Nellys Abenteuer, Film, Antiziganismus, Sinti, Roma
Szene aus dem Film "Nelly´s Abenteuer"

Antiziganismus im Kinderkanal

„Der Film zementiert antiziganistische Klischees“

Der Roma-Zentralrat übt scharfe Kritik am Film "Nelly's Abentuer", Experten zufolge zementiert er „antiziganistische Klischees“. Der SWR-Programmdirektor weist die Vorwürfe zurück, der Film werde ausgestrahlt. Eine Entschuldigung wäre angebrachter. Von Sami Omar

Von Mittwoch, 27.09.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.10.2017, 17:30 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sie kennen doch das Stereotyp des verschlagenen, diebischen, schmuddeligen Roma. Und ihnen ist doch klar, dass es zutiefst rassistisch ist, nicht!? Es schreibt eine Geschichte fort, die seit Jahrhunderten zur Menschenverachtung und zur Zementierung alter Machtverhältnisse dient.

Keine Frage, dass wir unsere Kinder nicht damit aufwachsen lassen. Keine Frage, dass wir ihnen erklären, warum so viele Sinti und Roma in den Ländern Europas in Armut und Ausgrenzung leben. Vielleicht erzählen wir Ihnen gar von anderen Europäischen, Sinti oder Roma. Von Herrn Meier aus dem Supermarkt, der Frau aus der Schule, von Politikern, wie Romeo Franz (Grüne), von Wissenschaftlern, wie Ian Hancock, Sängerinnen, wie Marianne Rosenberg oder – ach was soll´s: Menowin Frölich, von DSDS.

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Um seine Kinder von derartigen Klischees über Roma und Sinti fern zu halten, muss man derzeit leider auch das Öffentlich-rechtliche Fernsehen umgehen. Dieses strahlt bald den Film „Nelly´s Abenteuer“ aus und verteidigt dieses Vorhaben gegen heftige Kritik. Der Film, der im vergangenen Jahr in deutschen Kinos lief, wird im Kinderkanal und im SWR laufen.

Der Zentralrat deutscher Sinti und Roma übt scharfe Kritik an dem Werk und hat zu ihrer Untermauerung wissenschaftliche Gutachten dazu in Auftrag gegeben. So Urteilt der Slavistik-Professor Urs Heftrich von der Universität Heidelberg, der Film sei geeignet, „antiziganistische Klischees zu zementieren“.

Pavel Brunßen vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin schreibt, Roma seien in dem Film ausschließlich dargestellt „als Kleinkriminelle, Trickbetrüger, Bettler, beim Aufführen ‚traditioneller‘ Tänze, als Kindesentführer usw. Roma in anderen Lebenssituationen, wie etwa in ‚regulären‘ Berufen oder als Studierende, werden im Film nicht gezeigt. Hängen bleibt das Bild von den kriminellen, unzivilisierten, disziplinlosen und triebgesteuerten Roma, die keine Moral kennen.“

Vielleicht fragen Sie sich an dieser Stelle, wo die genauere Beschreibung des Filmes selbst und seiner strittigen Szenen bleibt. Wie sollten sie sich sonst ein Bild davon machen, ob der Zentralrat deutscher Sinti und Roma mit seiner Kritik richtig liegt? Aber darum geht es überhaupt nicht.

In einer Stellungnahme des Programmdirektors des SWR, Christoph Hauser, gegenüber des Magazins VICE, welches am 20.09.2017 über den Fall berichtete, sagte dieser, man habe sich seitens des Senders mit dem Zentralrat „zusammengesetzt“. Man habe den Vertretern „ausführlich dargelegt“ der Film werde „auf der Basis gegenseitiger kultureller Wertschätzung erzählt“ – und werde gesendet. Hauser wird weiter mit den Worten zitiert, er weise den Vorwurf, der Film enthalte rassistische oder antiziganistische Züge, „entschieden zurück“.

Darum geht es! Diese Stellungnahme enthält den mehrheitsgesellschaftlichen Reflex, die Deutungshoheit über eine Gewalttat dem Opfer zu entziehen und sie an sich zu reißen. Die Möglichkeit, dass dieser Film Verletzungen verursacht und Kindern ein falsches – weil antiziganistisches – Bild von Sinti und Roma vermittelt, reicht aus, um ihn in Frage zu stellen.

Dabei gilt hier und überall eine sehr einfache Regel: Der Maßstab für empfundenes Leid kann und darf nie vom potentiellen Aggressor ausgehen.

Oder, wie es meine Kinder ausdrücken würden:

Hey! Das heißt „Tschuldigung“! Feuilleton Leitartikel Meinung

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  1. FrankUnderwood sagt:

    Ich denke, dass beide Filme die Möglichkeit bieten die schlechte Situation der Betroffenen zu repräsentieren. Jede Kultur (egal welche) hat Sitten und Gebräuche, die auf Fremde verstörend wirken können.
    Setzen Sie z.B. mal einen iranischen Mullah in Köln an Altweiber aus oder zwingen Sie einen Veganer an einem rituellen Opferritual auf den Philippinen teilzunehmen.

