Martin Hyun, Migazin, Autor, Vietnam, Rassismus
Martin Hyun © privat, Zeichnung MiG

Rassismus

Jetzt sind wir das Virus

Rostock, Mölln, Solingen, NSU, Asylunterkünfte. Solidarität. Lichterketten. Es sind nur Kanaken gestorben. Integrationsgipfel. Die Kadermigranten stehen Spalier - für Krümel. Heute sind wir das Virus, werden beleidigt und attackiert - für Freund und Helfer nicht der Rede wert.

Von Montag, 11.05.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 09.05.2020, 1:08 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Hoyerswerda 1991, Rostock-Lichtenhagen 1992, Mölln 1992, Solingen 1993.

Bahide, Yeliz, Ayşe – Ruhet in Frieden! Gürsün, Hatice, Gülistan, Hülya, Saime – Ruhet in Frieden!

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Die Bilder vom brennenden Asylantenheim in Rostock, Molotow Cocktail werfenden Menschen, Beifall klatschenden Passanten, die zu Mitläufer und Mittäter wurden, die Handlungsunfähigkeit der Polizei und die um ihr Überleben flehenden Vietnamesen in panischer Angst, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich habe Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Hoyerswerda und alle anderen Städte, in denen Menschen durch rechte Gewalt zu Opfer wurden, nicht verziehen.

Dann NSU – Aktenvernichtung, Urkundenunterdrückung, das Versagen deutscher Sicherheitsbehörden, der Zusammenhalt der Good Old Boys mit nationalkonservativen Werten – Deutschland, einig Vaterland. Es sind nur Kanaken gestorben.

Enver, Abdurrahim, Süleyman, Habil, Mehmet, Ismail, Theodoros, Mehmet, Halit und Michele – Ruhet in Frieden!

2020 – der Rassismus ist gesellschaftsfähig geworden. Asylunterkünfte brennen, Rechtsextreme sitzen in Parlamenten und hetzen – Hanau – 9 Menschen sterben. Trauerbeflaggung, Symbolpolitik, Scheindebatten – vergessen. Es sind nur Kanaken gestorben.

Ferhat, Mercedes, Sedat, Gökhan, Hamza, Kalojan, Vili, Said und Fatih – Ruhet in Frieden!

Der Neo-Nazi von heute ist Bankkaufman, der nette Nachbar von nebenan, der Lehrer, der Trainer, der Polizist, die Kindergärtnerin, der Kfz-Mechaniker, der Arzt, der Journalist, der Professor, der Social Media Manager, der Vertriebsleiter, der Personalchef. Ich bin nicht ausländerfeindlich, aber.

Solidaritätsbekundungen, Lichterketten, Hashtags und Gedenkstätten sind keine Antwort gegen Rassismus. Liebe kann man nicht erzwingen. Liebe kann man nicht verordnen. Kein Antidiskriminierungsgesetz verhilft jemanden dazu, einen anderen Menschen zu lieben.

Integrationsgipfel. Die Kadermigranten stehen Spalier, fühlen sich geschmeichelt von den Krümeln, die sie abbekommen. Fühlen sich gebauchpinselt und privilegiert am gleichen Tisch zu sitzen wie sie. Vergessen, die Leiter runterzulassen. Don’t rock the boat! Doch all das ist nur eine Frage der Zeit. Tische drehen sich.

Ich gehe mit meinen Schlitzaugen schlafen und wache morgens damit auf. Erzähl mir nicht davon, dass Du weißt, wie ich mich fühle oder es gut nachvollziehen kannst, wie es ist mit Schlitzaugen zu leben.

Sie mögen keine aufmüpfigen Schlitzaugen. Denn in ihren anachronistischen Weltbildern ist der Schlitzauge immer noch der lakaienhafte Diener, der stets lächelnd alles in Kauf nimmt und leicht herumgeschubst werden kann.

