Flüchtlinge
„Internet ist gleich mit Essen“
Solange Flüchtlinge keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben, dürfen sie bei Mobilfunkanbietern keine Verträge abschließen und können somit keine Daten-Flatrates nutzen. Dabei sind junge Flüchtlinge ohne Eltern besonders auf Onlinenutzung angewiesen.
Freitag, 11.12.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.12.2015, 15:18 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Flüchtlingseinrichtungen brauchen Experten zufolge eine bessere technische Ausstattung. In Erstaufnahmeaufrichtungen sowie vor allem in Jugendhilfe-Einrichtungen seien kostenlose WLAN-Netze sowie eine zeitgemäße technische Infrastruktur nötig, sagte der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, am Mittwoch in Berlin. Krüger äußerte sich anlässlich der Vorstellung einer Studie der Universität Vechta zur Nutzung digitaler Medien durch unbegleitete minderjährige Flüchtlingen in Deutschland.
Es soll die erste Studie dieser Art überhaupt sein. Für die qualitative Untersuchung wurden rund 20 jugendliche Flüchtlinge in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen in Einzelinterviews befragt. Demnach ist der Zugang zum Internet für junge Flüchtlinge ein „existenzielles Grundbedürfnis“ – oder wie einer der Befragten betonte: „Internet ist gleich mit Essen“.
Nur über soziale Netzwerke wie Facebook oder Messengerdienste wie Whatsapp sei für die Jugendlichen ein Kontakt zur Familie möglich. Ebenso würden mobile Geräte benötigt, um sich etwa in einer fremden Stadt zurechtzufinden. Daneben zählen laut der Studie deutsche Sprachlernapps sowie journalistische Nachrichtenapps zu den am häufigsten genutzten Smartphone-Anwendungen von jungen Flüchtlingen.
Finanziert werde die Internetnutzung allerdings meist über Prepaid-Karten und damit der teuersten Möglichkeit, online zu gehen. Krüger forderte deshalb kostenlose WLAN-Zugänge in den Einrichtungen, in denen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wohnen. Schätzungen zufolge leben aktuell rund 50.000 minderjährige Flüchtlinge ohne ihre Eltern in Deutschland.
Bislang ist die Internet-Nutzung in den meisten Jugendhilfe-Einrichtungen „aus technischen und erzieherischen Gründen“ nur stark eingeschränkt möglich, betonte Nadja Kutscher, Professorin für Soziale Arbeit an der Universität Vechta. Oft seien nur technisch veraltete Computer zeitlich stark begrenzt nutzbar. Freies WLAN gebe es kaum, weil die Betreiber die damit verbundenen Kosten scheuten. Auch die Haftung für den Datenschutz sowie für illegale Internetnutzung stellten Hürden dar.
Solange Flüchtlinge keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben, dürfen sie bei Mobilfunkanbietern keine Verträge abschließen und können somit keine Daten-Flatrates nutzen. Die teuren Prepaid-Karten für Smartphones seien allerdings oft schon nach wenigen Tagen aufgebraucht, schilderte Krüger.
Bei der Auswertung von Screenshots stellten die Forscher der Uni Vechta weiter fest, dass neben Kommunikationsapps und Suchmaschinen deutsche Sprachlernapps die meisten Anwendungen auf den Smartphones der jungen Flüchtlingen darstellten. „Die Flüchtlinge wollen sich integrieren, sie sind bereit für alle möglichen Informationen dazu“, sagte Kutscher. Nicht zu finden waren auf den untersuchten Smartphones allerdings Hinweise etwa zum Asylverfahren, zu deutschen Behörden oder zu ehrenamtlichen Flüchtlingshilfeinitiativen. Relevante Informationen erreichten ihre Zielgruppe also nicht, betonten die Wissenschaftler.
Zur Begründung führten Kutscher und ihre Kollegen aus, dass Webseiten oder Apps von deutschen Behörden für Flüchtlinge oft sprachlich unverständlich seien und deshalb nicht nachgefragt würden. Informationen von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern seien in großen Suchmaschinen wie Google zudem nicht zu finden. Krüger ermunterte den Internetkonzern, relevante Informationen für Flüchtlinge deutlich „weiter oben“ zu platzieren. Mobilfunkanbieter sollten zudem günstiger Tarife für Flüchtlinge anbieten. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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