Staatsvertrag mit Muslimen

Niedersachsen mit Vertragsverhandlungen überfordert

Ein Führungswechsel im islamischen Landesverband "Schura" sorgt für Wirbel in Niedersachsen. Die Landesregierung hat die geplanten Rahmenverträge mit den Muslimen vorerst auf Eis gelegt. Das stößt bei Muslimen, den Kirchen und der Opposition auf Unverständnis.

Donnerstag, 28.04.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.05.2016, 18:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Verzögerungen bei den geplanten Rahmenverträgen des Landes Niedersachsen mit den muslimischen Verbänden sorgen für Diskussionen im Land. Kurzfristig werde es nicht zu einer Unterzeichnung kommen, bekräftigte Regierungssprecherin Anke Pörksen am Mittwoch in Hannover. Hintergrund sind die Vorstandswahlen im islamischen Verband „Schura“, einem der drei Vertragspartner. Dabei wurden am Wochenende der langjährige Vorsitzende Avni Altıner und weitere Teile des bisherigen Vorstandes abgewählt. Die evangelische Kirche betonte unterdessen, sie halte einen Vertrag zwischen den Muslimen und dem Land weiterhin für wünschenswert.

Pörksen sprach von einer „Phase der Neubesinnung“ nach dem Führungswechsel in der „Schura“, die rund 90 Moschee-Gemeinden vertritt. Bei deren Jahreshauptversammlung wurde der bisherige Geschäftsführer Recep Bilgen zum neuen Vorsitzenden gewählt. Der Diplom-Ingenieur vertritt die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG), die bis 2014 vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.

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Kirche: Verträge nicht abhängig von Personen

Die Landesregierung wolle zunächst prüfen, wie sich der neue „Schura“-Vorstand aufstelle, sagte Pörksen. Bisher habe es keine Kontakte zur neuen „Schura“-Spitze gegeben. „Es ist keinerlei Vorverurteilung, es ist kein überzogener Verdacht“, betonte die Regierungssprecherin. Die Bereitschaft, die Verträge zu schließen, sei damit nicht infrage gestellt.

Die Grünen-Fraktionschefin Anja Piel betonte: „Unser politisches Ziel bleibt, einen Islamvertrag in Niedersachsen abzuschließen.“ Es müsse sich zeigen, wie sich der neue Vorstand zum aktuellen Verhandlungsstand positioniere und ob die Verhandlungen auf Basis der bisherigen Inhalte fortgesetzt werden könnten.

Die hannoversche Landeskirche erklärte, sie halte an ihrem grundsätzlich positiven Votum für den Abschluss der Islamverträge in Niedersachsen fest. „Unabhängig von den Personen, die an den Verhandlungen beteiligt sind, befürworten wir nach wie vor die Abschlüsse von Verträgen zwischen der Landesregierung und den muslimischen Verbänden“, sagte Pressesprecher Johannes Neukirch dem Evangelischen Pressedienst. Die Position der Kirche habe sich durch den Führungswechsel beim Landesverband der Muslime nicht verändert.

Opposition setzt Weil unter Druck

Kritik kam auch aus den Reihen der Opposition. Nach Ansicht von CDU-Fraktionschef Björn Thümler verdeutlicht die überraschende Entscheidung der Landesregierung zu den Verträgen mit den muslimischen Verbänden, dass Ministerpräsident Weil mit einem seiner wichtigsten Vorhaben auf ganzer Linie gescheitert ist. Transparenz und Offenheit auch in kritischen Fragen seien Grundvoraussetzung für eine tragfähige Vereinbarung mit Muslimen in Niedersachsen – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Islamdebatte.

Thümler wirft dem Ministerpräsidenten und der SPD-Fraktion vor, unaufrichtig zu sein. „Ich bin gespannt, wie sich der Ministerpräsident den weiteren Dialog mit den niedersächsischen Muslimen unter diesen Voraussetzungen vorstellt“, sagt der CDU-Fraktionschef mit Blick auf das für Donnerstag angesetzte Gespräch in der Staatskanzlei.

FDP-Fraktionsvize Stefan Birkner fragte, warum nun plötzlich alles zur Debatte stehe, nur weil sich die Besetzung des Vorstands eines der Vertragspartner geändert habe. Dabei sei dies ein Umstand, der auch jederzeit während der Vertragslaufzeit hätte eintreten können.

