Zur Papst-Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik
Starke Worte, aber wenig konkrete Forderungen
In der vergangenen Woche hat erstmals seit 26 Jahren ein Papst im Europaparlament gesprochen. In der anschließenden Medienberichterstattung wurde die Rede als harsche Kritik an der EU-Flüchtlingspolitik präsentiert. Wer jedoch genau hingehört hat, hat gemerkt: Die Kritik des Papstes an den Mitgliedstaaten war zwar scharf, nahm jedoch nur einen enttäuschend kleinen Teil der Rede ein. Konkrete Handlungsempfehlungen nannte Franziskus nicht.
Von Birgit Sippel Freitag, 05.12.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.12.2014, 20:40 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird!“ Die Worte von Papst Franziskus I im Europäischen Parlament in Straßburg waren deutlich, keine Frage. Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union laufe Gefahr, einzelstaatliche Lösungen in den Staaten anzuregen, so der Pontifex. Damit war das Thema Flüchtlingspolitik in der Rede des Papstes aber im Prinzip auch schon abgehakt. Die Forderung nach einem gemeinsamen europäischen Handeln sprach der Papst also aus. Konkrete Vorschläge, wie dies geschehen soll, gab es jedoch nicht. Der Appell, die Würde aller Menschen zu achten, war eben auch nur ein Appell − bei kritischer Betrachtung sogar eingeschränkt durch die Betonung, dass Europa eine christliche Staatengemeinschaft sei. Das missachtet die gleichfalls prägenden Einflüsse von Juden und Muslimen, ebenso wie nicht-religiöse humanistische Entwicklungen.
Dabei ist für uns SozialdemokratInnen im Europäischen Parlament klar: Um die Situation der Flüchtlinge in Europa und insbesondere im Mittelmeerraum zu verbessern, braucht es eines grundsätzlichen Umdenkens in der EU-Flüchtlingspolitik. Die Regierungen der Mitgliedstaaten müssen Schluss damit machen, sich gegenseitig den „schwarzen Peter“ zuzuschieben und endlich gemeinsam Verantwortung übernehmen.
Was wir konkret fordern: Zunächst setzen wir uns für die Einführung eines gerechten Verteilungsschlüssels ein. Aktuell nehmen 5 Mitgliedstaaten 75 Prozent der Flüchtlinge auf. Schuld an dieser Situation ist die umstrittene, aber noch immer geltende Dublin-Regelung. Nach dieser muss ein Flüchtling im Regelfall seinen Asylantrag in dem Land stellen, in dem er zuerst ankommt – und dort nach positivem Abschluss mindestens 5 Jahre bleiben. Die extrem ungleiche Verteilung der Flüchtlinge macht deutlich, wie überholt die Dublin-Verordnung ist. Ein Verteilungsschlüssel, der die Flüchtlinge etwa anhand der Größe des Mitgliedstaates und der jeweiligen wirtschaftlichen Stärke fair auf die EU-Staaten aufteilt, ist daher unerlässlich! Ein solcher Schlüssel wäre nicht nur gerechter, er würde den Mitgliedstaaten auch eine bessere Planung ihrer Hilfeleistungen ermöglichen. Der neue EU-Kommissar für Migration und Inneres, Dimitris Avramopoulos, hat zwar in seinen ersten Stellungnahmen zur Zukunft der EU-Flüchtlingspolitik den Willen zur Reform bekräftigt. Zu einem Verteilungsschlüssel hat er bisher jedoch nur vage Andeutungen gemacht. Da muss in den kommenden Monaten mehr kommen! Denn klar ist auch: Von alleine werden die Mitgliedstaaten keine Veränderungen herbeiführen.
Neben einer fairen Verteilung der Flüchtlinge in Europa fordern wir die Schaffung sicherer Zugangswege nach Europa. Die meisten Flüchtlinge sehen keine Chance, legal nach Europa einzureisen, um Asyl zu beantragen. In ihrer Not riskieren sie irreguläre, oft lebensgefährliche Weg über die Grenze. Auf diese Weise haben in den ersten neun Monaten dieses Jahres schon über 3000 Menschen im Mittelmeer ihr Leben verloren? Diejenigen, die diesen gefährlichen Weg überleben, enden viel zu oft in den Armen von Schleusern und Schlepperbanden. Auch die Anfang November gestartete Frontex-Operation Triton reicht zur Lösung der humanen Katastrophe im Mittelmeerraum nicht annähernd aus. Denn: Die EU-Agentur Frontex verfügt weder über die notwendigen finanziellen noch über die operativen Mittel für eine effiziente Seenotrettung. Zudem umfasst ihr Mandat in erster Linie den europäischen Grenzschutz, nicht aber die Seenotrettung. Aber eine verbesserte Seenotrettung kann immer nur an allerletzter Stelle greifen. Ein neues europäisches Instrument, das den Schutzbedürftigen legal Zugang zum europäischen Asylsystem verschafft, ist daher − neben der gerechten Verteilung und der vollen Nutzung bereits existierender Instrumente − der einzig sinnvolle Ansatz. Aber auch hier drücken Kommission und Mitgliedstaaten auf die Bremse.
Sichere, legale Wege nach Europa sowie eine faire Verteilung − das sind unsere eng mit der Migrationspolitik verbundenen zentralen Forderungen. Sie machen deutlich: Wir brauchen einen integrativen Ansatz, der die unterschiedlichen Aspekte der Migration miteinander verknüpft. Kommission und Mitgliedstaaten müssen endlich aufwachen und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Die Würde des Menschen und die Achtung der Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten eben nicht nur für europäische, sondern für alle Menschen. Sie sind Grundrecht und keine Almosen, die mal gegeben, mal verweigert werden können.
Damit Migration erfolgreich gelingt, bedarf es aber auch deutlicher Anstrengungen bei der Integration. Im engeren Sinne natürlich Integration der Flüchtlinge durch Sprachkurse, (Aus-)Bildung und Berufstätigkeit. Doch wir müssen uns zugleich auch glaubwürdig um die bessere Integration von Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft bemühen, etwa von Langzeitarbeitslosen oder Menschen im Niedriglohnbereich. Und: Wir müssen die Mittelschicht mitnehmen, ihre Leistungen anerkennen und − auch das − endlich sicherstellen, dass alle Menschen und Unternehmen, die in einem Land Einkommen oder Gewinn erwirtschaften, in diesem Land auch Steuern zahlen.
Und auch wenn es erst langfristig etwas verändert: Wir müssen auch andere Politikbereiche neu justieren. Bedeutet unser Wohlstand zugleich die Armut anderer Teile der Welt? Sind unsere Hilfen zur wirtschaftlichen Entwicklung wirkliche Hilfen für die jeweiligen Regionen oder nutzen sie nur uns? Ist unser wirtschaftliches oder militärisches Eingreifen hilfreich oder schafft es neue Probleme? Kurzum: Verursacht unser Handeln erst manche Migrationsströme? Aktuell Meinung
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