Feuerwehr auf dem Mittelmeer
„Wenn du die überladenen Schlauchboote siehst, kannst du es kaum glauben.“
Seit einigen Wochen kreuzt die "Iuventa" des Vereins "Jugend rettet" vor der libyschen Küste und hat seitdem etliche Flüchtlinge vor dem Ertrinken bewahrt. "Als Gottes Geschöpf hat jeder ein Recht darauf, gerettet zu werden", sagt Jonas Buja.
Von Jörg Nielsen Dienstag, 23.08.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.08.2016, 12:17 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Bild der beiden toten jungen Frauen geht Jonas Buja nicht aus dem Kopf. Gleich am zweiten Tag der von jungen Leuten privat organisierten Rettungsmission im Mittelmeer kann die Crew der „Iuventa“ die beiden Flüchtlinge nur noch tot aus dem völlig überladenen Schlauchboot bergen. „Da habe ich gedacht, was machst du hier eigentlich?“ Doch dann habe der 24-Jährige sich umgedreht und in das Gesicht eines jungen Mannes gesehen, der noch vor wenigen Minuten in dem selben Schlauchboot um sein Leben gebangt hatte und ihn nun freudig anstrahlte. „Da war mit klar, ich tue das Richtige, ich rette hier Menschen vor dem sicheren Ertrinken.“
Zwei Wochen lang war der nautische Offizier aus Leer in Ostfriesland als Freiwilliger vor der libyschen Küste im Einsatz. In dieser Zeit hat die Crew 1.388 Menschen aus Seenot gerettet. „Das war eine harte Zeit mit sehr wenig Schlaf“, sagt Buja, der seine Motivation für den strapaziösen Einsatz aus seinem christlichen Glauben zieht: „Als Gottes Geschöpf hat jeder ein Recht darauf, gerettet zu werden – auch schiffbrüchige Flüchtlinge.“ Spätestens im nächsten Jahr will er wieder auf Rettungsfahrt gehen.
Wenn die Geflüchteten Glück haben…
„Wenn du die überladenen Schlauchboote siehst, kannst du es kaum glauben“, berichtet Buja. Die Boote sind etwa zehn Meter lang und mit 120 bis 130 Menschen beladen. „Die hocken eng an eng zusammengequetscht wie Sardinen in der Dose.“ Schlepper sind nicht mit an Bord. „Irgendeiner kann immer den Motor des Bootes bedienen, der bekommt einen Preisnachlass.“ Wenn die Geflüchteten Glück haben, geben ihnen die Schlepper einen Kompass oder ein Satelliten-Telefon, mit dem sie unter einer eingespeicherten Nummer die Seenotrettungsleitstelle in Rom erreichen können. Die Leitstelle koordiniert dann die Rettung.
Info: Der Verein „Jugend Rettet“ wurde im vergangenen Jahr von jungen Menschen in Berlin gegründet, nachdem mehr als 800 Flüchtlinge bei einem Unglück im Mittelmeer ertrunken waren. Der unabhängige Verein leistet nach eigener Darstelltung mit seinem Schiff „Iuventa“ humanitäre Hilfe und bezieht Stellung gegen die europäischen Asylpolitik, die von den Vereinsmitgliedern als „menschenverachtend“ empfunden wird. Mit dem Projekt wolle „Jugend Rettet“ die Regierungen zur Verantwortung und zum Handeln zwingen. Der Verein finanziert sich ausschließlich über Spenden. Für einen vierwöchigen Rettungseinsatz werden 40.000 Euro für Treibstoff, Essen und medizinisches Material benötigt. Getauft ist die „Iuventa“ auf den Namen der römischen Göttin der Jugend.
Die „Iuventa“ gehört „Jugend Rettet„. Junge Menschen gründeten den Verein vor einem Jahr in Berlin, nachdem mehr als 800 Flüchtlinge bei einem Unglück im Mittelmeer gestorben waren. Ende Juni ist der 33 Meter lange frühere Fischtrawler von Emden aus zu seiner ersten Rettungsmission aufgebrochen. Die wechselnden ehrenamtlichen Crews bestehen aus erfahrenen Seeleuten und jungen freiwilligen Helfern. Sie leisten Hilfe in Absprache mit der Rettungsleitstelle in Rom. Die italienische Küstenwache bringt die Menschen dann nach Italien.
Wer sich einmal in die Hände der Schlepper begeben hat, hat keine Chance mehr, es sich anders zu überlegen, haben Gerettete Buja berichtet. An der libyschen Küste gebe es Ghettos, in denen die Flüchtlinge auf ihre Überfahrt warten. Das Geschäft lohnt sich. Der Preis für einen Platz im Schlauchboot liegt zwischen 350 und 1.000 Euro.
Erschöpft, verängstigt und seekrank
Nachts würden die Menschen bei ruhiger See in die Boote gesetzt – manchmal bedroht durch Schusswaffen – und losgeschickt. „Wir finden sie dann bei Sonnenaufgang“, sagt Buja. In der Regel seien sie dann erschöpft, verängstigt und seekrank. „Oft haben sie üble Verletzungen, wenn Benzin ausläuft und sich mit Salzwasser im Boot vermischt. Das pellt die Haut wie bei einer Verbrennung ab.“
Damit die wackeligen Gummiboote nicht kentern, hält die „Iuventa“ zunächst einen großen Abstand. „Mit dem Beiboot umkreisen wir dann das Schlauchboot, nehmen erst einmal Kontakt auf und versuchen die Leute zu beruhigen.“ Anschließend werden Schwimmwesten herübergereicht und zunächst Kinder, Frauen und Verletzte zur „Iuventa“ gebracht. „Das jüngste Kind war erst drei Monate alt“, erinnert sich Buja. Anschließend werden die italienischen Küstenwache oder andere Militärschiffe herbeigerufen.
Erst retten, dann fragen
Die meisten Flüchtlinge stammen aus dem Senegal oder Eritrea. „Einmal waren auch Leute aus Bangladesch dabei.“ Es sei bitter, sich klar zu machen, welche Strapazen diese Menschen bereits auf sich genommen haben, um aus ihrer Heimat östlich von Indien nach Afrika zu kommen. „Und du weißt, eigentlich können sie gleich wieder umkehren, weil sie in Europa keine Chance auf Asyl haben.“
Auf die Frage, ob die privaten Rettungsschiffe nicht den Schleppern in die Hände spielen, winkt Buja ab. „Ich sehe das so: Die Menschen sind jetzt in den Booten in Seenot. Da sind wir wie die Feuerwehr. Die fragt auch nicht erst, warum etwas brennt, sondern löscht den Brand und rettet die Menschen. Wenn alle in Sicherheit sind ist Zeit, Fragen zu stellen.“ (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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