Kopftuch, H&M, Werbung, Spot, Werbespot
Szene mit Mariah Idrissi aus dem H&M Werbespot © H&M

Debatte

Der Islam braucht mehr Weiblichkeit

Eine Zwei-Sekunden-Rolle in einem Werbespot reichten schon, um die muslimischen Gemüter zu erhitzen. Die Londoner Muslimin Mariah Idrissi hatte als erste Frau mit Kopftuch in einem H&M Werbefilm gespielt. Diese Aufregung führt zu einer Kernfrage: Können Muslime Freiheit? Von Muhammad Sameer Murtaza

Von Donnerstag, 29.10.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.11.2015, 16:22 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Als Anfang Oktober bekannt wurde, dass die kopftuchtragende Londoner Muslimin Mariah Idrissi für zwei Sekunden in einem Werbespot für das Modeunternehmen H&M auftritt, glühten die sozialen Netzwerke. Unzählige Muslime, genauer: Männer, fühlten sich herausgefordert, ungefragt das Verhalten ihrer Glaubensschwester zu beurteilen. Da lass man dann Sätze wie: „Schämen sollte sie sich“, „Sie beschmutzt alle muslimischen Frauen“, „Sie ist eine Schande für den Islam.“

Das Ganze mag auf den ersten Blick unbedeutend erscheinen, aber auf den Zweiten führt es zu einer der Kernfragen für eine Religionsgemeinschaft, die gegenwärtige ihre größte Krise erlebt: Können Muslime Freiheit? Können sie einander in selbstbestimmten Lebenswegen tolerieren und sich dennoch als Gemeinschaft verstehen? Können sie sich gegenseitig einen Raum der Privatsphäre gewähren? Einen Schutzraum vor Einmischungen durch religiöse Autoritäten und neugierigen herrschsüchtigen Glaubensgeschwister? Ohne das Klischee von der unterdrückten muslimischen Frau bedienen zu wollen, so muss doch attestiert werden, dass man in der muslimischen Gemeinschaft dazu tendiert, Frauen nicht als einzigartige selbstbestimmte Individuen wahrzunehmen, sondern als regulierungsbedürftige Objekte.

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Neben kulturell bedingten patriarchalischen Vorstellungen sind viele Rollenzuschreibungen eng verknüpft mit der Erfolgsgeschichte des ideologischen Islams im 20. Jahrhundert. Ideologen wie Hasan Al-Banna, Sayyid Qutb, Zainab Al-Ghazali oder Abul A’la Maududi lehrten zwar die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, lehnten jedoch die Gleichberechtigung aufgrund biologischer Unterschiede ab. Al-Banna predigte, es gäbe eine separaten Männer- und eine separaten Frauengesellschaft. Beide sollten rigorose voneinander getrennt sein. Im Streben nach der Restauration politischer Macht in der muslimischen Welt, sollte die fromme Muslimin ihren Beitrag als Ehefrau, Hausfrau und Mutter leisten.

Psychologisch geschickt verpackte man diese Zwangsschablone in schmeichelnde Worte. Die Frau sei in dieser Rolle Königin, Herrin und Lenkerin ihres Hauses und ihres Ehemannes. Zudem sei sie die Lehrerin einer künftigen muslimischen Elite. Jede Frau aber, die einen anderen Lebensweg einschlage, würde die Wiedergeburt der islamischen Zivilisation gefährden. Damit war das schlechte Gewissen perfide für die politische Strategie instrumentalisiert.

Und doch nimmt die Rolle des Mannes als Ernährer und Verteidiger der Familie stets einen höheren Stellenwert im gesellschaftlichen Bewusstsein ein, als die Rolle einer Ehe- und Hausfrau. Somit führte ein solches aufgezwungene Frauenbild konsequent zu einer Abwertung derselben im männlichen Denken. Unter der Vorgabe, dass der Mann in der Gesellschaft partizipieren darf und somit zum Herrschen befähigt ist, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die Frau dem Mann physisch wie geistig unterlegen und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter letztendlich minderwertig ist.

