gravierend, wenn Begriffe nicht auch Auswirkungen auf politische Denkmuster, Perspektiven und Inhalte hätten. Beim vielzitierten BIPOC Project fällt etwa auf, dass unklar bleibt, wie die mehrfach beklagte „Native invisibility“ sich zur ebenfalls betonten „Black/white binary“ verhält. Da diese Binarität sich als „anti-Black, white supremacist society“ manifestiert, stellt sich zudem die Frage, ob solche theoretischen Inkonsistenzen nicht zur Verstärkung von „Native invisibility“ führen, die anscheinend auch im Projektteam reproduziert wird. Während bei den „Solidarity Principles“ noch von „Uplift Native and Black Humanity“ die Rede ist, konzentriert sich die tatsächliche Bildungsarbeit auf „Building Black Power: Dismantling Anti-Blackness in Our Institutions and Movements“.

Das Thema kann natürlich bearbeitet werden und das Ziel ist absolut legitim, aber es stellt sich die Frage, wo Indigenous und People of Color konkret beim BIPOC Project bleiben und ob sie unsichtbar gemacht werden. Wenn es um ein Black Project geht, dann sollte es ehrlicherweise auch so genannt werden, um Missverständnisse und Verwirrungen zu vermeiden. Tatsächlich ist es so, dass „BIPOC centers Black and Indigenous people“, wobei diese Zentrierung ungeklärte Probleme aufwirft, die grundsätzlicher Natur sind. Wie diese Beispiele nahelegen, gibt es eine Zentrierung innerhalb der Zentrierung, und es besteht die Gefahr, dass Black Lives Matter in einer Form verstanden wird, die auf exklusive Emanzipation hinausläuft.

Dieser Text ist ein leicht erweiterter Auszug aus dem Essay Machtkritische Solidarität? Anti-asiatische Gewalt und interkommunale Allianzen. In: Kien Nghi Ha (Hg.) (2021): Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond. Berlin-Hamburg: Assoziation A. S. 418-459. Die stark erweiterte Neuauflage des 2012 erstmals veröffentlichten Sammelbandes ist soeben erschienen. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums wird dieser Meilenstein für die asiatisch-deutsche Bewegung am 8. Juli 2021 in Berlin mit einer Community-Buchlaunchparty in Kooperation mit korientation. Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven e.V. gefeiert. Siehe auch das MiGAZIN-Gespräch zwischen Kien Nghi Ha und Deniz Utlu über die Bedeutung von „Asiatische Deutsche“, Community und Coalition Work.

