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Symbolfoto © Ian Sane @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Das Warten

Stillstand der Asylbewerber

In Syrien hatte Tarek zwischen Studium, Familie und Geldverdienen kaum Zeit. In Deutschland kämft er gegen die Langeweile. Das wenige Geld was er hat, gibt er für Fahrkarten aus, um dem tristen Flüchtlingswohnheim zu entkommen - der Alltag vieler Flüchtlinge.

Von Montag, 27.04.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.05.2015, 20:16 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Stolz hält Tarek seinen neuen Bilbliotheksausweis in der Hand. Endlich kann er sich Bücher und Filme leihen, die ihm helfen, schneller Deutsch zu lernen. AsylbewerberInnen 1 mit „Aufenthaltsgestattung“ wie Tarek können in der Stadtbibliothek einen kostenlosen Mitgliedsausweis beantragen – zum einen eine Möglichkeit der kulturellen Teilhabe, zum anderen eine Erinnerung an eine zeitliche Befristung. Der Mitgliedsausweis besitzt nur solange Gültigkeit, wie die „Aufenthaltsgestattung“ des/der InhaberIn. Das Gefühl, in Deutschland nur eine Zukunft auf Zeit haben zu können, ist Teil des Wartens auf ein Leben nach dem Warten.

Zu viele Menschen, zu kleine Zimmer, verwahrloste Sanitäranlagen, Gemeinschaftsküchen – die Zustände der Unterkünfte für Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, stehen immer wieder in der Kritik. Neben der mangelnden Privatsphäre müssen sich Asylsuchende zudem noch mit einigen anderen Einschränkungen auseinandersetzen. Auf diese Problematiken machten auch die bundesweiten Flüchtlingsproteste 2012 nach dem Suizid eines iranischen Mannes in Würzburg aufmerksam. Auch Asylsuchende in München sehen sich in ihrem Alltag mit vielen verschiedenen Hindernissen konfrontiert, die ihnen ein halbwegs „normales“ Leben in Deutschland schwer machen und sie zum Warten auf ein unbestimmtes Danach zwingen. Dabei sind viele am Anfang voller Energie und Pläne, wollen eine Ausbildung machen, studieren, arbeiten, Geld verdienen – sich in die Gesellschaft einbringen. So wie Tarek. Tarek ist Mitte 20, nach Deutschland geflohen und möchte Medizin studieren.

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Info: Im Jahr 2014 beantragten 202 834 Menschen in Deutschland Asyl. Der Großteil von ihnen wird in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Asylverfahren dauern im Schnitt 16 Monate können sich aber auch über mehrere Jahre erstrecken. Die Unterkünfte werden anhand eines Computerprogramms namens EASY („Erstverteilung der Asylbegehrenden“) zugeteilt. Dezentrale Lagen und wenig frei verfügbares ökonomisches Kapital/finanzielle Mittel bilden die beiden Säulen für einen temporären Stillstand.

Tarek erzählt aus seiner Heimat, Syrien. Von den Menschen, die sich ärztliche Behandlungen und Krankenhausaufenthalte nicht leisten können. Aus politischen Gründen konnte er nicht länger bei seiner Familie bleiben, geschweige denn sein Studium weiter verfolgen. Einziger Ausweg: Syrien verlassen und sich auf den Weg nach Europa machen. Als ich Tarek treffe lebt er in einer Gemeinschaftsunterkunft im S-Bahn-Einzugsgebiet Münchens. Weil eine gemeinnützige Organisation seine Fahrkarte und seine Verwandten in Deutschland die Kursgebühr bezahlen, kann er in München einen Sprachkurs besuchen. Angesichts der eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten für Asylsuchende in Deutschland hat Tarek gegenüber anderen bereits einen klaren Vorteil.

Denn die Gesetzeslage sieht zum Beispiel vor, dass nur die InhaberInnen eines Ausweises mit dem Titel „Aufenthaltserlaubnis“ das Recht auf einen sogenannten Integrationskurs haben. Der Aufenthaltsstatus gliedert sich in Deutschland in drei verschiedene Stufen: die“Aufenthaltserlaubnis“, die „Aufenthaltsgestattung“ und die sogenannte Duldung.

Wer sich im Asylverfahren befindet, ist „gestattet“, wer eine Ablehnung des Asylantrags erhalten hat, aber nicht ausreisen kann, „geduldet“. Beide Titel bedeuten für den Alltag dieser Menschen einen beschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und die Verpflichtung, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. So kann es passieren, dass Menschen seit Jahren in Deutschland leben und kein Wort Deutsch sprechen können. Ohne die nötigen Sprachkenntnisse ist es geradezu unmöglich, beruflich Fuß zu fassen.

Die Fahrkarte ist Tareks Schlüssel zur Mobilität, sie ist das Ticket zu einer Außenwelt abseits der Unterkunft. Ohne sie würde es ihm wie vielen anderen Asylsuchenden gehen, die sich die meiste Zeit in der Gemeinschaftsunterkunft und der nahen Umgebung aufhalten müssen. Wenn sie Pech haben, beschränkt sich ihre in Fußweite liegende Umwelt dabei auf einen Wald.

