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Déja-Vu der Schande

Evian Juli 1938 – Brüssel Juni 2018

Vom 6. bis zum 15. Juli 1838 suchten die Vertreter von 32 Staaten in Évian nach einer "Lösung" für die jüdischen Flüchtlinge, die vor dem Naziterror flohen. Heute suchen die EU-Staaten nach einer "Lösung der Flüchtlingskrise". Die Zeichen stehen auf Egoismus und Scheitern – wie vor 80 Jahren.

Von Freitag, 13.07.2018, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 18.07.2018, 18:05 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Im Juli 1938 trafen sich in Evian am Genfer See Delegierte von 32 Staaten, um über die Aufnahme der existenziell bedrohten jüdischen Flüchtlinge und Verfolgten des Nazi-Regimes zu beraten. Die Konferenz endete in einem Desaster: kein europäisches Land erklärte sich bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen oder wenigstens die Einreisebedingungen zu lockern.

80 Jahre später, Ende Juni 2018, trafen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der 28 EU – Länder, um über die europäische Migrations- und Asylpolitik zu beraten und eine gemeinsame Strategie zur Lösung der „Flüchtlingskrise“ zu verabschieden. Die Ergebnisse sind so niederschmetternd wie schockierend: mit einer Erbarmungslosigkeit ohne Gleichen, abgrundtiefen Härte und Kaltschnäuzigkeit einigten sich die Teilnehmer auf Richtlinien und Beschlüsse, in deren Fokus Ausgrenzung, Abschreckung, Schutzverweigerung, Abwehr und Auslagerung des Flüchtlingsschutzes stehen.

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Ein Deja-Vu der Schande – dieser Gipfel wird 80 Jahre nach Evian als Gipfel der Inhumanität, der Ignoranz und des Zynismus in die Geschichte eingehen. Denn 80 Jahre nach Evian scheinen die Lehren der Geschichte wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Diese führten nach 1945 zur Etablierung der Menschenrechte und eines in völkerrechtlichen Konventionen verankerten internationalen Flüchtlingsschutz- Systems, das ein zweites „Evian“ für immer verhindern sollte.

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Heute klügeln die EU-Staaten und Verantwortlichen der einzelnen Länder ein grenzenlos-brutales System der Be- und Verhinderung der Inanspruchnahme des Asylrechts aus, das die Drangsalierungen und Auflagen, denen die Nazi-Verfolgten in ihren Asylländern ausgesetzt waren, an Härte, bürokratischer Kontrolle, Undurchdringlichkeit und Demütigung bei Weitem übertrifft.

Ob vorgeschaltete „Zulässigkeitsverfahren“, „Ausschiffungsplattformen“, „Kontrollierte Zentren“, „Anker-Zentren“, „Hotspots“ im Innern, an den Außengrenzen oder darüber hinaus, ob Abschiebungen und „Rückführungen“ in Kriegsgebiete wie Afghanistan und angeblich sichere Drittstaaten, ob es sich um „Deals“ mit nationalistischen Autokraten oder die Zusammenarbeit mit menschenrechtlich bedenklichen Staaten, warlords oder kriminellen Milizen einer Küstenwache handelt – mit dem Anspruch der EU als einer „Wertegemeinschaft“, mit Europa als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ – hat dies alles nichts mehr zu tun. Alle diese Maßnahmen sind keine Lösungen, von denen immer die Rede ist, sondern Symptome rassistischer Abwehr und der Geringschätzung und Missachtung all der Verzweifelten, Verfolgten und Gedemütigten, deren letzte Hoffnung die Humanität Europas war.

Sinnbilder für diese von Populisten und Rassisten angetriebene inhumane europäische Flüchtlingspolitik sind die Odysseen der „Aquarius“ und der „Lifeline“ im Juni 2018. Auch sie haben eine Entsprechung in der dunkelsten Phase der deutschen Vergangenheit und erinnern fatal an die Irrfahrten der „St. Louis“, dem „traurigsten Schiff der Welt“. Das Schiff hatte versucht – nach dem Scheitern der Konferenz von Evian und dem Novemberpogrom 1938 -, über 900 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland in Sicherheit zu bringen; vergeblich, nirgends ein sicherer Hafen, kein rettendes Ufer, Kuba und die USA verweigerten die Landeerlaubnis, andere Länder schlossen ihre Grenzen. Nach wochenlanger Irrfahrt und Rückkehr nach Europa durften die Passagiere schließlich in Antwerpen an Land gehen. Aber auch hier waren sie nicht sicher. Nach der Besetzung der Niederlande und Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht endete die Odyssee der „St. Louis“ für viele Flüchtlinge im Konzentrationslager.

Der ehemalige hehre Anspruch einer humanen europäischen Flüchtlingspolitik tritt heute immer weiter hinter der Realität einer endlos restriktiver werdenden, rassistisch unterfütterten Politik mit ausgrenzenden Gesetzen, Praxen und Diskursen zurück.

Kriminalisierungen und Stigmatisierungen von Flüchtlingen gehören mittlerweile nicht nur zum Alltags-Repertoire von Populisten vom Schlage Gaulands, Höckes oder Weidels.