Die ideologische Rollenzuschreibung hatte natürlich eine weitere Funktion, sollten doch Frauen aus dem öffentlichen Raum weitestgehend verdrängt werden. Misstrauisch beäugten die Ideologen das Vordringen der Frauen in männliche Domänen, unterstützt durch die progressive Islamauslegung des Philosophen Jamal Al-Din Al-Afghani und des Muftis von Ägypten Muhammad Abduh. Machtverlustängste taten sich auf, da der Ruf nach Emanzipation die männliche Annahme von der eigenen natürlichen und für selbstverständlich angenommenen Überlegenheit in Frage stellte.

Gesellschaftliche Unruhen würde es auslösen, wenn Männer und Frauen partnerschaftlich in der Gesellschaft zusammenwirken würden. Als unbeherrscht, sinnlich, hemmungslos und als Verführerin wurden Frauen stigmatisiert. Ein solches Denken ist nicht weit davon entfernt, die Frau gänzlich zu verhüllen, damit sie gar nicht mehr wahrnehmbar ist. Verwundert es da, dass Wahhabiten hierzulande Musliminnen suggerieren, nur eine Frau, die Burka trage, sei eine freie Frau? Sollte es nicht nachdenklich stimmen, wenn man hierzulande immer öfters auf muslimische Onlineshops stößt, die den Gesichtsschleier als authentisches islamisches Kleidungsstück verkaufen? Abduhs Schüler, der ägyptische Jurist und Feminist Qasim Amin, verurteilte dieses Denken als entartet. Wie könne es sein, dass muslimische Männern ihren Müttern, Ehefrauen und Töchtern unterstellen, sich nicht beherrschen zu können und ihnen das schlimmste zutrauen, statt ihnen Vertrauen zu schenken?

Im Grunde lässt sich hinter all dem ein erschreckender Mechanismus erkennen, schließlich übertrugen herrschende Mehrheitsgruppen biologische Argumente in der Vergangenheit gerne auf Minderheiten, seien es Afro-Amerikaner, Menschen jüdischen Glaubens, oder aktuell, ausgelöst durch Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab, auf Menschen muslimischen Glaubens, um diese am gesellschaftlichen Aufstieg und Partizipation zu behindern. Stets verhindern angebliche biologisch determinierte Unzulänglichkeiten die volle Gleichberechtigung. Der faschistisch-autoritäre Charakter der im 20. Jahrhundert aufgekommenen islamisch-ideologisch Bewegungen kommt nicht umhin, Verschiedenheit mit Ungleichheit zu verwechseln. Wo immer er Unterschiede wahrnimmt, muss er nach der darin enthaltenen Unter- oder Überlegenheit suchen. Leitartikel Meinung

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  1. meipse sagt:

    Im Koran heißt es: „O ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, Der euch aus einem einzigen beseelten Lebewesen (nafs) geschaffen hat, aus ihm sein Partnerwesen (zaudsch) geschaffen hat und aus beiden viele Männer und Frauen sich vermehren ließ.“ (4:1)
    Aus der koranischen Darstellung geht im Gegensatz zur Bibel nicht hervor, daß der erste Mensch ein Mann gewesen ist und erst danach seine Frau geschaffen wurde. Das Wort nafs (Wesen, Seele) ist grammatisch feminin, bezeichnet aber kein bestimmtes Geschlecht. Das Wort zaudsch, das hier mit Partnerwesen übersetzt wurde, ist grammatisch maskulin, bezeichnet aber ebenso wenig ein bestimmtes Geschlecht. Ginge man nach der Grammatik, hätte Gott also sogar erst ein weibliches und danach ein männliches Wesen erschaffen, aber das ist hier gar nicht die Frage um die es geht. Für den Koran ist es schlicht egal, ob zuerst der Mann oder die Frau da war, denn der Mensch ist von vorneherein als Paar angelegt.
    An anderer Stelle im Koran (53:54 u. 75:39) wird hervorgehoben, daß die beiden Teile (Partnerwesen) eines solchen sich ergänzenden Paares männlich und weiblich sind, nicht jedoch männlich und männlich oder weiblich und weiblich, woraus sich verstehen läßt, daß im Islam keine „Homo-Ehe“ zulässig ist.
    Erstaunlicherweise gibt es in China schon seit langer Zeit Imaminnen, also weibliche Vorbeterinnen, jedoch in nur für Frauen vorbehaltenen Moscheen. Insbesondere im Gemeinschaftsgebet kann nicht auf die Geschlechtertrennung verzichtet werden, da es hier in den dicht geschlossenen Reihen der Betenden zu körperlichem Kontakt der Betenden kommt und die Hinteren den Vorderen während der Ausführung bestimmter Bewegungen aus nächster Nähe auf ihre Hinterteile blicken, weswegen der Prophet Muhammad – Friede sei auf ihm – anordnete, daß die Frauen ihre Reihen in einem gewissen Abstand hinter denjenigen der Männer bilden sollen – während alle einem (männlichen) Vorbeter folgen. Während des Gebets soll sich der Betende auf sein Gebet, sein Gespräch mit Gott konzentrieren, sein Herz auf Ihn ausrichten und nicht durch weibliche Reize davon abgelenkt werden. Daher ist ein Gebet, in dem Männer und Frauen gemischt in den Reihen stehen, auf jeden Fall abzulehnen.
    Ansonsten bleibt die Geschlechtertrennung in der Öffentlichkeit grundsätzlich darauf beschränkt, daß einer fremde Männer und Frauen sich nicht gegenseitig anstarren und nicht unmittelbar in körperliche Berührung kommen sollen (wozu auch ein Händedruck gehört).

  2. Manuel sagt:

    @meipse

    Es ist ziemlich egal, was im Koran drin steht, denn am Ende macht jeder Muslim so ziemlich das was er für richtig und angemessen hält. Die meisten Muslime interessieren sich nicht die Bohne für die Grammatik im Koran.

    Wenn ich mir die Kleidervorschriften für muslimische Frauen anschaue, dann kann ich nicht verstehen, wie man unter so viel Stoff einen männlichen von einem weiblichen Hintern unterscheiden kann. Es wird ja wohl kaum eine Muslima im Minirock in einer Moschee beten!?
    Warum man eine Frau nicht berühren darf, stellt für mich auch ein Rätsel da. Was bedeutet, denn diese Berührung für Muslime? Ist das schon eine Art Sex oder sexuelle Fantasie? Ist das nicht eigentlich ein extrem kindisches Verhalten und für unsere europäischen Traditionen extrem unmanierlich?

    Von einer modernen Religion verlange ich solche Dogmen ernsthaft in Frage zu stellen. Wenn dies nicht möglich ist, dann muss der Islam sich ernste Vorwürfe machen lassen.

  3. K. El-Qasem sagt:

    Als Anregung sind die im Artikel geäußerten Gedanken sicher interessant, aber sie werfen einiges durcheinander oder lassen Anderes unbeachtet. Wenn wir die Rolle der Mutter und HAusfrau betrachten, dann müssen wir feststellen, dass diese in den uns bekannten nichtmuslimischen Gesellschaften auch kaum Ansehen genießt bzw. als minderwertug gesehen wird. Den Grund dafür im ISlam zu suchen, erübrigt sich in diesen Fällen. Doch auch hier finden wir eine naturalisierende Argumentation, die ganz ohne Islam auskommt. Die skizzierte ENtwicklung, die der Moderne zuzurechnen ist, spricht vielmehr für einen Import eines Frauenbildes im Rahmen kolonialistischer Prozesse: Die Sicht auf Frauen als „unbeherrscht, sinnlich, hemmungslos und als Verführerin“ entarnt schon Edward Said als eine Projektion aus dem Konstrukt des Orientalismus. Ebenso wie die Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Raum in Europa schon lange gängige Praxis war, bevor sie in muslimischen Ländern Einzug erhielt. Nicht dass es dadurch besser würde, aber was eigentlich zu beklagen ist, ist doch, dass Muslim_innen nicht in der Lage sind von diesen Fremdzuweisungen frei zu machen, und diese im Gegenteil ihre eigene Argumentation durchdringen. Diskursiv betrachtet lässt sich das erklären, falsch wäre es, dabei zu bleiben. Die ideologische Mechanismus, der hier bedient wird, der eines Othering, ist dabei weniger ein muslimischer oder in den Lehren des Islam verhafteter, eher ein diesen Fremder, bildet aber in modernen Ideologien doch das Paradigma schlechthin. Muslim_innen täte daher eine Besinnung auf ihre Konzeption der Welt ganz gut, um aus dieser heraus eigene Standpunkte zu entwickeln.