Und nun in Zeiten der Pandemie sind wir das Virus. Wir werden bespuckt, beleidigt und attackiert. Doch gegen Schlitzaugen sind solche Attacken und Beleidigungen kein Rassismus, wie die Polizei – dein Freund und Helfer – feststellt: „Der Vorfall hat weder nach seinen Umständen noch nach der Bedeutung der Folgen zu einer über den Lebenskreis der Beteiligten hinausgehenden Störung des Rechtsfriedens geführt. Die Strafverfolgung ist kein Anliegen der Allgemeinheit.“

Willkommen in Deutschland – im 21. Jahrhundert. Meinung

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  1. Almando Muzsurat sagt:

    Vielen Dank Herr Hyun für den Artikel, welcher die Sachlage detailliert beschreibt. Sie haben klar und deutlich mir und vielen anderen Menschen aus der Seele gesprochen! Einen großen Beitrag zum aktuellen Zustand in Deutschland haben diesbezüglich auch die, wie Sie es exakt formuliert haben, „Kadermigranten“ (auch bekannt als Haus-Türken, Haus-Araber oder Steigbügel-Festhalter der Deutschen) geleistet, welche durch öffentlich getätigte Äußerungen, Taten, Ansichtsbekundungen und Klarstellungen stets dafür gesorgt haben, dass sich gewisse Interessen verfolgende Deutsche nicht die Hände schmutzig machen müssen. Als Belohnung erhalten sie dann Aufmerksamkeit und Talkshow-Sendezeiten, dürfen Bücher schreiben welche dann von Systemmedien hochgepuscht werden und gelten dann auch als Maß der 100%-ig gelungenen Integration. Ai Weiwei hat diese Zustände sehr klar benannt und angesprochen und vor seinem Umzug von Berlin nach London stark kritisiert und als unaushaltbar proklamiert…seitdem hört oder liest man in Meinungsfreiheits-Weltmeister Deutschland nichts über ihn. Aus Gründen, wie NSU, AfD, NPD, Pegida, dem diesbezüglichen Rassismus, der Hetze und ganz schlimm: Der gesellschaftlichen und medialen Duldung unter dem heuchlerisch-verlogenen Deckmantel von Meinungsfreiheit und Demokratie möchten viele Türken wieder in die Türkei zurück. Das einzige Hindernis sind die eingezahlten Renten- und Krankenversichrungsbeiträge für das es eine Regelung geben muss. Die Türkei ist kein EU-Land und es Bedarf einer Regelung der vorab anteiligen Auszahlung einer Rente nach festgelegtem Wert für rückkehrwillige Türken, damit das aus ihrer Sicht in Deutschland ein Ende nimmt. Ja, die oben von Ihnen aufgelisteten Namen sind alles Kanacken-Namen, deshalb interessiert es keinen Deutschen, wie sehr Migranten in Deutschland unter der Gewalt, Hetze, Hassbekundung und dem Rassismus von AfD, NPD, Pegida, NSU und weiteren typischen deutschen Erscheinungen mit angeblicher Abdeckung mit der Meinungsfreiheit, dem GG, Verfassung und der Demokratie leidet. Leider!

  2. Nhu sagt:

    Danke für die Worte!

    Aber wieso wird lediglich das Bild einer „Kindergärtnerin“ weiblich* entworfen, ein überholtes Bild einer Frau*, die lediglich für die Kindererziehung verantwortlich und fähig ist? und nicht etwa aber ein Bild einer Professorin, Ärztin, Mechanikerin oder Personalchefin etc..

  3. sonnenblume sagt:

    Danke! Nur eine kleine Anmerkung, die ich wichtig finde, weil Sprache Realität schafft und ausgrenzt. Das Wort „Asylant“ wird mindestens seit Beginn der 80er Jahre abwertend gebraucht, nämlich dazu, die Menschen zu benennen, die man nicht dahaben will.

  4. Ute Plass sagt:

    Es ist unser aller Pflicht, Diskriminierungen, Abwertungen, Gewalt…… anzuprangern, unabhängig davon, gegen wen sich menschenverachtende Politiken und Praktiken richten.

    Der Diskurs hinsichtlich ‚gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘
    ist wichtig und notwendig, sollte allerdings auch folgende, in diesem Beitrag angesprochene Thematik im Blick haben:
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/florian-coulmas-ich-wir-und-die-anderen-die-blinden-flecken.950.de.html?dram:article_id=476323

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/florian-coulmas-ich-wir-und-die-anderen-die-blinden-flecken.950.de.html?dram:article_id=476323

  5. M. Weileder sagt:

    Vielen Dank für den Artikel! Mir reicht schon der ganz gewöhnliche Mief wie hier in Bayern. Joachim Herrmann (CSU) hält Migranten für grundsätzlich gewaltbereiter. Sehr hilfreich ist das nicht. Ich empfinde tiefe Scham, wie hier Migranten systemmatisch benachteiligt werden.