Dialog
Juden und Muslime sitzen in einem Boot
Juden und Muslime sind und werden Minderheiten in diesem Land bleiben. Damit formieren sich gemeinsame Interessen. Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Faktor beim jüdisch-muslimischen Dialog.
Von Michael Groys Dienstag, 28.05.2019, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 30.05.2019, 12:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Zentralrat der Juden in Deutschland startet ein jüdisch-muslimisches Dialogprojekt mit dem Ziel, Austausch zu fördern und Gespräche über gesellschaftlich relevante Fragen für beide Communities zu führen. Der jüdisch-muslimische Dialog soll durch innovative Gesprächsformate neu gedacht, wenn nicht wiederbelebt werden.
Ich habe sehr gemischte Gefühle dabei, wenn man sich in einen Stuhlkreis setzt und gegenseitig aufzählt, welche Gemeinsamkeiten man so hat und wie schön es doch wäre, wenn alle miteinander in Toleranz und Harmonie leben könnten. Im Volksmund nennt man so etwas „Friede, Freude, Eierkuchen“ mit wenig Output und viel emotionalem Geplänkel. Dabei wird im Hintergrund ein bisschen Klezmer gespielt oder ein alevitischer Nationaltanz aufgeführt.
Damit das beide Gruppen kein Schwein essen und an einen Gott glauben, kommt man nicht weit. Die Diversität innerhalb der Communities ist ebenso eine Herausforderung. Trotz einiger negativer Erfahrungen und der Schwierigkeiten bei interreligiösen und interkulturellen Dialogen halte ich sie dennoch als existenziell für beide Communities.
Juden und Muslime sind und werden Minderheiten in diesem Land bleiben. So viel auch AfD-Propheten vom Untergang des Abendlandes erzählen, bleiben diese religiösen Minderheiten stets in der Unterzahl, womit sich unmittelbar gemeinsame Interessen formieren.
Das ist aus meiner Sicht der entscheidende Faktor beim jüdisch-muslimischen Dialog. Die Interessenslagen bei beiden Gruppen sind in vielen Fragen sehr ähnlich bis hin zu identisch. Als Politikberater kann ich ganz nüchtern von einer Win-Win-Situation sprechen, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Im Urwald gibt es Regeln und auch bei Dialogformaten gibt es rote Linien für beide Gruppen, die nicht überschritten werden können. Gegenseitige Anerkennung ist das Mindestmaß für Dialog. Dabei muss offensichtlich klar sein, dass ich nicht von der jeweiligen Gruppe erwarten kann, das Narrativ des anderen sofort anzunehmen. Entscheidend ist es verbal abzurüsten und einigen Dingen eine gewisse Akzeptanz zu geben.
Juden und Muslime haben keine Zukunft in Deutschland, wenn ihnen nicht ganz schnell klar wird, dass sie in einem Boot sitzen. Der ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland Ignatz Bubis hatte sich sehr intensiv, um diesen Austausch bemüht. Es war für ihn offensichtlich klar, dass die gemeinsame Herausforderung im Umgang mit Rechtsextremismus in der Gesellschaft nur gemeinsam und nie gegeneinander geschähen kann.
Was nicht minder wichtig ist, dass die Initiative für einen Dialog aus den Communities selbst kommt. Das ist sehr wichtig für die Reichweite und die Akzeptanz unter Juden und Muslimen. Es ist sehr begrüßenswert, dass die jeweiligen Organisationen miteinander kommunizieren und nicht übereinander sprechen.
Scheitern muss hier ebenso Teil des Konzepts sein. Man braucht sich nicht viel vorzumachen. Die Meinungsunterschiede zwischen Juden und Deutschland sind enorm in Hinblick auf die Ereignisse im israelisch-palästinensischen Konflikt, der längst auf den deutschen Straßen angekommen ist.
Dennoch darf man sich bewusst nicht der Versuchung hinreißen, in diesen Konflikt zu fliehen und von den vielen enormen Herausforderungen unseres Landes abzulenken. Den Beteiligten muss bewusstwerden, dass die AfD kein Phänomen ist, sondern ein Symptom dieser Gesellschaft, in der Rassismus und Antisemitismus stark verwurzelt sind.
Die AfD wird bei Muslimen nicht stehenbleiben. Ihre vermeintliche Liebe zu Juden und Israel kann nicht ernstgenommen werden, wenn man sich die Aussagen führender AfD-Funktionäre über die deutsche Geschichte anschaut.
