Quarantäne und Notstand

Lampedusa ist wieder ein Hauptziel von Flüchtlingen

Wegen wachsender Spannungen in Tunesien und mangelnder Seenotrettung im südlichen Mittelmeer erreichen wieder so viele Flüchtlinge Lampedusa wie seit Jahren nicht mehr. Rufe nach mehr Rettungskapazitäten und legalen Fluchtrouten verhallen ungehört.

Von Freitag, 07.08.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.08.2020, 17:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Eine staubige Straße führt vom Hafen von Lampedusa durch vertrocknete Felder und Olivenhaine zum Flüchtlingslager. Das Tor ist verschlossen. Die Bewohner dürfen das Camp nicht verlassen, doch im hinteren Teil des Geländes gibt es seit jeher Löcher im Zaun. Wenn sie tatsächlich eingesperrt wären, würden die Spannungen unter den oft traumatisierten Flüchtlingen eskalieren, sagt die ehemalige Bürgermeisterin der Insel, Giusi Nicolini. Um die öffentliche Ordnung zu bewahren, seien die Löcher im Zaun immer toleriert worden.

Anlass zu Streit um einen Platz im Schatten oder eine der wenigen funktionierenden Duschen gibt es in diesem Sommer mehr denn je, denn das über 100 Plätze verfügende Lager beherbergt bis zu 1.200 Menschen. Traumatisierte Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten schlafen im Freien auf Matratzen ohne Laken. Aus Libyen und Tunesien kommen ständig neue Bootsflüchtlinge an. Allein im Juli waren es 5.000 Menschen. Ein Quarantäne-Schiff, das 700 Migranten aufnehmen sollte, musste wegen schlechten Wetters mit nur 350 Tunesiern an Bord wieder ablegen.

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Wieder mehr Flüchtlingsboote

Seitdem private Seenotrettungsschiffe in italienischen Häfen am Auslaufen gehindert werden, kommen wieder mehr Flüchtlingsboote aus eigener Kraft übers Meer – und erreichen Lampedusa. In den vergangenen Jahren waren Bootsflüchtlinge von Rettungsschiffen direkt nach Sizilien oder auf das italienische Festland gebracht worden.

Tunesier machen derzeit 40 Prozent der Ankömmlinge auf Lampedusa und auf dem italienischen Festland aus. In diesem Jahr waren es bereits 5.800. Auch Arbeitsmigranten aus anderen afrikanischen Ländern verlassen Tunesien wegen der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage, wie Barbara Molinario vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Rom erläutert. Vom kommenden Montag an will Italien Abschiebungen nach Tunesien mit zwei Charterflügen pro Woche wieder aufnehmen. Von den knapp 15.000 seit Jahresbeginn in Italien registrierten Ankömmlingen stammten 15 Prozent aus Bangladesch, sechs Prozent aus der Elfenbeinküste.

Viele Menschen ertrinken

Flüchtlinge, die gegen die Quarantäne verstoßen, schüren derweil auf Lampedusa Angst vor einer zweiten Corona-Welle. Der Einsatz von Quarantäne-Schiffen für Flüchtlinge stößt indes auf Kritik, da sich auf dem Kreutzfahrtschiff „Diamond Princess“ im Pazifik am Jahresanfang 700 Menschen angesteckt hatten.

Die vor knapp einem Jahr in Rom vereidigte Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte aus Demokraten und der Protestpartei Fünf-Sterne-Bewegung war angetreten, die von Ex-Innenminister Matteo Salvini gegen Flüchtlinge gerichteten Dekrete aufzuheben. Ein Gesetzentwurf zur Abschaffung der Strafen in Millionenhöhe für Seenotretter soll im September verabschiedet werden. In der Zwischenzeit ertränken viele Menschen weiter unbemerkt beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, kritisiert die ehemalige Bürgermeisterin von Lampedusa, die 2017 für ihren Einsatz für Flüchtlinge den Unesco-Friedenspreis erhielt. „Eine seriöse Regierung müsste den Menschen erklären, dass diese Ströme nicht versiegen werden“, sagt sie.

UN fordert alternative Fluchtrouten

Das UNHCR fordert, die Kapazitäten zur Seenotrettung wieder aufzubauen und alternative Fluchtrouten zu ermöglichen. „Libyen ist kein sicherer Hafen“, betont die UNHCR-Sprecherin Molinario unter Anspielung auf die Unterstützung europäischer Behörden für die sogenannte libysche Küstenwache, die teils von Milizen betrieben wird. Der heutige Bürgermeister von Lampedusa, Salvatore Martello, fordert die Ausrufung des Notstands, um schneller mit Sonderverordnungen auf die hohe Zahl an Flüchtlingen reagieren zu können. Notstandsregeln nährten aber Geschäftemacher und die Mafia, kontert seine Vorgängerin Nicolini.

In dem verschlafenen Stadtviertel rund um den Hafen wurden Flüchtlinge bereits beschimpft, die Insel sei kein Urlaubsort für sie. Auf Lampedusa machen vor allem Italiener aus der Lombardei und Venetien Urlaub, die afrikanisch anmutenden Strände mit italienischem Essen genießen möchten. (epd/mig) Ausland Leitartikel

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  1. Gerrit sagt:

    Recht hat sie, Frau Nicolini, die Ströme werden nicht versiegen, wenn das Flüchtlingsproblem weiterhin so gehandhabt wird.

    Ändern, vielleicht versiegen wird es erst, wenn Fluchtursachen beseitigt werden. Und das ist ein langer Weg. Den will keiner aus der Politik gehen.

    PolitikerInnen denken nur in Amtszeiten.

    Schäbig ist vor allem dieses gegenseitige „Ausspielen“ von Flüchtlingen und EInheimischen. Damit werden seitens der Politik bewusst Stimmungen erzeugt, nämlich gegen Flüchtlinge, die von der Politik als Rechtfertigung für eigenes Versagen genommen werden.