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Initiative fordert Gleichstellung

Warum bekommen jüdische Zuwanderer weniger Rente als Spätaussiedler?

Beide stammen aus der früheren Sowjetunion, kamen nach 1990 nach Deutschland, haben deutsche Wurzeln. Dennoch wird der Spätaussiedler bei der Rente besser behandelt als der jüdische Zuwanderer. Eine Initiative fordert ein Ende dieser Ungerechtigkeit.

Dienstag, 10.04.2018, 6:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 11.04.2018, 18:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Prominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Zivilgesellschaft fordern eine Gleichstellung jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion im Rentenrecht. In einem am Montag in Berlin vorgestellten Aufruf einer Initiative um den früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck und den Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik wird beklagt, dass jüdische Zuwanderer – darunter Holocaust-Überlebende und deren Nachfahren – anders behandelt werden als Spätaussiedler. Mehr als 90 Persönlichkeiten fordern, „die Diskriminierung der jüdischen Einwanderer bei der Rente zu beenden“.

Bei den rund 200.000 jüdischen Zuwanderern, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach 1990 nach Deutschland kamen, werden bei der Rentenberechnung nur die Arbeitsjahre in Deutschland herangezogen. Da die meisten von ihnen bei der Einwanderung bereits im hohen Alter waren, leben sie trotz langjähriger Berufstätigkeit im Heimatland deswegen in der Regel von staatlichen Leistungen wie der Grundsicherung im Alter. Bei den rund zwei Millionen Spätaussiedlern werden dagegen die Berufsjahre in der alten Heimat angerechnet. Für sie gilt das Fremdrentengesetz.

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„Armutsgemeinden“

In der vergangenen Wahlperiode hatten die Grünen einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der vorsah, auch jüdische Zuwanderer nach diesem Recht zu behandeln. Er wurde vor der Wahl nicht mehr behandelt. Die Initiative fordert die Politik nun auf, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Sergey Lagodinsky von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, sagte, etwa ein Drittel der zugewanderten Juden sei bereits zum Zeitpunkt der Einreise 65 Jahre oder älter gewesen. In Gemeinden, die von Zuwanderern geprägt sind wie seine, mache sich das Problem deutlich bemerkbar: „Jüdische Gemeinden heute sind Armutsgemeinden.“ Für die Betroffenen entstehe der Eindruck, sie seien als „Objekte der deutschen Erinnerungspolitik, nicht als Menschen gekommen“, sagte er. Neben dem humanitären habe die Gleichstellung damit auch einen symbolischen Aspekt.

Keine Zahlen

Brumlik erläuterte, auch die zugewanderten Juden hätten ihre Wurzeln im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Bis heute prägten deutsche Nachnamen Register der Gemeinden. Auch in ihren Biografien gebe es zwischen diesen Zuwanderern und den deutschen Spätaussiedlern Parallelen, sagte Beck. Es könne sein, dass zwei Menschen 30 Jahre zusammen an der Werkbank saßen und nun verschieden behandelt werden, sagte er.

Zahlen, wie viele jüdische Zuwanderer genau betroffen sind, gibt es nicht. Lagodinsky, der Mitglied der Repräsentantenversammlung der Berliner Gemeinde ist, schätzt, dass eine Gleichbehandlung im Rentengesetz nicht unbedingt hohe Kosten verursacht. Auch die Renten bei Spätaussiedlern seien gedeckelt. Damit bedeute das keine große Belastung für die Rentenkasse, erklärte er. Einen Unterschied mache es aber, weil Rentenempfänger anders als Grundsicherungsempfänger sich nicht bei Reisen abmelden und jeden Nebenverdienst anrechnen lassen müssen, erklärte Beck.

Fonds für Härtefälle

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, für Härtefälle in der Grundsicherung im Alter einen Fonds zu schaffen und entsprechendes auch für Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge zu prüfen. Beck geht das nicht weit genug. Er plädiert weiterhin für eine Gleichstellung der Gruppen im Rentenrecht.

