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Seenotrettung

Erst retten, dann fragen

Seit einem Jahr darf die "Iuventa" im Mittelmeer keine Flüchtlinge mehr retten. Der Vorwurf: Zusammenarbeit mit Schleusern. Aber das sei Quatsch, sagt Kapitän Jonas Buja. "Wir sind wie die Feuerwehr. Die fragt auch nicht erst, warum etwas brennt." Von Jörg Nielsen

Freitag, 03.08.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.08.2018, 17:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Bild der beiden toten jungen Frauen geht Jonas Buja nicht aus dem Sinn. Gleich am zweiten Tag seiner ersten Rettungsmission an Bord der „Iuventa“ vor der libyschen Küste konnte die Crew die beiden Flüchtlinge nur noch tot aus einem völlig überladenen Schlauchboot bergen. „Da habe ich gedacht, was machst du hier eigentlich? Das ist doch alles Sch…“, sagt der 26-Jährige. Doch dann habe er sich umgedreht und in das Gesicht eines jungen Mannes geblickt, der noch vor wenigen Minuten in dem selben Schlauchboot um sein Leben bangte und ihn nun freudig anstrahlte. „Da war mit klar, ich tue das Richtige, ich rette hier Menschen vor dem sicheren Ertrinken.“

Zwischen 2016 und Mitte 2017 war der nautische Offizier aus Leer in Ostfriesland fünfmal als Freiwilliger auf der „Iuventa“ im Mittelmeer im Einsatz, dreimal als Erster Offizier, zweimal als Kapitän. „Das war eine harte Zeit mit sehr wenig Schlaf“, sagt Buja. Der evangelische Kirchenvorsteher bezieht seine Motivation für den strapaziösen Einsatz aus seinem christlichen Glauben: „Als Gottes Geschöpf hat jeder ein Recht darauf, gerettet zu werden – auch schiffbrüchige Flüchtlinge.“

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Doch das Retten von Flüchtlingen aus überladenen Booten wird immer schwieriger. Vor genau einem Jahr wurde die „Iuventa“ von den italienischen Behörden beschlagnahmt und im sizilianischen Trapani an die Kette gelegt. Der Vorwurf: Zusammenarbeit mit Schleusern. „Das ist Wahnsinn“, sagt Buja. Beweise können die Italiener nicht vorlegen. Nicht einmal eine Anklage wurde seitdem erhoben. Aber ein altes Anti-Mafia-Gesetz erlaubt die präventive Beschlagnahmung des Schiffes – auch ohne Beweise.

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Die Leute kommen

Auf die Frage, ob die privaten Rettungsschiffe nicht den Schleppern in die Hände spielen, winkt Buja ab. „Ich sehe das so: Die Menschen sind jetzt in den Booten in Seenot. Da sind wir wie die Feuerwehr. Die fragt auch nicht erst, warum etwas brennt oder ob ein Brandstifter das Feuer gelegt hat, sondern löscht den Brand und rettet die Menschen. Wenn alle in Sicherheit sind ist Zeit, Fragen zu stellen.“

Auch den Vorwurf, ohne die private Rettungsschiffe würden sich die Flüchtlinge gar nicht erst aufs Mittelmeer wagen, weist Buja zurück: „Es war schon immer klar, dass das nicht stimmt.“ Allein in diesem Jahr seien bereits mehr als 600 Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, ertrunken: „Die Leute kommen. Und sie kommen nicht, weil das Wetter in Europa schöner ist, sondern weil sie ihre Kinder in Afrika nicht satt kriegen oder weil sie verfolgt werden.“

Kaum zu glauben

Die Boote der Flüchtlinge sind etwa zehn Meter lang und mit bis zu 160 Menschen beladen. „Wenn du die überladenen Schlauchboote siehst, kannst du es kaum glauben“, berichtet Buja. „Die hocken eng an eng zusammengequetscht wie Sardinen in der Dose.“ Schlepper seien nicht mit an Bord. „Irgendeiner kann immer den Motor des Bootes bedienen.“ Wenn die Geflüchteten Glück haben, geben ihnen die Schlepper einen Kompass oder ein Satelliten-Telefon, mit dem sie unter einer eingespeicherten Nummer die Seenotrettungsleitstelle in Rom erreichen können.

Wer sich einmal in die Hände der Schlepper begeben hat, habe keine Chance mehr, es sich anders zu überlegen, haben Gerettete Buja berichtet. An der libyschen Küste gebe es Ghettos, in denen die Flüchtlinge auf ihre Überfahrt warten. Das Geschäft lohnt sich für die Schleuser: Der Preis für einen Platz im Schlauchboot liegt zwischen 350 und 1.000 Euro.

Erschöpft, verängstigt, seekrank

Nachts würden die Menschen bei ruhiger See in die Boote gesetzt – manchmal bedroht durch Schusswaffen – und losgeschickt. „Wir finden sie dann bei Sonnenaufgang“, sagt Buja. In der Regel seien sie dann erschöpft, verängstigt und seekrank. „Oft haben sie üble Verletzungen, wenn Benzin ausläuft und sich mit Salzwasser im Boot vermischt. Das pellt die Haut wie bei einer Verbrennung ab.“

Das Schiff gehört dem Verein „Jugend rettet“, der 2015 von jungen Menschen in Berlin gegründet wurde, nachdem mehr als 800 Flüchtlinge bei einem Unglück im Mittelmeer ums Leben gekommen waren. Im Juni 2016 war der 33 Meter lange frühere Fischtrawler von Emden aus zu seiner ersten Mission aufgebrochen. Die wechselnden ehrenamtlichen Crews bestehen aus erfahrenen Seeleuten und jungen Helfern. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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