    Warum sehen Sie diese Filme nicht als Chance um auf die Situation der Betroffenen aufmerksam zu machen?

  2. Rüdiger Benninghaus sagt:

    Vom Zentralrat beförderter Antiziganismus

    Wer die Diskussion im SWR zu dem Film „Nellys Abenteuer“ gesehen hat, der müßte spätestens dann begriffen haben, wes Geistes Kind die Zentralrat-Aktivisten und ihre Hofschranzen sind. „Auf Deubel komm raus“ Antiziganismus sehen, weil man sonst Zweifel an der Existenzberechtigung von Zentralrat, von Projekten und Personalstellen hegen könnte.

    Einerseits lehnen diese Kreise den Begriff „Zigeuner“ ab und der sein Monopol zu behaupten bemühte Verband nennt sich „Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma“, andererseits meint man seinen Senf zu einer anderen Bevölkerungsgruppe in einem anderen Land (Rumänien) hinzu tun zu müssen. Wenn es keinen Oberbegriff „Zigeuner“ geben darf, was hat dann ein deutscher Sinto (wie Romani Rose) sich in die Situation rumänischer Roma einzumischen? Woher weiß er, daß die von ihm gebetsmühlenartig (fast auswendig gelernt) vorgetragenen angeblichen oder tatsächlichen Stereotypen, die man für Deutschland aufzuspüren bemüht ist, auch auf Roma in Rumänien anzuwenden sind und welche historischen Auswirkungen sie ggfs. auf diese hatten? Welche Ahnung hat eine deutsche Sintizza (wie Dotschy Reinhardt) von den Traditionen und dem historisch gewachsenen Umfeld von Roma in Rumänien?
    Wenn Dotschy Reinhardt meint, Mitsprache bei einem Film über Roma in Rumänien haben zu müssen, dann kann man sich vorstellen, daß hier wieder die Ideologen vom Zentralrat Zensurbehörde spielen sollen.

    Bei allem modischen Gequatsche über Antiziganismus fragt man sich, ob es denn wohl sein kann, daß eine verbreitete Abneigung gegen „Zigane“ so völlig ohne deren Zutun entstanden sein kann. Vielleicht sind die von „Ober-Sinto“ Rose aufgeführten Stereotypen gar nicht so „wirkungsmächtig“ (gewesen), wie von ihm und den „Antiziganismusforschern“ behauptet.

  3. FrankUnderwood sagt:

    Wieso wird hier eigentlich nicht über den Einbrecherclan berichtet?!

    http://www.spiegel.tv/videos/1081229-eine-familienbande-auf-beutezug/
    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/einbruch-mutmassliche-bandenbosse-muessen-in-muenchen-vor-gericht-a-1181242.html

    Wir wollen ja nicht alle Roma pauschal verurteilen, aber es fühlt sich schon komisch an, dass es auf MIGAZIN keine Meldung dazu gibt.
    Man hat das Gefühl, dass man jede Gelegenheit nutzt wenn Minderheiten/Migranten in der Opferrolle sind. Aber wenn sich mal ein blödes Klischee bewahrheitet, wird es ausgeblendet.

    Ignoranz auf der Agenda kenne ich bisher nur von der Jungen Freiheit, beispielsweise bei „Frauke Petry“. Im August wurde ihre Immunität aufgehoben und „jedes deutsche Blatt“ hat davon berichtet mit Ausnahme von Junge Freiheit. :D

    MIGAZIN sollte nicht denselben Fehler machen, weil das massiv an der Glaubwürdigkeit kratzt. In diesem Sinne erwarte ich dazu einen Artikel von der Redaktion.

  4. Otto W sagt:

    @FrankUnderwood

    Würde man als Migrant immer nur Migazin lesen, dann könnte man glauben Deutschland wäre ein intolerantes, rassistisches Land. Mit der gelebten Wirklichkeit hat dies natürlich nichts zu tun.

  5. aloo masala sagt:


    Dabei gilt hier und überall eine sehr einfache Regel: Der Maßstab für empfundenes Leid kann und darf nie vom potentiellen Aggressor ausgehen.

    Genauso gilt: Der Maßstab kann und darf auch nie von vermeintlichen und akademischen Vorurteilsexperten sowie von fragwürdigen Institutionen wie Zentralräten ausgehen. Das zeugt von unteräniger Autoritätshörigkeit.

    Ansonsten schließe ich mich dem Beitrag von Benninghaus an.

