Aus dem Kosovo nach Jena
Hoffnung auf ein besseres Leben
Eigentlich sollte es bis nach Frankreich gehen: Um Korruption und Armut zu entkommen, floh Tarek mit seiner Familie aus dem Kosovo und wartet nun auf seine Anhörung bei der Ausländerbehörde. Von Robert Sittner
Von Robert Sittner Donnerstag, 25.06.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 27.06.2015, 13:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Tarek 1 floh aufgrund eines Gerüchts, einer falschen Hoffnung: „Wir hörten, dass es in Frankreich Asyl für alle gibt, da haben wir unsere Sachen gepackt und sind los“, sagt er und streicht sich mit der Hand über seinen kahlgeschorenen Kopf. Fehlinformationen wie diese werden im Kosovo immer wieder zum Auslöser für die Flucht ganzer Menschenmassen. Tarek lebte nicht in Gefahr. Er ist ein „Wirtschaftsflüchtling“. Nach einer Odyssee, die ihn durch Serbien, Ungarn und Österreich führte und die schließlich von einer deutschen Polizeikontrolle am Münchner Hauptbahnhof unterbrochen wurde, strandete er im thüringischen Jena. Seitdem wartet er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern auf die alles entscheidende Anhörung.
Zehn Euro, soviel hat Tarek an einem Zwölfstundentag im Kosovo verdient, maximal 300 Euro im Monat. Davon musste er die Miete zahlen und vier Mäuler stopfen – bei den momentanen Gegebenheiten im Kosovo fast unmöglich. Die Lebensumstände im jüngsten Staat Europas haben sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert. Seit 2008 steigen die Preise für Lebensmittel, Kleidung und Medikamente und sind laut dem Informationszentrum Dritte Welt auf deutschem Niveau angekommen. „Als mein Sohn letztes Jahr krank wurde, konnte ich die Antibiotika nicht bezahlen“, sagt Tarek mit verzweifelter Stimme und deutet auf den 4-jährigen Dejan*. Dazu kommt ein marodes Gesundheitssystem und eine Arbeitslosenquote, die laut der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID bei etwa 45 Prozent liegt.
Seit Anfang 2015 vermeldet das Bundesamt für Migration einen rapiden Anstieg der Asylanträge aus dem Kosovo. Unter den Flüchtlingen sind nicht nur einfache Arbeiter, sondern auch viele Akademiker und Fachkräfte. Sie treibt nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die florierende Korruption aus dem Land. „Wer eine gute Arbeit will, muss nicht studieren, sondern Schmiergeld zahlen. Ich selbst kenne viele Lehrer, die ihren Beruf ausüben, ohne ihn je erlernt zu haben“, berichtet Tarek und ballt die Rechte dabei wütend zur Faust. Laut dem Ranking Transparency International ist das Kosovo auf Platz 65 der korruptesten Staaten der Welt.
Tarek hat weder einen Schulabschluss, noch eine Ausbildung. Im Kosovo hat er auf dem Bau gearbeitet. Beruflich hat er keine besonderen Wünsche oder Vorstellungen. Vielleicht wieder auf dem Bau, in der Fabrik oder auch im Restaurant – er würde jedes Angebot annehmen. Denn die Untätigkeit im Asylbewerberheim quält ihn, der es ein Leben lang gewohnt ist, hart zu arbeiten. Das Nichtstun zehrt ihn auf. „Ich will wieder arbeiten. Wieder eine eigene Wohnung haben, vielleicht eines Tages sogar Urlaub machen“, erzählt er mit hoffnungsvoller Miene.
Seinen Asylantrag hatte er im Dezember 2014 gestellt; sechs Monate später gibt es noch immer keinen Termin für die Anhörung. In dieser muss der Asylsuchende seinen Anspruch auf Asyl glaubhaft machen. Während unseres Gesprächs berichtet er weder von politischer Verfolgung noch von Diskriminierung im Kosovo. Sollte man ihn nur als Armutsflüchtling einstufen, könnte sein Gesuch abgelehnt werden und er würde abgeschoben. „Wenn der Antrag abgelehnt wird, muss ich zurück in mein altes Leben. Ich weiß nicht, wie es dann weiter geht, aber ich werde nicht nochmal versuchen zu flüchten“, sagt Tarek und blickt dabei zu Boden.
Seit der Dublin-II-Verordnung im Jahre 2003 führt eine Ablehnung des Asylgesuchs in einem EU-Staat zur generellen Versagung des Anspruchs in allen EU-Mitgliedsländern. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, hätte die Familie keine Mittel für eine erneute Ausreise. Bis zur Anhörung kann Tarek nur warten und hoffen – hoffen, dass all die Bemühungen nicht umsonst waren. Denn die Hoffnung an ein besseres Leben im Kosovo hat er schon lange verloren.
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