Ein Bekannter von mir ist Palästinenser und Gastronom. In seinem Café sprechen wir immer über die traurigen Ereignisse in Israel und Palästina. Wir sind zwar oft nicht einer Meinung, aber akzeptieren uns als Menschen mit eigenen Perspektiven. Er sagte mir, was sehr Prägendes: „Die werden es da im Süden schon untereinander klären. Viel mehr Sorgen macht es mir, was mit uns hier passiert. Danke euch Juden, dass ihr uns zu Seite standet, als es um die Beschneidungsdebatte ging. AfD geht uns alle was an.“
Der persische Dichter und Philosoph Rumi hatte vor hunderten Jahren die beste Devise für Dialoge formuliert: „Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort. Hier können wir einander begegnen.“
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Der Verfasser des Beitrags scheint wohl zu meinen, die Zukunft voraussagen zu können, wenn er äußert, nicht nur die Juden, sondern auch die Muslime würden in Deutschland (für immer) eine Minderheit bleiben. Die meisten jüdischen Gemeinden sind überaltert, und es ist damit zu rechnen, daß sie in naher Zukunft beträchtlich schrumpfen werden. Die meisten Muslime haben im Durchschnitt nicht nur mehr Kinder als ihre nichtmuslimischen Mitbürger, sondern der Islam befindet sich derzeit in einer dynamischen Phase und die Zahl seiner Anhänger nimmt auch durch Konvertiten zu. Wir können auch nicht ausschließen, daß irgendwann einmal Umstände eintreten, unter denen es massenweise zu Übertritten zum Islam kommt.
Wir sollten uns nicht von Statistiken täuschen lassen. Diese sagen, in dem Land soundso gibt es einen Prozentsatz von soundso an Muslimen, ohne zu berücksichtigen, daß diese meist nicht gleichmäßig über das Land verteilt sind, sondern sich in bestimmten Gebieten konzentrieren, wo sie möglicherweise die Mehrheit bilden, wie im Falle des ehemaligen Jugoslawiens, das uns damals als einheitlicher Staat dargestellt wurde, und wir nichts davon wußten, daß die Muslime in vielen Teilen Bosnien-Herzegowinas, im serbischen Sandschak und im Kosovo die Bevölkerungsmehrheit bilden. In den USA gibt es in der Nähe von Detroit eine kleine Stadt, in der die Muslime die Mehrheit der Einwohner stellen (ca. 60 %), obwohl sie USA-weit nur etwa zwischen 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Diese Stadt wurde von deutschen Immigranten gegründet, dann kamen die Polen und später Muslime aus Bangladesch und dem Jemen. Auch in der BRD haben wir in einigen Ballungsgebieten heute einen Prozentsatz von Muslimen, der bei weiterem Wachstum in ein bis zwei Generationen über die 50 % steigen könnte, während in anderen Gebieten die Muslime eine kleine Minderheit bleiben werden.
Wenn der von nicht wenigen Politikern verursachte staatliche Druck auf diese dort zur Mehrheit gewordenen Muslime noch zunimmt und sie dann als Minderheit behandelt werden … ich kann mir nicht vorstellen, daß sie sich das auf Dauer gefallen lassen werden. Wir sollten doch nicht so naiv sein zu glauben, das Gebilde BRD würde für immer so weiterbestehen. Ich halte es – ohne mich als Prophet aufspielen zu wollen – für durchaus möglich, daß dieser Staat innerhalb der nächsten Jahrzehnte zerfällt – wo die Gesellschaft ohnehin bereits gespalten ist – und dann Gebiete mit mehrheitlicher muslimischer Bevölkerung oder in denen die Muslime eine große Minderheit darstellen und die nichtmuslimische Bevölkerung im allgemeinen gut mit ihnen auskommt, eigene Staaten bilden und auf der anderen Seite auch jene Gebiete dies tun, in denen die Muslime nur eine kleine Minderheit bilden und nur geduldet werden, wenn sie ihre muslimische Identität ablegen. Was wird dann „dieses“ Land sein? Deutschland wieder als geographischer Begriff und nicht als einheitlicher Staat, wie bereits jahrhundertelang vor Jahrhunderten.