  1. Social Media hat Vor- und Nachteile, aber wir sollten es nicht als offenen Raum für herrschaftsfreie und demokratische Diskurse idealisieren: Stimmen werden auch dort unabhängig von ihren Argumenten aufgrund ihrer Reichweiten und ihres soziokulturellen Kapitals verschieden gewichtet. Inszenierungen, Vermarktungsstrategien; Opportunismus und das Phänomen von Rudelbildungen, gefördert durch charismatische oder manipulative Führungspersönlichkeiten, sind dort natürlich nicht unbekannt.
  2. Wenn wir die Französische Revolution ebenso wie die mörderische Entwicklung der Diskussionskultur in kommunistischen Bewegungen als extreme Fortführungen anschauen, wird zumindest klar, dass eine selbstgerechte wie ungehemmte Cancel Praxis toxische Probleme, halbinformierte Diffamierungen bis hin zum sozialen Tod den Weg ebnen kann.
  3. Eine Diskursanalyse des Politikwissenschaftlers Efrén Pérez im digitalen Archiv von vier Mainstream und drei Schwarzen Zeitungen seit 1960 zeigt, „the label ‚people of color‘ was created by — and for — African Americans and has evolved into an identity that politically mobilizes many nonwhites toward common goals“. Washington Post.
  4. Ausführlicher in meinem Beitrag „People of Color – Koloniale Ambivalenzen und historische Kämpfe“ in Ha/Samarai/Mysorekar 2007: S.31-40.
  5. So berichtet der Schwarze Autor Damon Young unter dem Titel „The Phrase ‚People of Color‘ Needs to Die“ über „my hate for the nebulous, jittery, and useless term“. Andere Schwarze Autoren insistieren nicht weniger bestimmt: „Why We Need to Stop Saying ‚People of Color‘ When We Mean ‚Black People‘“ (Joshua Adams, 17.10.2018), „Don’t Call Me A Person of Color: I’m Black“ (Seren Sensei, 21.05.2019) oder „Why the term ‚people of colour‘ is offensive to so many“ (Mohammed Adam, 11.06.2020) – nur um einige Beispiele zu nennen.
  6. Es gibt auch andere Positionen. Siehe etwa die weitsichtigen Ausführungen Schwarzer Intellektueller wie Ruth Wilson Gilmore und Lewis Gordon für einen universalistischen, nicht ausschließlich auf anti-Black issues fokussierten Ansatz und eine facettenreichere wie multi-perspektivische Diskussion über den PoC-Ansatz.
  7. So gibt der einflussreiche New-York-Times-Artikel in der Überschrift vor, eine Frage zu diskutieren: „Where Did BIPOC Come From? The acronym … is suddenly everywhere. Is it doing its job?“. Für die Antwort interviewt die Schwarze Journalistin vier Schwarze Wissenschaftlerinnen und Medienarbeiterinnen, deren kulturelle Identität nicht angegeben wird. Nur die Native American Aktivistin, die am Ende des Artikels auftaucht, aber nicht das letzte Wort hat, wird als solche markiert. Alle unterstützen einhellig den BIPoC-Ansatz. In diesem Kontext erscheint die Inklusion von Indiginous wie ein Tokeism, um die Dominanz Schwarzer Perspektiven zu kaschieren. Da Native Americans in den USA nur eine minimale diskursive Präsenz haben, spielen sie sowohl im US-Mainstream als auch innerhalb rassifizierter Räume nur eine untergeordnete Rolle und können zur Aufwertung eigener Positionen im Kampf um Deutungsmacht instrumentalisiert werden.
  8. Ausführlicher in meinem Beitrag „Mittelweg. Zur Kritik am People of Color- und Critical Whiteness-Ansatz
  9. „Many coolies were first deceived or kidnapped and, then kept in barracoons (detention centres) or loading vessels in the ports of departure, as were African slaves. Their voyages, which are sometimes called the Pacific Passage, were as inhumane and dangerous as the notorious Middle Passage of the Atlantic slave trade. Mortality was very high; it is estimated that from 1847 to 1859, the average mortality rate for coolies aboard ships to Cuba was 15.2 percent, and losses among those aboard ships to Peru were as high as 40 percent in the 1850s, and 30.44 percent from 1860 to 1863. They were sold and were taken to work in plantations or mines with very bad living and working conditions. The duration of a contract was typically five to eight years, but many coolies did not live out their term of service due to hard labour and mistreatment. Survivors were often forced to remain in servitude beyond the contracted period. The coolies who worked on the sugar plantations in Cuba and in the guano beds of the Chincha Islands (the islands of Hell) of Peru were treated brutally. Seventy-five percent of the Chinese coolies in Cuba died before fulfilling their contracts. More than two-thirds of the Chinese coolies who arrived in Peru between 1849 and 1874 died within the contract period. In 1860 it was calculated that of the 4000 coolies brought to the Chinchas since the trade began, not one had survived … The coolies were put in the same neighbourhoods as Africans and, since most were unable to return to their homeland or have their wives come to the New World, many married African women. … . Two scholars of Chinese labor in Cuba, Juan Pastrana and Juan Pérez de la Riva, substantiated horrific conditions of Chinese coolies in Cuba and stated that coolies were slaves in all but name.“ Wikipedia
  10. Der Schwarze deutsche Journalist Malcolm Ohanwe ist hier dankenswerter Weise ehrlich, wenn er in seinem „Service-Tweet zur Abkürzung BIPoC“ vom 23.02.2020 People of Color als „die restlichen Nicht-Weißen“ erklärt und damit die Logik des colonial divide zwischen „the West and the rest“ reproduziert, die unzweifelhaft eine abwertende Hierarchie etabliert. Ohne sich mit Fragen des divide and rule auseinanderzusetzen, schlug er am 12.08.2020 für Deutschland als neuen Oberbegriff SOJARME für „Schwarze, Osteuropäische, Jüdische, Asiatische, Roma- und/oder Muslimische Menschen & andere Ethnische Minderheiten“ vor. Warum dem Begriff Schwarz und nicht etwa jüdisch vorsteht, wird nicht erklärt, ebenso wenig die Gesamtlogik dieser Begriffsarchitektur.
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