  4. Antoinette de Boer sagt:

    Mich interessiert das Zusammenleben zwischen Migranten und „Bio-deutschen“ schon sehr lange,besonders unter dem Aspekt,wie können wir uns insgesamt besser kennen-und verstehen lernen.Mein Eindruck ist der,dass die Muslime gerne in ihrer eigenen „Blase“ bleiben möchten,was sicher ganz unterschiedliche Gründe hat und zum Teil auch verständlich ist.Aber es bringt uns als Gesellschaft nicht weiter.Ich finde das Gedankengut von z.B.Muhammad Sameer Murtaza sehr inspirierent und wünschte mir,dass mehr interreligiöse Kontakte stattfinden könnten ,o h n e Hintergedanken ! Jeder sollte in seinem Glauben und seiner Lebensphilosophie frei sein und respektiert werden,solange es ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.Auf diesem Wege könnten sich auch Mann und Frau auf Augenhöhe begegnen,was doch selbstverständlich sein solllte.

  5. Antoinette de Boer sagt:

    Warum dürfen die Männer in der Moschee immer in dem,oft schönen Hauptraum beten und die Frauen müssen sich während des Betens in einen oft schmucklosen Nebenraum begeben ? Ich empfinde das ziemlich entwürdigend. Ich kann in gewisserweise verstehen,dass die Form und Enge während des Gebetes eine Durchmischung der Geschlechter nicht wünschenswert erscheinen lässt,weil sich vielleicht fremder ungewollter Körperkontakt ergeben könnte,oder eine unangenehme Sicht auf Hinterteile. ABER: Man könnte sich doch durchaus vorstellen,dass der Hauptraum in der Moschee in 2 Abteilungen ,eine männliche und eine weibliche Abteilung unterteilt wird,sodass eine Gleichwertigkeit unter den Geschlechtern möglich ist .W a r u m geht das n i c h t ?

  6. posteo sagt:

    Antoinette de Boer sagt: Man könnte sich doch durchaus vorstellen,dass der Hauptraum in der Moschee in 2 Abteilungen ,eine männliche und eine weibliche Abteilung unterteilt wird,sodass eine Gleichwertigkeit unter den Geschlechtern möglich ist .W a r u m geht das n i c h t ?
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    In vielen Kirchen war es bis in die jüngste Zeit üblich, dass Männer und Frauen separat in den durch den Mittelgang getrennten Bankreihen saßen. So könnten beide Geschlechter auch den großen Gebetssaal nutzen, indem nebeneinander befindliche Blöcke bilden.

  7. Müllerin sagt:

    Antoinette de Boer sagt: Man könnte sich doch durchaus vorstellen,dass der Hauptraum in der Moschee in 2 Abteilungen ,eine männliche und eine weibliche Abteilung unterteilt wird,sodass eine Gleichwertigkeit unter den Geschlechtern möglich ist .W a r u m geht das n i c h t ?
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    Weil es in der Regel von den Männern nicht gewünscht wird. Diese sind es letztlich, die den Islam für sich definieren.

  8. Otto W sagt:

    Man könnte den Hauptraum auch wöchentlich abwechselnd nutzen. Lösungen gäbe es viele, es fehlt halt nur der Wille…
    Überkommene Traditionen sind abzuschaffen, den örtlichen und zeitlichen Maßstäben anzupassen und zu überdenken.

  9. Mandi sagt:

    Und Frauen wie meipse finden diese Diskriminierung der Frau auch noch cool. Unglaublich.