  6. Songül sagt:

    „Zigeuner – als Kinder in Siebenbürgen waren wir einerseits fasziniert von ihnen, wurden andererseits aber angehalten, Abstand zu halten. Was wir aufgrund der Erzählungen über sie auch taten. Im Prinzip ist das bei mir bis heute so geblieben. Als ich dann das Buch „Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk“ entdeckte, wähnte ich eine gute Gelegenheit, um mein Wissen über Zigeuner etwas zu vertiefen.
    Als ich mit dem Lesen anfing, war ich hocherfreut: Das Buch liest sich sehr gut! Es ist keine wissenschaftliche oder theoretische Abhandlung über die Geschichte oder den sozialen Status der Zigeuner. Der Autor, Rolf Bauerdick, versucht nicht, das Leid der Zigeuner oder ihr „Anderssein“ modellhaft zu erklären, sondern präsentiert eine Reihe von Erlebnissen, Erfahrungen, Gedanken und Schlussfolgerungen zu und über das Leben von Zigeunern. Diese fügen sich jedoch trotzdem zu einem umfassenden Bild.
    Bauerdick schreibt auch nicht von Sinti und Roma, sondern von Zigeunern. Und er verteidigt das: Er zeigt auf, dass es der politisch motivierten Initiative des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu verdanken ist, dass stellvertretend für „Zigeuner“ der Begriff Sinti und Roma verwendet werden soll. Das jedoch irritiert sogar Zigeuner selbst, die stolz von sich behaupten, Zigeuner und nichts anderes zu sein.
    Weiterhin kritisiert der Autor vehement die Berichterstattung über sowie die Forschung zu Zigeunern und zu Ressentiments der Gesellschaft gegenüber von Zigeunern. Er selbst habe nie Forscher auf seinen zahlreichen Reisen getroffen, die vor Ort geforscht und beispielsweise Zigeuner nach ihrer Wahrnehmung befragt haben. „Dessen ungeachtet sitzen die Kritiker der antiziganen Mehrheitskultur [die Belege suchen, dass Zigeuner diskriminiert werden] bei ungezählten Tagungen, Kongressen und Symposien als Sinti-und-Roma-Experten auf den Podien“ (Seite 174). …!

    Kundenrezension zu „Zigeuner – Begegnungen mit einem ungeliebten Volk“ von Rolf Bauerdick

    https://www.amazon.de/Zigeuner-Begegnungen-einem-ungeliebten-Volk/dp/3421045445

  7. President Obama sagt:

    Fairerweise müsste der Autor auch erwähnen, dass es „ausdrückliche Zustimmung“ der Sinti Allianz Deutschland zu dem Film und dessen Ausstrahlung gegeben hat. Darüber hinaus hat sich diese Allianz auch ausdrücklich von der „Kampagne“ des Zentralrats distanziert.

    Die Darsteller im Film waren überwiegend Roma aus Rumänien. Hier hat man keine Einwände gehört.

    Natürlich darf die Deutungshoheit nicht allein von der Mehrheitsgesellschaft für sich in Anspruch genommen werden, allerdings hat der Zentralrat auch keine Deutungshoheit. Objektive Betrachtung ist schwierig. Auf mich hat der Film nicht den Eindruck gemacht, als seien die Roma letztlich alle Verbrecher. Hier wird vielmehr ein romantisches Bild der Roma erzeugt, welches meine Tochter z.B. zum Nachfragen angeregt hat.

    Selten, dass Kinderfilme dies erreichen.

    Weniger stilisierte Opferpflege täte hier gut.

  8. aloo masala sagt:

    Hi songül.

    ich habe das Buch auch gelesen und fand es gut.

    Bauerdick wird allerdings von den Vorurtelisexperten fertig gemacht. Auf Wikipedia tobte ein regelrechter Krieg über die Deutungshoheit.
    Auch Migazin veröffentlichte einen unredlichen und bösartigen Artikel von Michael Lausberg. Diesen Artikel empfand ich unredlich und bösartig. Die Argumente dafür findest Du hier: http://www.migazin.de/2013/09/20/zigeuner-begegnungen-volk-buch/feed/

    Bauerdick selbst hat ja in seinem Buch gut beschrieben, wie die Vorurteilsexperten arbeiten, wie Trüffelschweisne halt.

    Beste Grüße

    aloo masala

  9. Stefan Böckler sagt:

    Finde es interessant und in gewisser Weise besorgniserregend, dass in Bezug auf eine kulturelle Produktion und ihre Gehalte über die Frage der ‚Deutungshoheit‘ diskutiert wird. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass in demokratisch-meinungsfreien Gesellschaften keiner Gruppe eine solche Hoheit zukommt – weder der Mehrheitsgesellschaft noch der Minderheitengruppe, sondern, dass es einen offenen argumentativen Austausch darüber gibt, ob ein kulturelles Produkt diskriminierend ist oder nicht. Genausowenig wie es in solchen Gesellschaften mehrheits- oder minderheitsdominierte wissenschaftliche Forschung geben darf, kann eine Teilgruppe der Gesellschaft eine Deutungshoheit über den kulturellen Diskurs beanspruchen.

  10. Songül sagt:

    Hi aloo,

    den Trüffelschweinen zum Trotz muss ich den von dir hinterlegten Link (=Hinweis) vielleicht nicht als link (=hinterhältig), aber schon als einen Taugenichts bezeichnen …

    In freudvoller Erwartung auf Erdäpfel statt Champagnertrüffel,
    Songül