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Gedankengänge

Meine ersten Stunden mit dem Pariser Terroranschlag

Als ich von den Terroranschlägen in Paris erfahre, sind schon mehr als zwölf Stunden vergangen. Meine ersten Stunden danach sind geprägt von Sprachlosigkeit, Wut, Verwirrung und einem inneren Konflikt.

Von Montag, 16.11.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.11.2015, 21:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Es ist wieder passiert. Terroristen haben in Paris an mehreren Orten gleichzeitig ein Blutbad angerichtet. 127 Menschen wurden ermordet und noch mehr verletzt. Von einem gezielten und organisierten Terroranschlag ist die Rede. Die Hintergründe der Tat sind noch offen. Die Bestürzung ist groß und weltweit.

Das sind die ersten Informationen, die ich über diesen grausamen Abend lese. Es ist schon der Morgen danach. Nach solchen Schreckensmeldungen kreisen sich meine Gedanken normalerweise immer um dieselben Fragen: Wer war es und aus welchen Motiven? Und jedes mal hoffe ich insgeheim, dass es keine „Islamisten“ waren. Ich weiß, dass es keinen deut besser wäre, wenn die Täter andere Motive hätten. Dieser unbegründeten Hoffnung kann ich mich trotzdem nicht entziehen.

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Diesmal ist es anders. Ich schalte die Nachrichten aus und gehe zum Fenster. Ich brauche einige Minuten, um meine Gedanken und meine Gefühle zu sortieren. „Bestimmt waren es wieder irgendwelche verkappten Idioten, die in ihrer kranken Vorstellung im Namen des Islam unterwegs waren. Jetzt geht’s wieder los. Ein gefundenes Fressen für die Rechtspopulisten. Die werden das ausschlachten“, denke ich mir „und noch mehr Angst schüren gegen Muslime, gegen Flüchtlinge…“. Meine Gedanken springen Hin und Her zwischen dem, was uns erwartet und den Opfern. Unschuldige Zivilisten. „Das wird uns viele Wochen beschäftigen“, geht mir durch den Kopf.

Ich nehme mein Handy. Rufe meine Mails ab, öffne Facebook und Twitter. Es ist voll mit #ParisAttacks. Die ersten Scharfmacher sind auch schon unterwegs. Paris ändere alles – auch die Flüchtlingspolitik. Bundeskanzlerin Merkel werde ihre Politik nicht aufrecht halten können, schlagzeilen schon die ersten Medien. Manchen Arschlöchern sieht man ihre Freude über diesen Anschlag förmlich an. Sie schmücken ihre geschmacklosen Kommentare sogar mit Smileys.

Eigentlich, denke ich mir, müssten wir den Flüchtlingen jetzt doch viel näher sein. Eigentlich müssten wir doch jetzt am besten nachempfinden können, wovor diese Menschen flüchten. Eigentlich müssten wir sie jetzt doch erst Recht aufnehmen bei uns, ihnen helfen und Schutz gewähren, Empathie entwickeln. Eigentlich. Ich weiß, dass diese Gedanken nicht mehrheitsfähig sind – pardoxerweise nicht nach einem solchen Anschlag.

Eine Journalistin twittert, wo denn die ganzen Muslime sind. Sie echauffiert sich darüber, dass sich noch keine einzige islamische Religionsgemeinschaft zu den Anschlägen geäußert hat. Ihr Tweet hat sehr viele Herzchen bekommen. Offenbar gefällt das den Leuten. Ich würde ihr gerne schreiben, das ich schon beim Abrufen meiner Mails vier Pressemitteilungen von großen islamischen Religionsgemeinschaften überflogen habe. Ich lasse es.

Ich könnte vielen dieser Social-Media-Besserwissern meine Wut entgegenschleudern, sie fertigmachen, ihre Dummheit entblößen. Ich beschließe aber, an diesem Tag sprachlos zu bleiben. Ich finde ohnehin keine Worte für meine Gedanken, für mein Unbehagen, für meine Verwirrung.