„Asyl-Tourismus“, „Abschiebe-Industrie“, „Asyl-Gehalt“, „Asyl-Shuttle“ sind nur einige der Begriffe, deren Sagbarkeit auch von Politikern wie Seehofer, Söder, Dobrindt und anderen erprobt wird, um Ängste zu mobilisieren und Sündenböcke zu präsentieren. Die Helfer und Seenotretter werden zugleich als „naive Gutmenschen“, als „NGO-Wahnsinn“ (Kurz) und „Unterstützer der Schlepper-Industrie“ diskriminiert und kriminalisiert. Damit versuchen die Urheber, von den Versäumnissen ihrer eigenen Politik abzulenken und die wahren und tatsächlichen Fluchtgründe zu kaschieren, für die sie mitverantwortlich sind.

Zehntausende von Flüchtlingen begeben sich nicht auf die Flucht oder ertrinken im Mittelmeer, weil Schlepper ihr Leid ausnutzten und sich an ihren Elend bereicherten; sie geraten in Lebensgefahr oder ertrinken, weil kein Staat der EU bereit ist, sie legal einreisen zu lassen, sie aufzunehmen und sich ernsthaft und nachhaltig mit ihren Fluchtgründen auseinanderzusetzen.

Eurozentrismus und institutioneller europäischer Rassismus siegen über Menschlichkeit und der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Seenotrettung. In der Geringschätzung von Menschenleben, der billigenden Inkaufnahme des Todes von Flüchtlingen und der Missachtung von Menschenrechten offenbart sich die politische und moralische Signatur Europas im frühen 21. Jahrhundert.

So wie Brüssel und Berlin die Ursprünge und Intentionen des Rechts auf Asyl vergessen haben oder vergessen machen möchten, so verdrängen und verschweigen sie auch die Ursachen der Flucht. Flüchtlingslager im Kern und in den Randzonen Europas – und darüber hinaus – werden zum Sinnbild eines postkolonialen Systems europäischer Apartheid. Dieses „Labor“ einer durch Frontex, durch militante Küstenwachen und kriminelle Milizen militärisch und technologisch abgesicherten europäischen Flüchtlingspolitik hat gravierende negative Folgen für die Menschen sowohl der Herkunfts- wie der „Aufnahme“- Länder. Es verändert auch den Status quo und die Zukunft von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Exterritoriale Lager der Armut, Ausgrenzung, Recht- und Gesetzlosigkeit einerseits – Festungen des Wohlstands und der „Rechtsstaatlichkeit“ andererseits. Feuilleton Leitartikel

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  1. Bert sagt:

    2015 hatten wir eine Flüchtlingskrise, wegen der vielen Syrer, die aus ihrem Kiregsgebeutelten Land geflüchtet sind und tatsächlich ein Anrecht auf Asyl hatten.
    Die Menschen die heute mit Schlauchbooten über das Mittelmeer kommen, sind grösstenteils (illegale) Migranten und nur wenige von Ihnen haben tatsächlich die Chance auf Asyl. Deshalb kategorisiere ich diesen Artikel, als Propaganda. Er verwischt absichtlich durch den Gebrauch falscher Begrifflichkeiten und der Vereinfachung und Verharmlosung der Probleme und Zustände in Europa die Gründe warum die EU entsprechend reagiert bzw. reagieren muss.
    Und ja, Europa trägt Verantwortung für bestimmte Entwicklungen in den Herkunftsländern dieser Migranten, aber nicht alleine und nicht ausschließlich. Es gibt keine ultimative Bringschuld der EU ggü. den Ländern dieser Menschen. Und wenn doch? Welche europäischen Länder genau sind denn die Schuldigen? Hatte Polen, Ungarn oder Tschechien denn Kolonien in Afrika und beuten dort Länder aus? Man sieht: es wird schwierig so zu argumentieren…

    Eins muss den Pro-Asyl-Noborder-Menschen klar sein. Ihr Ziel wird nicht erreicht ohne erheblichen Schaden anzurichten und sich gleichzeitig noch selbst zu zerstören. Ein bisschen weniger Ideologie, ein bisschen mehr Pragmatismus und ein bisschen weniger schräge Vergleiche. Willkommen auf dem Planeten Erde!

  2. Arnim sagt:

    Das ist doch völlig lächerlich. Deutschlands „Flüchtlingen“ steht keine vernichtung bevor.

  3. Gegenstimme sagt:

    Das ist doch mangelnde Bildung total. Syrien ist nicht mit dem Deutschland von 1945 vergleichbar und die Verfolgung der Juden kann man genausowenig mit der Situation der jetzigen Flüchtlinge vergleichen. 12 Millionen Juden gab es, 6 Millionen wurden vernichtet. 21 Millionen Syrer gibt es, 400000 wurden getötet. Was hier abgeht, ist nichts anderes als die Demontage der europäischen Sozialsysteme für Leute, bei denen die Wahrscheinlichkeit recht gering ist, getötet zu werden (relativ geringe 2,5% seit Beginn des Syrienkrieges). Was in Syrien abgeht, das hat sich bei uns früher in einzigen Schlacht ereignet.