Verträge werden mit Verbänden geschlossen

Neben der „Schura“ sind die Alevitischen Gemeinden und der Islamverband Ditib Verhandlungspartner des Landes. Der Ditib-Landesvorsitzende Yılmaz Kılıç bekräftigte auf Anfrage, die Landesregierung sollte den Vertrag nicht abhängig von Personen machen. „Die Regierung schließt die Verträge nicht mit Herrn Altıner oder mir persönlich, sondern mit den Verbänden.“ Auch in Bremen habe er bereits unter Beteiligung der IGMG einen Vertrag mit unterzeichnet, sagte Kılıç. In Hamburg, das ebenfalls bereits Verträge abgeschlossen hat, saß die IGMG ebenfalls mit am Tisch.

Er wünsche sich auch angesichts des Anti-Islam-Kurses der AfD, dass die Landesregierung den Abschluss des Vertrags nicht aufgebe, sagte Kılıç. „Ich hoffe, dass wir jetzt in dieser Zeit unabhängig von Personen ein klares Zeichen setzen, dass die Muslime zu Niedersachsen gehören.“

Der neue Schura-Vorsitzende Bilgen erklärte, dass er auf ein „positives Zeichen“ von Seiten der Landesregierung wartet. Durch den Personalwechsel habe sich inhaltlich nichts geändert. Schließlich habe er die bisherigen Verhandlungen als Geschäftsführer der Schura mitgetragen (epd/mig) Aktuell Politik

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  1. Ute Fabel sagt:

    „Staatsverträge“ mit ausgewählten Religionsverbänden sind strikt abzulehnen. Die rechtliche Sonderstellung der christlichen Kirchen gehört endlich gekappt. Stattdessen wäre ein einheitliches Religionen- und Weltanschauungsgesetz für alle zu schaffen, das gleiche Rechte und Pflichten begründet. Es gibt ja auch nur ein Vereins- und Parteiengesetz und nicht verschiedene „Staatsverträge“ mit bestimmten Vereinen und Parteien.

  2. Martell sagt:

    Die SPD war ganz dankbar für denn Führungswechsel – jetzt hat sie einen Grund, den sie vorschieben kann, den ungeliebten Vertrag auf Eis zu legen.
    Sonst hätte er den Abbruch der Vertragsverhandlungen vermutlich mit dem Abstieg von Hannover 96 begründen müssen :-)
    In Wahrheit wollte Herr Weil nicht zum Wahlhelfer der AFD werden.
    Offen sagt das natürlich keiner – da ist viel Heuchelei im Spiel.

    Aber Verlogenheit kann man auch dem islamischen Vertragspartner vorwerfen: Die DiTIB – deutscher Arm der türkischen Religionsbehörde – fordert in Deutschland in Hinblick auf die Religionsfreiheit den Bau von Moscheen, dieselbe Behörde gesteht das Recht des Sakralbaus der christlichen oder jesidischen Minderheit in der Türkeit nicht zu.
    Auch das darf man Heuchelei nennen.

    Wenn der DiTIB die Religionsfreiheit so wichtig ist: Warum schweigt sie dazu, dass Kirchen in der Türkei sogar enteignet werden ?

    Die christlichen Gemeinden der westtürkischen Stadt Bursa sind beispielsweise im Februar von der türkischen Religionsbehörde der einzigen Kirche der Stadt verwiesen worden. Die rund 100 katholischen, protestantischen und orthodoxen Christen der Stadt, die die Kirche bislang gemeinsam nutzten, hatten fortan kein Gotteshaus mehr.

    Letzten Monat hat die türkische Regierung verfügt, dass alle Kirchen in der historischen Altstadt von Diyarbakir in Südostanatolien ab sofort Staatseigentum sind. Verstaatlicht ist damit auch die armenische St.-Giragos-Kathedrale, bei der es sich um eine der größten Kirchen im Nahen Osten handelt, sowie je eine protestantische, chaldäische, syrisch-orthodoxe und armenisch-katholische Kirche. Damit ist in der mesopotamischen Metropole, die auf eine lange christliche Tradition zurückblickt, nun keine einzige Kirche mehr zum Gottesdienst geöffnet.

  3. Uwe Milte sagt:

    Weshalb „wartet“ der Vorstand der „Schura“ auf ein Signal aus Hannover? Wenn dort ein neuer Vorstand im Amt ist, muss dieser Vorstand sich dem Verhandlungspartner vorstellen und nicht umgekehrt! An solch einem Verhalten sieht man schon, das die niedersächsische Landesregierung in tief gebückter Haltung diese Verhandlungen „besucht“, denn „führen“ scheinen wohl die anderen am Tisch…..