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Zynisch

„Opfer werdet ihr, weil ihr da seid.“

Die Strategien der Rechten setzen auf unsere Unachtsamkeit. Das wurde erst in diesen Tagen wieder deutlich, als im italienischen Ort Macerata fünf schwarze Männer und eine schwarze Frau angeschossen wurden. Von Sami Omar

Von Montag, 12.02.2018, 6:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 13.02.2018, 16:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Wenn ich mal wieder an der Welt scheitere, sage ich manchmal leise: „Josef Mengele starb beim Baden an der brasilianischen Atlantik-Küste.“ Dieser Satz erkennt die Welt als Ort bloßen Geschehens an und verweist in seinem nüchternen Zynismus auf uns Menschen als denkende und urteilende Wesen in ihr.

Er weist uns Menschen die Verantwortung zu, uns auch zu den Geschehnissen zu verhalten, die nicht in unserem Wirkungsbereich sind.

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Dies betrifft in besonderer Weise die Verarbeitung, Verbreitung und Perzeption von Informationen, die wir ob ihrer Masse immer selektierter aufnehmen müssen.

Die Strategien der neuen und alten Rechten setzen auf unsere Unachtsamkeit und die sukzessive Übernahme ihrer Argumentationsweisen. Das wurde erst in diesen Tagen wieder deutlich, als im italienischen Ort Macerata fünf schwarze Männer und eine schwarze Frau angeschossen wurden. Deutsche und italienische Medien berichteten bedauernd über den Vorfall, bei dem ein Rassist gezielt auf Menschen schoss, die er als afrikanisch wahrnahm.

Schnell wurde der Eindruck erweckt, der Schütze Luca T. habe in Reaktion auf einen Mord durch einen nigerianischen Mann an einem italienischen Mädchen gehandelt. Luca T., ein Neonazi und ehemaliger Kandidat der Lega Nord für den Gemeinderat eines Ortes der Region Marken, in der die Stadt Macerata liegt, hat dies selbst nach seiner Verhaftung behauptet.

Nun ist es eine Sache, was ein Neonazi mit einem Gesichts-Tatoo der neofaschistischen Organisation Terza Posizione behauptet. Doch die – teils unkommentierte –  Widergabe dieser argumentativen Schutzbehauptung durch weite Teile italienischer und deutscher Medien, sowie durch einzelne politische Akteure macht uns mit verantwortlich. Wie gehen wir mit einer solchen Behauptung um? Wissen wir um ihre Intention?

Es ist wichtig und geboten, den Mechanismus auf zu decken, der unsere Öffentlichkeit zu Zeugen einer Kausalität aus „Überfremdung“ und „Notwehr“ machen soll.

So stellte der Chef der Lega Nord, Matteo Salvini, sofort nach der Tat klar, die „moralische Verantwortung“ für die Tat liege bei denjenigen, „die Italien mit illegalen Einwanderern geflutet haben.“

Das Notwehr-Argument ist eines, das wir aus der deutschen Gegenwart auch gut kennen. Es ist das Argument des Angreifers der Kölner Oberbürgermeiserin Henriette Reker und vieler neu gegründeter „Bürgerwehren“. Es ist die Argumentation Björn Höckes und Beatrix von Strochs. Es ist die, der Reichsbürger und des ganz gewöhnlichen, unpolitischen Menschenfeindes von nebenan. Es ist die Argumentation, die angebliches „Staatsversagen“ im Hinblick auf die Flüchtlingsmigration mit gewaltsamer Abwehr von Flüchtlingen beantworten möchte.

In vielen Medien werden Berichte über diese Taten mit Daten über deren bloße Anzahl garniert. „Berliner Morgenpost“ (2016): In der Hauptstadt leben derzeit 15.200 Menschen in Not- und Gemeinschaftsunterkünften. Dazu kommen 2000 Personen, die in einem Hostel leben, und bis zu 10.000 Menschen, die in privaten Wohnungen untergebracht sind. Und jeden Tag kommen 400 Flüchtlinge dazu. Mit ihrer Zahl steigt auch die der Angriffe auf Asylbewerber und Unterkünfte.“ Es ist diese Kausalität, die uns laufend begegnet und die sogar in Debatten übernommen wird, in der eine klare Anwaltschaft für die Opfer rechter Gewalt vorhanden ist. Sie lautet:

„Opfer werdet ihr, weil ihr da seid. Gäbe es weniger von euch, gäbe es auch weniger Gewalt gegen euch!“

Das ist dermaßen zynisch, dass ich wieder flüstern möchte: „Josef Mengele starb beim Baden an der brasilianischen Atlantik-Küste.“ Aktuell Meinung

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