Der Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln ermöglicht Tarek auch, seine Freundin in München zu besuchen. In ihrer Wohnung hält er sich so oft wie möglich auf, dort kann er sich gut konzentrieren. Zeit mit seinen Freunden aus der Gemeinschaftsunterkunft verbringt er aber immer noch. Sie kochen, er spült ab. Dann spielen alle Karten. Neu für Tarek ist die große Ansammlung an Zeit, mit der er sich, seit er in Deutschland ist, konfrontiert sieht. In Syrien haben seine Freunde ihn auf der Arbeit besucht, um ihn überhaupt einmal zwischen Studium, Familie und Geld verdienen zu Gesicht zu bekommen. Jetzt hat Tarek so viel Zeit wie noch nie in seinem Leben.

In Deutschland befinden sich Asylsuchende in einem Regelgeflecht zwischen Arbeitsverbot und -pflicht. In den ersten drei Monaten des Aufenthalts gilt Arbeitsverbot. Gleichzeitig gibt es die Verpflichtung zu „gemeinnütziger Arbeit“. Bei Weigerung folgt die Kürzung der Asylsozialleistung. Bis zum sechzehnten Monat des Aufenthalts ist der Zugang zum Arbeitsmarkt eingeschränkt erst nach einer so genannten Vorrangprüfung, also wenn kein Deutscher und kein EU-Staatenmitglied die Stelle haben will, besteht die Chance auf eine Arbeitserlaubnis. Das Verfahren der Vorrangprüfung ist mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden, der auf potenzielle ArbeitgeberInnen eher abschreckend wirkt. Bis zum uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende mit „Aufenthaltserlaubnis“ und „Duldung“, der nach vier Jahren in Deutschland möglich ist, können Beschäftigungsverhältnisse durch die Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich Ausübungsort sowie Dauer und Art der Tätigkeit beschränkt werden. In vielen Fällen wird der Zugang dann aber, laut Agnes Andrae, Mitarbeiterin des Bayerischen Flüchtlingsrats, von den Behörden immer wieder sanktioniert, auch nach mehr als vier Jahren in Deutschland.

  1. Der von den deutschen Behörden verwendete Begriff „AsylbewerberIn“ verweist bereits auf den Zeitraum des Wartens, der vor den AntragstellerInnen liegt. Um Zuflucht und das Recht in Deutschland ankommen zu dürfen, muss sich in einem langwierigen Verfahren beworben werden. In Abgrenzung hierzu verwende ich den Begriff Asylsuchende, in dem Bewusstsein dabei zwangsläufig in einer Kategorisierung von menschlicher Mobilität (Flüchtling, Migrant etc.) verhaftet zu bleiben, was für den Gegenstand dieser Forschung unvermeidbar ist, um aufzeigen zu können, was diese spezifische Kategorisierung für die betroffenen Menschen zur Folge hat.
Feuilleton Leitartikel

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  1. Franziska Voges sagt:

    Der Artikel enthält zwei sachlich falsche Aussagen, die ich gerne korrigieren möchte. 1. Arbeitsverbot für Personen mit Aufenthaltsgestattung oder Duldung: Das absolute Arbeitsverbot besteht mittlerweile nur noch in den ersten drei Monaten, anschließend unterliegen o.a. Personenkreis der im Artikel beschriebenen Vorrangprüfung bis zum 16. Monat. Vom 16. Monat bis zum 48. Monat werden von der Agentur für Arbeit noch die Arbeitsbedingungen geprüft (Entlohnung,Arbeitszeit etc.) Nach 4 Jahren besteht dann, sofern Personen mit Duldung nicht durch ein Arbeitsverbot durch die Ausländerbehörde sanktioniert werden, ein voller Zugang zum Arbeitsmarkt.
    2. Residenzpflicht. Die im Artikel beschriebenen Auflagen sind nicht mehr aktuell. Sie gelten nur noch für die ersten 3 Monate, anschließend nur noch bei Vorliegen einer Straftat (Details siehe z.B. unter http://www.residenzpflicht.info/wp-content/uploads/2015/01/2014-12-31_Anmerkungen_Rechtsstellungsverbesserungsgesetz.pdf). Asylbewerber und Personen mit Duldung können sich nach den ersten 3 Monaten frei im Bundesgebiet bewegen. Sie unterliegen allerdings weiterhin der sogenannten Wohnsitzauflage, d.h. sie können nicht eigenständig ihren gemeldeten Wohnsitz ändern.

  2. Julia Sophia Schwarz sagt:

    Vielen Dank für die wichtigen Anmerkungen. Zum Zeitpunkt der Gespräche waren die gesetzlichen Änderungen noch nicht in Kraft getreten, dies ist nun im Text erkennbar…