Oberverwaltungsgericht Berlin

Türken müssen für Familiennachzug keine Sprachkenntnisse nachweisen

Ehegatten türkischer Staatsbürger müssen für ein Visum zum Familiennachzug keine Sprachkenntnisse nachweisen – jedenfalls nicht vor der Einreise. Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin entschieden. Damit gerät die Bundesregierung erneut in Erklärungsnot. Opposition fordert Streichung der umstrittenen Regelung.

Montag, 02.02.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 13.02.2015, 10:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Ehegatten türkischer Staatsangehöriger müssen für ein Visum zum Familiennachzug keine deutschen Sprachkenntnisse nachweisen. Das hat das Oberverwaltungsgericht Berlin am Freitag (OVG 7 B 22.14) entschieden. Die Entscheidung umfasst alle Türken, die Arbeitnehmer im Sinne des Assoziationsabkommens sind – kurz: die meisten.

Damit ist die im Jahr 2007 von Schwarz-Rot in das Aufenthaltsgesetz eingefügte Regelung zum Sprachnachweis auf türkische Staatsbürger nicht anwendbar. Die Berliner Richter verweisen in ihrer Entscheidung auf die sogenannte „Stillhalteklausel“ im Assoziationsratsbeschluss, ein Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aus dem Jahre 1980 (Art. 13 ARB 1/80). Das Abkommen bindet auch Deutschland und besagt, dass die Freiheiten eines türkischen Staatsbürgers nach Inkrafttreten des Abkommens nicht mehr eingeschränkt werden dürfen.

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EuGH mit klaren Worten
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Juli 2014 entschieden, dass die Regelung gegen dieses Verbot verstößt. Die Sprachregelung war nach dem Inkrafttreten des Abkommens eingeführt worden. Zudem monierten die Luxemburger Richter in ihrer Entscheidung eher beiläufig, dass fehlende Sprachkenntnisse zu einer automatischen Versagung des Visums führen.

Die EuGH-Entscheidung wurde sowohl von Oppositionspolitikern als auch von SPD-Politikern begrüßt, darunter auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz. Sie forderten nicht nur die Streichung dieser Regelung für türkische Staatsbürger, sondern für alle. Denn die Sprachregelung ist schon seit ihrer Einführung politisch umstritten, juristisch kaum zu halten.

Union hält an Regelung fest
So werden Spracherfordernisse nicht von allen verlangt, sondern nur von bestimmten Staatsangehörigen. Selbst deutsche Staatsbürger sind im Vergleich zu EU- oder US-Bürgern oder Bürgern vieler anderer Staaten schlechtergestellt. Zudem wird die Verlagerung des Spracherwerbs ins Ausland als Schikane empfunden. Betroffene müssen für den Spracherwerb im Ausland viel mehr Geld ausgeben, sofern sie überhaupt einen Sprachkurs finden, und lernen die Sprache in einem nichtdeutschen Umfeld deutlich langsamer. Viele Familien müssen über viele Jahre getrennt leben.

Die Freude nach der EuGH-Entscheidung hielt bei der Opposition und in Teilen der SPD aber nicht lange. Das von der Union geführte Bundesinnenministerium hielt an der Sprachregelung fest. Begründet wurde das mit der Kritik des EuGH, dass die Sprachregelung nicht einmal Ausnahmen bei Härtefallen mache. In der Folge ordnete das SPD-geführte Auswärtige Amt per Erlass Härtefallprüfungen an.

Regierung in Erklärungsnot
So nicht, entschied nun das OVG Berlin. Dieser Ministeriumserlass stehe nicht im Einklang mit der strikten Regelung im Aufenthaltsgesetz. Eine Änderung könne nur durch ein Gesetz erfolgen, so das Gericht, wenn überhaupt. Denn das OVG hat sich nicht dazu geäußert, ob der Gesetzgeber einen Sprachnachweis mit einer Härtefallregelung, wie sie im Erlass des Auswärtigen Amtes vorgesehen ist, wirksam hätte treffen können. Die Revision wurde zugelassen.

Für den innenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sind die Forderungen dieses Richterspruchs eindeutig. Er fordert die Streichung dieser Regelung. „Das war eine Schikane aber keine Integrationspolitik. Wer nach Deutschland einreist, soll einen Integrationskurs besuchen können. Denn deutsch lernt man in Deutschland am besten“, so der Grünen-Politiker.

Zu den härtesten Kritikern dieser Regelung gehört seit seinem Inkrafttreten auch die Linkspartei. In unzähligen parlamentarischen Anfragen und Stellungnahmen hat die migrationspolitische Sprecherin, Sevim Dağdelen, die Bundesregierung bereits in Erklärungsnot gebracht – zuletzt im MiGAZIN. In so einer Situation dürfte sich Bundesregierung nun erneut befinden, nicht nur aufgrund des aktuellen OVG Urteils. Denn auch EuGH-Generalanwälte haben zuletzt klar gegen Sprachtests als Voraussetzung für den Ehegattennachzug votiert. (bk) Leitartikel Recht

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