Oliver Wäckerlig, Islamfeindlichkeit, Islamkritik, Rechtsextremismus, Rechtsextremisten
Oliver Wäckerlig © Privat

Interview mit Oliver Wäckerlig

Rassismus: Sicherheitsapparat und Islamkritiker sind Teil des Problems

Oliver Wäckerlig zeichnet in seiner Dissertation „Vernetzte Islamfeindlichkeit“ eine transatlantische islamfeindliche Bewegung bis in die Mitte der Gesellschaft nach. MiGAZIN sprach mit ihm über Rassismus, Islamkritik und Hanau, wie das alles zusammenhängt und warum Islamkritiker und der Sicherheitsapparat ein Teil des Problems sind.

Freitag, 27.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.03.2020, 15:38 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

MiGAZIN: Sie haben zu Beginn ihrer Arbeit den Forschungsstand über Islamfeindlichkeit analysiert. Wie ist der aktuelle Stand? Gibt es Nachholbedarf?

Oliver Wäckerlig: Mittlerweile versteht man etwa durch Befragungen besser, was Islamfeindlichkeit begünstigt. Nachholbedarf gibt es z.B. im Bereich Religion. Hier gibt es Ambivalenzen, die vertieft untersucht werden müssen. Religiosität und Spiritualität kann bspw. Islamfeindlichkeit je nach Konstellation sowohl begünstigen als auch verhindern.

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Ein blinder Fleck ergibt sich durch die verbreitete areligiöse bis anti-religiöse Einstellung in der Bevölkerung. Es wurde etwa kaum diskutiert, dass die Islamfeindlichkeit bei Thilo Sarrazin stark durch seinen paternalistischen Laizismus gespiesen wird.

Oliver Wäckerlig, geb. 1976, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) in St. Gallen und beschäftigt sich mit Religion und Öffentlichkeit sowie Religion und Gesundheit. Er studierte Soziologie und Religionswissenschaft und wurde im Fach Religionswissenschaft an der Universität Zürich promoviert. Seine Dissertation kann als E-Book kostenlos heruntergeladen werden.

Dazu passt auch die unselige Trennung zwischen Islam und Muslimen, die im Trend liegt. Der Begriff „Islamkritik“ ist dabei inhaltsleer geworden, weil unter diesem Schirm alles Mögliche durch alle möglichen Leute sagbar geworden ist. Dazu gehört die Ablehnung von Islamfeindlichkeit als Begriff zugunsten von Muslimfeindlichkeit. „Muslimfeindlichkeit“ negiert, dass eine Diskriminierung aufgrund der Religionszugehörigkeit stattfinden kann. Sinn macht diese Unterscheidung nur unter der Annahme, dass Religion bzw. Islam ahistorisch und unabhängig von den Menschen, quasi unter der Glocke, stattfindet und nicht durch die Gläubigen aufgenommen, gelebt und verändert wird.

In Ihrer Dissertation sprechen Sie von einer transatlantischen islamfeindlichen Bewegung. Das hört sich sehr bedrohlich an. Wie müssen wir uns das vorstellen?

„Der Begriff „Islamkritik“ ist dabei inhaltsleer geworden, weil unter diesem Schirm alles Mögliche durch alle möglichen Leute sagbar geworden ist. „

Oliver Wäckerlig: Die konkrete transnationale Bewegung, die ich untersucht habe, ist mit der Entwicklung von Blogs im Internet verbunden. Es waren deutschsprachige, skandinavische und angelsächsisches Bloggerinnen und Blogger, die islamfeindliche Organisationen gegründet und sich in verschiedenen Ländern getroffen haben. Unterstützt wurden sie von rechten Parteien und den professionellen islamfeindlichen Strukturen in den USA. Für die Kommunikation war wichtig, dass über die Blogs, und später über soziale Medien, die klassischen Medien umgangen werden konnten. In diesem Umfeld hatte sich etwa Anders Breivik radikalisiert.

Lange Zeit wurde Islamfeindlichkeit in der Politik und von Sicherheitsbehörden eher stiefmütterlich behandelt. Islamfeindliche Straftaten wurden bis vor wenigen Jahren nicht einmal gesondert erfasst. Worauf führen Sie diese Zurückhaltung zurück?

„Ich zweifle daran, dass der islamfeindliche Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem angegangen wird, solange das Feindbild Islam nicht grundsätzlich hinterfragt wird. Den Sicherheitsapparat sehe ich eher als Teil des Problems; er hat im Bereich Rassismus zurecht ein Vertrauensproblem.“

Oliver Wäckerlig: Das Feindbild Islam stiftet gesellschaftliche Orientierung. Wie ich in meiner Arbeit zeige, konnte so zum Teil ziemlich nahtlos an den Antikommunismus angeschlossen werden. Da braucht es Zeit, bis man Islamfeindlichkeit überhaupt als ein Problem wahrnimmt.