Bin ich jetzt Paris oder Frankreich, wie viele auf ihren Profilbildern jetzt zeigen? Ich empfinde wahrscheinlich nicht anders wie Millionen andere auch. Also ja, je suis Paris. Aber hätte ich dann in den vergangenen Wochen und Monaten nicht schon X-Mal Beirut oder Syrien, Ankara oder Afghanistan sein müssen? Sind dort nicht auch Zivilisten gestorben? Waren es nicht die gleichen Täter mit vermutlich ähnlichen Motiven? Ich werde meinen inneren Konflikt nicht los. Ich komme mir verlogen vor – ein sehr unangenehmer Gedanke. Dass ich mich davon ablenken möchte, macht es nur noch schlimmer. Aktuell Meinung

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  1. Limon (Türkin) sagt:

    Wo ist die Anteilnahme der Muslimen bei der Ermordung von Muslime/ Ihren eigenen Mitmenschen. Ich höre von keinen muslimischen Lichterketten und langen Trauerbekundungen? In den Nahosten aber auch in der Türkei ist das Volk so gespalten, dass die Medien und die Politik mit den Trauerbekundungen deutlich zurückhaltend sind.

    Beispiel Ankara:
    Nach dem Terror-Attentat warf die Polizei Tränengasbombe auf die noch Hilfe wartende Opfer.

    Der Präsident hielt seine Pressekonferenz erst nach drei Tagen nach dem Massaker.

    Es gab Publikationsverbot.

    Der Attentat selbst wurde politisiert, die Opfer wurden als terroristische Gegner abgestempelt.

    Kundgebungen im ganzen Land zum Gedenken an die Toten sind nicht möglich, weil sie verboten war (politischer Machtkampf).

    Die Schweigeminute im Fussbalspiel in Konya wurde durch Buh-Rufe und Pfiffe ein Desaster!

    Über diesen gefühlten jahrhundertelangen Konflikt fehlt oft einem die Sprache.
    Das Schlimmste dabei ist, egal man es will oder nicht, man wird oft durch den Aufschrei oft in einer bestimmte politische Ecke gerückt.
    In der Türkei oder den Nahosten erschreckt die Kluft innerhalb und zwischen den Religionsgemeinschaften, Ideologien und der Völker. Trotzdem wünsche ich mir mehr westliche Anteilnahme, doch ich kann mir auch vorstellen, dass die internationale Presse manchmal nur die Opferzahlen kennt, aber keine Personen und nicht über Details berichten kann.

    Daher hört auf, alles in der Welt noch mehr zu spalten.

  2. Magistrat sagt:

    @Umdenker

    Wie klein ist eigentlich Ihr Horizont? Ihre Kommentare sind widerlich und strotzen nur so von Selbstgefälligkeit und Arroganz! Ekelhaft!
    Haben Sie schon das Statement von der Al-Azhar Universität gehört? Oder den offenen Brief von mehr als 100 islamischen Gelehrten gegen den IS, übrigens schon mehr als 1 Jahr alt? Oder von den Statements des KRM?

    Aber die eigentliche Frage ist doch die: Interessiert Sie überhaupt das Schicksal der Muslime? Der Islam? Offenbar nicht. Sie nutzen das nur aus um Ihre Hetze zum Ausdruck zu bringen.

    JEDER hat die Pflicht gegen solche Terroristen und Spalter aufzustehen. Auch SIE! Nicht nur Muslime. Und wenn die europäischen und die amerikanische Gesellschaft anfangen würden, sich von Ihren Schandtaten zu distanzieren, wie es von den Muslimen für die Schandtaten gottloser Mörder gefordert wird – sie würden wohl gar nicht mehr fertig werden!

  3. Umdenker sagt:

    Magistra

    Bitte nicht persönlich werden und beleidigen, ok? Es geht mir nicht um Statements von irgendwelchen Organisationen, aber ich möchte mich auch nicht endlos wiederholen.

