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Die Tönnies-Fleischfabrik in Gütersloh

Sorge um Ruf

Heil kündigt Gesetz zum Schutz von Fleischarbeitern an

Prekäre Beschäftigung, wenig Tierwohl: Die schlechten Arbeitsbedingungen in der Billigfleisch-Produktion stehen mehr denn je infrage. Bundesregierung, Länder und EU-Kommission dringen auf Veränderungen.

Montag, 29.06.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.07.2020, 17:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Angesichts des Skandals um die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) noch im Juli ein Gesetz zum Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit im Kernbereich der Branche vorlegen. Das sei „juristisch anspruchsvoll, aber machbar“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Wenn es nach ihm gehe, könne das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten. Er wolle das Thema auch im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung setzen, die am 1. Juli beginnt, kündigte Heil an.

Denn der Skandal beschädige auch Deutschlands Beziehungen in der EU, erklärte er: „Das schadet uns auch außenpolitisch“. Es gebe „in Europa erhebliche Diskussionen darüber, wie schlecht wir mit den rumänischen Landsleuten umgehen. Gleiches gilt in Bulgarien. Das müssen wir dringend ändern“, sagte der Minister.

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EU-Kommissar will Sozialstandards in Fleischbranche

Derweil hat sich die EU-Kommission eingeschaltet. Sie will gegen schlechte Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche vorgehen. EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit kündigte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe Leitlinien an, mit denen die Umgehung von EU-Sozialstandards europaweit verhindert werden solle. Falls sich die Praxis der Unternehmen dadurch nicht ändere, „werden wir prüfen müssen, ob wir gegebenenfalls mit einer Richtlinie dagegen vorgehen“.

Andere EU-Mitgliedsländer hätten bereits vor Jahren Beschwerden über die deutsche Fleischindustrie wegen unlauteren Wettbewerbs eingereicht, sagte Schmit. „Aber sozial schlecht abgesicherte und diskriminierte Saisonarbeitern gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Staaten, etwa in den Niederlanden oder in Südeuropa.“ Nach einer Übersicht der EU-Behörde für Krankheitsbekämpfung, aus der die Funke-Blätter zitieren, wurden in den vergangenen Wochen in mehreren europäischen Staaten Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen und Fleischfabriken registriert, darunter in Irland, Spanien und Großbritannien.

Fragwürdige Vorgehensweise

Schmit kritisierte eine fragwürdige Vorgehensweise von Unternehmen, die Saisonarbeiter nicht bei einem ausländischen, sondern bei einem inländischen Subunternehmen anstellten, so dass sie meist nicht unter die EU-Entsenderichtlinie fielen. Wenn dies der Fall wäre, würden gelten: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.“

Die EU-Kommission will das Thema nach Schmits Worten im Rat der EU-Mitgliedsstaaten ansprechen. „Wir müssen jetzt schnell handeln und können nicht jahrelang über Gesetzestexte reden“, sagte er. „Wir können nicht zulassen, dass zigtausende Arbeitnehmer durch das Netz fallen.“

Länder für mehr Arbeitsschutz

Auch Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse für die Beschäftigten in der Fleischindustrie ein. In einem gemeinsamen Zehn-Punkte-Plan fordern Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) unter anderem ein Verbot von Werkverträgen und Subunternehmerstrukturen, eine Erfassung der Arbeitszeiten, bessere Hygienestandards, menschenwürdige Unterbringung, schärfere und häufigere Kontrollen und deutlich höhere Bußgelder bei Verstößen. Sie fordern „konkrete rechtliche Vorgaben und klare Rahmenbedingungen“.

Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) wies darauf hin, dass die Arbeits- und Wohnbedingungen der überwiegend aus Bulgarien und Rumänien stammenden Arbeiter schon bekannt sind. Laumann beklagte, dass bislang alle Initiativen zum Verbot von Werkverträgen am Widerstand der Fleischindustrie und ihrer Lobby gescheitert seien, selbst von seiner eigenen Partei sei er immer wieder ausgebremst worden.

Klöckner: Tierwohlabgabe für faire Bezahlung

Auch die Gesellschaft habe sich bislang nicht sonderlich für die Menschen interessiert, die in der Fleischindustrie arbeiten. Jetzt sei er aber zuversichtlich, dass der Bundestag nach der Sommerpause gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen werde, die die Werkverträge in der Fleischbranche verbieten.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kündigte an, ein Preiswerbeverbot für Fleisch zu prüfen. Es gehe darum, dass Lockangebote für Fleisch aus ethischen Gründen untersagt werden sollten. Nach dem „Branchengespräch Fleisch“ am Freitag in Düsseldorf wiederholte Klöckner ihre Forderung nach einer „Tierwohlabgabe“ für Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte. Im Kurznachrichtendienst Twitter hatte Klöckner zuvor erklärt, was darunter zu verstehen ist. Dabei gehe es auch um „faire Bezahlung“. (epd/mig) Leitartikel Politik Wirtschaft

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  1. Gerrit sagt:

    Das Problem ist lange bekannt und was wurde getan? Die Politik hat die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Mißstände geschaffen. Und jetzt sind auf einmal alle total entsetzt, so als hätte niemand etwas davon gewusst? Das ist lächerlich und verlogen!

    Hoffen wir, daß dieses Mal endlich durchgegriffen wird. Aber die ersten Hintertürchen sind ja schon wieder im Gespräch. Frau Klöckner meinte unlängst, man müsse das behutsam angehen, damit sich die Fleischproduktion nicht in’s Ausland verlagert. Da muss man hart bleiben. Sollte es so kommen, können wir es leider nicht ändern. Beeinflussen können wir aber, wer dann Fleisch nach Deutschland verkauft (trotz EU, machen andere auch). Man muss es nur wollen!

    Frau Klöckner möge bitte einmal die Homepage ihres eigenen Ministeriums (BMEL) lesen … was steht dort über Tierwohl, gesunde Ernährung etc. etc.
    Fakt ist, noch nie wurden Tiere so gequält wie heute!

    Unlängst war zu lesen, daß Schlachthöfe in Kempten und Bamberg den Betrieb einstellen mussten, da die geschlachteten Tier nicht mehr zu TÖNNIES nach Gütersloh in die Zerlegung gefahren werden konnten. Da reden wir von Klimaschutz, wir reden von Verzicht/Einschränkung beim Auto, Fahrverboten in Innenstädten, E-Autos u.v.m. – gleichzeitig fahren wir geschlachtete Tiere über hunderte von Kilometern über die Autobahn quer durch die Republik. Erscheint mir irgendwie widersinnig.

    Wir haben jetzt die Chance, das System zu beenden zum Nutzen der Tiere, der dort arbeitenden Menschen, vieler ehrlich arbeitender landw. Betriebe und letztlich auch der Verbraucher. Die Politik muss es nur wirklich wollen und auch durchziehen – bitte keine Sprechblasen mehr!