Sozialverbände
Kinderarmut steigt, Chancengleichheit gibt es nicht
Die Bundesregierung hat vor fünf Jahren ein Paket losgeschickt, das bei den Kindern nicht ankommt. Der Kinderschutzbund und der Paritätische ziehen eine bittere Bilanz der Leistungen für Bildung und Teilhabe: unzureichend, bürokratisch, wirkungslos.
Freitag, 08.04.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.04.2016, 17:30 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Das Bildungs- und Teilhabepaket für 2,7 Millionen Kinder ist aus Sicht des Kinderschutzbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gescheitert. Fünf Jahre nach der Einführung zogen die beiden Verbände am Donnerstag in Berlin eine vernichtende Bilanz und forderten eine Kehrtwende. Der Politik warfen sie vor, die Kinder armer Eltern im Stich zu lassen und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Chancengleichheit für fast 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland nicht umzusetzen.
Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, kritisierte, die Leistungen seien von vornherein unzureichend gewesen und seit 2011 nicht erhöht worden. So gebe es beispielsweise 100 Euro für Schulkinder pro Jahr. Die Grundausstattung für einen ABC-Schützen koste aber schon 200 Euro, rechnen die Verbände vor. Zuschüsse zum Mittagessen und zu Klassenfahrten müssten aufwendig beantragt werden. Viele Eltern wüssten zudem nicht, was ihnen zustehe. Schulen und Kindergärten stöhnten über den bürokratischen Aufwand bei der Abrechnung der Zuschüsse zum Mittagessen, zu Ausflügen oder Klassenfahrten.
Besonders schlecht sehe es beim Thema Nachhilfe aus, sagte Hilgers. Während im Durchschnitt 14 Prozent der Schüler und in der Oberstufe sogar 30 Prozent Nachhilfestunden bekommen, nehmen nur vier Prozent der sozial benachteiligten Kinder enstsprechende Zuschüsse in Anspruch. Das sei angesichts des vielfach belegten engen Zusammenhangs von Bildungsarmut und Armut besonders dramatisch, sagte Hilgers.
Migranten häufiger betroffen
Im Bildungs- und Teilhabepaket steht den Kindern auch ein monatlicher Zehn-Euro-Gutschein für Musikstunden oder die Mitgliedschaft in Vereinen zu. Nur zwölf Prozent nähmen diese „völlig unzureichende Leistung“ in Anspruch, sagte der Chef des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Das Teilhabepaket gehe an der Lebensrealität der Heranwachsenden völlig vorbei: „Was nützen zehn Euro im Monat für den Vereinsbeitrag, wenn das Kind außerdem Fußballschuhe und ein Trikot braucht?“
Überdurchschnittlich betroffen von Armut sind Kinder von Eltern mit Einwanderungsgeschichte. Sie müssen häufiger mit weniger Geld auskommen, mehr Miete zahlen und werden häufig unterdurchschnittlich entlohnt. Zudem fällt es Migranten deutlich schwerer als Deutschen, Anträge für die Bildungs- und Teilhabepakete auszufüllen.
Deutlich weniger ausgegeben
Den Angaben zufolge sind 2014 nur noch 531 Millionen Euro für die Leistungen ausgegeben worden, davon mehr als 180 Millionen Euro für den Verwaltungsaufwand. Beim Start des Pakets im April 2011 waren 720 Millionen Euro eingeplant.
Die beiden Verbände fordern eine komplette Neuordnung der Förderleistungen. Sie müssten in der Kinder- und Jugendhilfe und nicht bei den Jobcentern verankert und mit einem individuell einklagbaren Rechtsanspruch versehen werden, heißt es in einem gemeinsamen Konzept. Es sei besser, das Geld in Sozialarbeit für benachteiligte Familien und Kinder zu investieren, als es in Verwaltungskosten zu stecken, sagte Schneider. Das Bildungs- und Teilhabepaket sei „von allen Sozialleistungen für Kinder die unsinnigste, teuerste und wirkungsloseste“. (epd/mig) Leitartikel Politik
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„Das Bildungs- und Teilhabepaket für 2,7 Millionen Kinder ist aus Sicht des Kinderschutzbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gescheitert.“
Das kommt ganz darauf an, aus welcher Sicht man das sieht. Man könnte die BuT-Mittel auch als eine tolle Erfolgsstory ansehen.
Der Staat hat nun nicht mehr das Problem, dass das Paket als verfassungswidrig angesehen wird. Irgendwie muss man ja doch auf die lästigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts reagieren, obwohl das BVG, anders als die Abgeordneten, gar nicht demokratisch legitimiert ist. Das BVG ist eine Art „Substanzschutzinstanz“, die einschreiten muss, wenn das Parlament oder eine Partei gegen das Grundgesetz verstößt. Das hat es im Fall der Hartz IV-Regelsatzberechnung getan, daraufhin hat die Politik 10 € pro Monat für Vereinsmitgliedschaften und ein paar andere Sachen bewilligt, und nun ist die Sache wieder im Einklang mit dem Grundgesetz. Wenn nicht, dann wird das BVG in 5 bis 10 Jahren mal ein Machtwort sprechen müssen.
Aus Sicht der Politik sehen die Vorzüge des Pakets so aus:
Der Grundsatz, dass Kinder aus armen Familien später die schlechten Jobs bekommen, und Kinder aus reichen Familien die guten, wird nicht angetastet.
An öffentlichen Schulen werden ganze Lehrerstellen mittlerweile aus BuT-Mitteln bezahlt, das Schulministerium zahlt für diese Leute, die u.a. im Daz-Bereich eingesetzt sind, keinen Cent. Die Lehrer bekommen „Aufträge“ von einem zwischengeschalteten „Träger“ und arbeiten dann scheinselbstständig an der Schule. Ohne BuT-Mittel gäbe es viel weniger DaZ-Lehrer an den Schulen.
Dass 180 von den 531 Mio. € für den Verwaltungsaufwand draufgehen ist aus Sicht der Politik doch auch gut, denn so wird das Geld nicht von den sicherlich meist alkoholisierten und rauchenden Eltern der Hartz IV-Kinder sinnlos verprasst. Die Politiker haben uns ja erklärt, wie die Unterschicht drauf ist und gesagt, dass es kein Recht auf Faulheit gäbe. Es war auch von „Sozialschmarotzern“ die Rede, die die Gesellschaft gnadenlos ausbeuten. So gesehen ist es ein tolles Entgegenkommen von Seiten des Staates, dass die Kinder überhaupt ein Mittagessen in der Schule bekommen. Wenn die Kinder mehr als 3,5 Km von der Schule entfernt wohnen bekommen sie sogar eine Fahrkarte und müssen mit ihren 8 Kilo Schulbüchern an Marschgepäck nicht zu Fuß gehen. Aber bis zu 7 Km pro Tag zu Fuß im Straßenverkehr sind für ein 12jähriges Kind schon zumutbar, schließlich sind seine Eltern ja daran Schuld, dass Deutschland so arm ist. Bei Panorama hat so ein Hartz IV-Kind erklärt, dass es ja nicht seine Schuld ist, geboren worden zu sein, sondern die Schuld der Mutter.
Das Selbstverständnis der regierenden Parteien ist eben anders als das Selbstverständnis des Kinderschutzbundes und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass die Politik mit ihren Zielen gescheitert ist. Nein, für die Politik ist es ein Erfolg, dass ein Viertel der Gesellschaft mittlerweile ganz unten angekommen ist. Warum tut man immer so, als ob die Politik „eigentlich“ das Gute will, aber leider immer scheitert?