Bisher hatte der Zentralrat der Juden großenteils die Rolle eines Sprachrohrs und Anwalts des zionistischen Regimes in Israel übernommen. Wenn er in Dialog mit den Muslimen kommen will, muß er diese Rolle aufgeben! Für die Muslime stellt es überwiegend kein Problem dar, sich von dem in Saudi Arabien herrschenden Regime zu distanzieren, auch wenn dieses sich aufgrund seiner Herrschaft über die heiligen Stätten anmaßt, im Namen des Islams zu sprechen. Ebenso ist es nicht hinnehmbar, daß das zionistische Regime im Namen des Judentums spricht und unzulässigerweise versucht, die Ablehnung des Zionismus und berechtigte Kritik an Israel mit Judenfeindlichkeit („Antisemitismus“) gleichzusetzen.
@karakal: “ Ebenso ist es nicht hinnehmbar, daß das zionistische Regime im Namen des Judentums spricht und unzulässigerweise versucht, die Ablehnung des Zionismus und berechtigte Kritik an Israel mit Judenfeindlichkeit („Antisemitismus“) gleichzusetzen.“
Dazu ein lesenswerter Artikel von Peter Beinart, der verdeutlicht, dass Antizionismus nicht gleichzusetzen ist mit Antisemitismus.
https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/ein-land-fuer-alle-buerger
Da muss ich Karakal beipflichten. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist gut beraten, dass er von der Politik Israels sich nicht vor den Karren spannen lässt und sich unmissverständlich vom Regime in Tel Aviv distanziert. Muslime müssen bei Dialogveranstaltungen sich schließlich auch von diesem und jenen distanzieren, seien es Terroristen, seien es Extremisten, sei es Saudi-Arabien, sei es der Iran, sei es Tayyip Erdoğan etc. pp. Und das immer und immer wieder.
Als der Nahostkonflikt erneut eskalierte, warnte der Sprecher der jüdischen Gemeinde in der Türkei vor Antisemitismus durch Gleichsetzung der Juden mit Israel. Er betonte, dass die jüdische Glaubensgemeinschaft in der Türkei mit der Politik Israels nichts zu tun hat: Unsere Verbindung zu Israel ist ausschließlich religiös. Unsere Verbindung zu Israel ist keinesfalls politisch.
Auf eine solche Stellungnahme vom Zentralrat der Juden in Deutschland warte ich bis heute noch. Es ist keinem damit gedient, hier einen Stellvertreterkonflikt auszutragen. Schließlich sitzen wir hier in einem Boot, wie im Artikel beschrieben. Wer nämlich Juden mit Israel gleichsetzt (und umgekehrt), der ist der größte Antisemit.
Selbstkritisch muss ich auch anmerken, dass das nicht von allen differenziert wird: Weder von deutschen Politikern, noch von einigen Muslimen. Wer aber Antisemitismus unter Muslimen bekämpfen will, der muss diesen dekonstruieren, indem er ihn entlarvt als das was es ist: Ein Import aus dem Westen in der Moderne und Adaption durch muslimische Intellektuelle. Dazu kann ich auch ein Interview mit dem türkischen Autor Roni Margulies, der selbst jüdischer Herkunft ist, empfehlen.
Für den Anfang wäre es schon schön wenn zwischen dem monarchistisch/islamischem „Regime“ in Saudi-Arabein und der demokratisch gewählten „Regierung“ in Israel unterschieden werden würde.
Zum retlichen Kommentar von karakal (Deutschland zerfällt… ) sage ich lieber nichts. Wer sowas auch nur im Ansattz denkt ist hier fehl am Platz.
„Wer aber Antisemitismus unter Muslimen bekämpfen will, der muss diesen dekonstruieren, indem er ihn entlarvt als das was es ist: Ein Import aus dem Westen in der Moderne und Adaption durch muslimische Intellektuelle. Dazu kann ich auch ein Interview mit dem türkischen Autor Roni Margulies, der selbst jüdischer Herkunft ist, empfehlen.“
in der Moderne? Wann beginnt die bei Ihnen? Mit Kalif Umar, dem Zweiten, der Juden mit gelben Ringen „kennzeichnen“ lies? Eine Symbolik, die viel später von den Nationalsozalisten übernommen wurde. Natürlich, Muslime trifft keine Schuld. Nein, nein, das kann nicht sein.
@ahmetzade – Danke für den Hinweis zum u.a., aufschlussreichen Artikel, der mir Ihren Kommentar verständlicher macht:
http://www.islamiq.de/2014/07/21/interview-mit-roni-margulies-akzeptiert-wird-ein-muslim-erst-wenn-er-nicht-lebt-wie-ein-muslim/