Seit Hanau sprechen Regierungsverantwortliche in Deutschland erstmals von einem „islamfeindlichen Rassismus“. Erwarten Sie ein Umdenken in der Politik und im Sicherheitsapparat?

Oliver Wäckerlig: Das ist oft noch Betroffenheitsrhetorik, wie es etwa Mely Kiyak festgehalten hat. Es wird sich erst zeigen müssen, wie nachhaltig diese politischen Reaktionen sind. Ich zweifle daran, dass der islamfeindliche Rassismus als gesamtgesellschaftliches Problem angegangen wird, solange das Feindbild Islam nicht grundsätzlich hinterfragt wird. Den Sicherheitsapparat sehe ich eher als Teil des Problems; er hat im Bereich Rassismus zurecht ein Vertrauensproblem.

Ein eigenes Kapitel haben Sie auch sogenannten „Islamkritikern“ und „Islamexperten“ gewidmet. Welche Rolle nehmen diese Akteure beim Erstarken von Islamfeindlichkeit ein?

Oliver Wäckerlig: Meine Untersuchung hat gezeigt, dass die einschlägigen „Islam-ExpertInnen“ eine ganz wichtige Rolle in der Verbreitung und Akzeptanz von Islamfeindlichkeit einnehmen.

Strukturell haben sie seit 2001 mit ihren Bestseller-Büchern, durch ihre Präsenz vor Ort bei lokalen Konflikten, in den Zeitungen und Talkshows oder als „Expertinnen“ und „Experten“ von Politik und Sicherheitsbehörden die verschiedenen Ebenen miteinander verbunden. Dadurch wurden islamfeindliche Positionen weit verbreitet und „Islam“ als Problem politisch nutzbar gemacht.

Inhaltlich haben diese medial produzierten „Expertinnen“ und „Experten“ den Muslimen in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit über ihre Religion entrissen. Schließlich haben sich die negativen Beurteilungen zu Koran, Scharia etc. gesellschaftlich soweit etabliert, dass solche Aussagen keinen Verweis mehr auf Experten benötigen – sie sind Allgemeingut geworden.

Eine hypothetische Frage: Nehmen wir einmal an, es gebe keine Islamfeindlichkeit. Gäbe es dann eine Partei wie die AfD, die ja mit offen islamfeindlichen Positionen Politik macht?

„Man sieht überall in Europa, wie die rechtspopulistischen Parteien Themen setzen können. Ihr Einfluss wird stark, wenn sich die Politik darauf einlässt und versucht, sie in deren eigenen Themen zu übertreffen.“

Oliver Wäckerlig: Ja, denn die AfD ist ein Sammelbecken dissidenter Strömungen in der Gesellschaft. Die islamophobe Bewegung macht nur einen Teil der AfD aus, wo verschiedene Seilschaften ihre Themen und Kandidaten portieren wollen. Aber natürlich ist der Erfolg der AfD stark auch diesen offen islamfeindlichen Positionen geschuldet, die gesellschaftlich breiter anschlussfähig sind als etwa der Geschichtsrevisionismus, der auch schwieriger politisch zu bewirtschaften ist.

Ich habe in meiner Arbeit gezeigt, wie sich Kleinstparteien lange Zeit erfolglos bemüht hatten, über die Islamfeindlichkeit politisch Fuß fassen zu können. Als die AfD aufkam, wurden diese islamophoben Aktivisten explizit aufgefordert, der neuen Partei beizutreten, um die islamfeindliche Agenda auf diesem Weg voranzubringen.

Mit der AfD – offiziell jedenfalls – koaliert man in Deutschland nicht. Dennoch hat es oft den Anschein, als treibe die AfD die Parteien der sogenannten Mitte vor sich her, in der Flüchtlingspolitik beispielsweise. Wie groß schätzen Sie den Einfluss der AfD auf die Politik ein? Oder anders gefragt: Regiert die AfD heimlich mit?

Oliver Wäckerlig: Auf jeden Fall. Man sieht überall in Europa, wie die rechtspopulistischen Parteien Themen setzen können. Ihr Einfluss wird stark, wenn sich die Politik darauf einlässt und versucht, sie in deren eigenen Themen zu übertreffen. Dadurch übernimmt man deren Vorannahmen und Logiken und unterwirft sich dadurch deren Deutungsrahmen und Problemwahrnehmung. (mig) Interview Leitartikel Panorama

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