    Es geht hier auch nicht um das Schicksal der Muslime, es geht hier um einen Terroranschlag gewaltigen Ausmaßes gegenüber der Menschheit (Muslime, Buddhisten, Christen, Atheisten) durch radikale Muslime. Und wir, die Nicht-Muslime, glauben zunehmens, dass im Grunde alle Muslime radikal sind. JA, viele denken mittlerweile, dass die Muslime die Anschläge im Grunde gut finden. Immerhin traf es viele Ungläubige. Ich weiß, das stimmt nicht. Sie denken nicht so. Aber der Zweifel wächst und wenn die Muslime nicht aufstehen und endlich Flagge gegen den gewaltitätigen Islam zeigen, dann wird es irgendwann jeder glauben.

  4. Magistrat sagt:

    Verstehe ich nicht, @Umdenker: warum können ein Dutzend Psychopathen, die wie man mittlerweile weiß, im Drogenmilieu heimisch waren (wie islamisch!?) und polizeibekannt waren, über 1 Milliarde friedliebende Muslime in Verruf bringen?
    Warum genügt ein muslimischer Held (der order zouhair am stade de france) oder der vom jüdischen Supermarkt im Januar nicht, um das Gegenteil zu beweisen?
    Verstehen Sie was ich meine?
    Entschuldigen Sie, wenn ich etwas ausfällig reagiert habe, aber irgendwann reicht es einfach mit den Schuldzuweisungen der Mehrheitsgesellschaft. Ihr macht es euch zu einfach, wenn ihr in den hiesigen friedliebenden, steuerzahlenden Muslimen das Problem sucht.

  5. Limon (Türkin) sagt:

    Bis vor Kurzem wurden im Islam die Gelehrten oder Imame nie kritisiert. Der Sündiger- Muslim versucht sein Glauben zu stärken, in dem er Reue für seine Sünden gezeigt hat und die Pflichten des Islams erfüllt hat und damit war es schon. Als Sündiger konnte er vielleicht sein Imam wechseln aber niemals bei einem Gelehrten irgendwelche Gebote hinterfragen. Nun steckt der Sündiger Muslim in Dilemma, denn bisher diskutierte er niemals die Hintergründe der Gebote, vielleicht weil alle wussten, dass über die Gebote schon jahrhundertelang blutig diskutiert wurde. Warum sollte man das auch tun, man tut man für die Religion ja sowieso, was man kann.
    Trotzdem ist das keine Entschuldigung.
    Trotzdem liegt die Pflicht etwas zu ändern nur in der muslimischen Gesellschaft. Jetzt wird man mit Tatsachen konfrontiert, die man vor 5 Jahren nicht wusste. Man kann jetzt z. B. aufhören zu glauben, somit klärt das Ganze nur für die Person, aber nicht für das düstere Bild des Islams. Zudem kommt, was ist Glaube. Glaube ist so undefinierbar wie die Liebe. Keiner kann entscheiden an was man glaubt, und erst Recht nicht, wie man glaubt.

  6. Umdenker sagt:

    Magistrat

    Vermutlich haben Sie Recht. Ich habe nur Angst davor, dass Menschen jetzt Sündenböcke suchen. Vielleicht rücken jetzt Muslime und Nicht-Muslime hierzulande noch stärker zusammen… hoffen wir es, dass es nicht zur Spaltung kommt. Diese ist völlig unnötig. Aber das wissen wir ja alle.

  7. #peace sagt:

    Zusammenhalt in dieser Gesellschaft, jetzt erst recht! Muslime sind unsere Mitbürger, die wir auch schützen müssen, vor rechts und dem IS.

    http://www.sueddeutsche.de/politik/islam-das-gift-des-generalverdachts-1.2739316?utm_campaign=socialflow&utm_medium=social

  8. Umdenker sagt:

    Bei der Gedenkfeier gegen Islamismus in München, initiiert von Imam Benjamin Idriz, waren immer 200 Leute. Viele davon tatsächlich Muslime, so um die 30%. Es gibt es also, dass sich Muslime gegen den islamischen Terror zusammentun.