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs zählen unter anderem die früheren Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth (CDU) und Wolfgang Thierse (SPD), mehrere frühere Bundesminister, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sowie die Schriftsteller Wladimir Kaminer und Navid Kermani. Neben Vertretern des jüdischen Lebens in Deutschland unterstützen auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, die evangelischen Bischöfe Markus Dröge, Manfred Rekowski und Volker Jung sowie der katholische Bischof Franz-Josef Overbeck die Initiative. Auch die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, sowie Diakoniepräsident Ulrich Lilie und der ehemalige Caritas-Generalsekretär Georg Cremer zählen zu den Unterzeichnern. (epd/mig) Aktuell Panorama

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  1. -Ute Plass sagt:

    Dieses unwürdige Gefeilsche, um ‚gruppenbezogene Rentenzahlungen‘
    muss aufhören. Allen hier lebenden Menschen steht eine Existenzsicherung
    zu, welche ein Leben in Würde und Sicherheit garantiert.

  2. Daub sagt:

    Erstens, ist es nicht war, dass die Juden aus Russland, genau so, wie die Deutschen aus Russland „deutsche Wurzeln haben“! Das ist eine Lüge! Juden sind Juden und Deutsche sind Deutsche! Das sind unterschiedliche Völker.
    Zweitens, hat wahrscheinlich kein Mensch etwas dagegen, dass alle Volkgsgruppen im Alter nicht in Armut leben, aber ist es wirklich möglich, Deutsche im Bereich Rente mit allen Ausländergruppen gleichzustellen? Aussiedler sind Deutsche im Sinne des Grudgesetzes und ihre Rente ist in dem Fremdrentengesetz geregelt. Und russische Juden – man kann es drehen wie man will – sind Ausländer. Wenn man die Juden als Volksgruppe jetzt mit den Aussiedlern im Bereich Rentenversorung gleichstellt, warum dann nicht gleich mit allen Ausländern? Wenn wir so reich sind, warum nicht gleich das ganze deutsche Geld an den Rest der Welt verteilen?

  3. Karolina sagt:

    Die Situation wird immer wieder falsch dargestellt. Unter Spätaussiedlern sind es nur Wenige, denen die Arbeitsjahre in der ehem. UdSSR angerechnet werden. Bei Weitem nicht alle 2 Mio. Es sind lediglich deutsche Volkszugehörige im Sinne des §4 des Bundesvertriebenengesetzes, für die es gilt. Die große Mehrheit heißt auch „Spätaussiedler“, jedoch hat laut §7 des BVFG den Status „Ehegatte“ oder „Abkömmling“ und ist exakt in derselben Situation wie die jüdischen Einwanderer: die Rente muss man sich in Deutschland erarbeiten. Und die oben erwähnten Deutsche laut §4, denen die Arbeitsjahre in der UdSSR angerechnet wurden, bekommen dafür nur 60% der Rente, die in den entsprechenden Berufen einheimische Deutsche bekommen würden. Hinzu kommt, dass die Vertreter genau dieser Gruppe in der Sowjetunion als deutsche Volkszugehörige massiver Diskriminierung ausgesetzt wurden, wodurch sie ihr Leben lang karrierebehindert waren, weswegen sie oft im Niedriglohsektor arbeiten mussten. Sie wurden enteignet, deportiert, in Trudarmee (=GULAG) bis 1947 gesteckt und in der ganzen Nachkriegszeit vom Staat per Gesetz wie kein anderes Volk entrechtet (jahrelange Kommandatur, kein Recht zu studieren und eine Reihe Berufe auszuüben, kein Recht, sich frei auf dem Territorium der SU zu bewegen etc.). Somit waren sie fast ihr Leben lang beruflich schlechter aufgestellt als alle anderen sowjetischen Völker (Juden mit eingerechnet: sie wurden dort nicht diskriminiert, konnten Karrieren machen und sich ihre Renten in hochbezahlten angesehenen Berufen erarbeiten). Deutschen, die halbwegs gute Karrieren machen konnten, wurde oft die Einreise verwehrt, denn man ging davon aus, sie könne man nicht als Vertriebene ansehen (Bei Kontingentflüchtlingen fiel diese Prüfung, wie auch viele anderen wie Sprachkenntnisse etc. weg, auch Kommunisten und KGB-Bedienstete durften einreisen, was bei Russlanddeutschen ausgeschlossen war). Außerdem kommt gut die Hälfte der Spätaussiedler aus Kasachstan. Kasachstan zahlt seinen Auswanderern keine Renten. Russland, wo fast alle Kontingentflüchtlinge herkommen, schon. Man soll die beiden Bevölkerungsgruppen durch die Verdrehung der Tatsachen und das Verschweigen solcher Details bitte nicht gegeneinander ausspielen.