Rassismus an der Discotür

Polizei: Sie haben nun einmal einen ausländischen Touch

Hamburger Kiez. Samstagabend. Haluk und seine Freunde von der Uni wollen feiern. Sie kommen nicht weit. An der Discotür ist Schluss. Sie werden nicht reingelassen. Der Ausländeranteil sei zu hoch. Haluk beschwert sich. Die Polizei kommt und macht ihn zum Täter.

Dienstag, 23.09.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.09.2014, 22:09 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Hamburger Kiez an einem typischen Samstagabend Anfang September. Haluk (21) hat sich mit Freundinnen und Freunden aus der Uni (alle zwischen 21 und 24) verabredet. Sie möchten feiern, weg vom Prüfungsstress und dem Studenten-Alltag. Gegen 0:30 Uhr stehen sie im Foyer eines Szenen Clubs an der Simon-von-Utrecht Straße. Der Türsteher zögert nicht lange und sagt es geradeaus: „Tut mir leid, ich würde euch gerne rein lassen, aber der Ausländer-Anteil ist schon zu hoch“.

Die Studenten sind überrascht und suchen das Gespräch. Vergeblich. Drei von ihnen haben keinen Migrationshintergrund. Sie trauen ihren Ohren nicht. Sie sind verunsichert und beschämt zugleich. Hätten sie es nicht selbst erlebt, würden sie es nicht glauben. Wären sie doch bloß wegen der Kleidung zurückgewiesen worden, denken sie sich. Auch am „Männeranteil“ liegt es nicht; Haluk ist mit mit vier Frauen und drei Männern unterwegs. Ein Versuch, die Club-Leitung zu überzeugen, endet immer wieder in der Sackgasse. Die Studenten geben auf. Die Nacht ist noch jung und Hamburg groß; es gibt auch andere Discos.

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Gegen 1:30 Uhr stehen sie vor einem anderen Club am Reeperbahn und mit anderen Türstehern aber mit demselben Szenario. „Tut mir leid Leute. Ihr seht gut aus und ich würde euch sofort rein lassen, aber wir haben einen gewissen Anteil, der schon überschritten ist“, sagt eine Türsteherin in freundlichem Ton. Haluk und seine Freunde haben schon eine Vermutung, wollen aber genau wissen, was gemeint ist. Der „Ausländer-Anteil“, sagt die Türsteherin nach kurzem Zögern.

Ich bin Deutscher, kein Ausländer!

Das ist zu viel. Haluk zückt seinen Personalausweis: „Ich bin Deutscher, kein Ausländer!“, beschwert er sich. Vergeblich. Der Türsteherin sind offensichtlich die Hände gebunden. Haluk und seine Freunde sind sauer und wollen diese Praxis offiziell zur Sprache bringen. Als sie die Türsteherin nach ihrem Namen fragen, zieht sie sich zurück und verlässt den Eingangsbereich. Auch die anderen Türsteher weigern sich, ihre Namen zu nennen. Als die Studenten nicht nachgeben und auf ihr Recht bestehen, rufen die Türsteher zur Überraschung aller Anwesenden die Polizei.

‚Das ist ein Schuss nach hinten für die Türsteher‘, sind Haluk und seine Freunde überzeugt. Damit dürfte sich der Fall erledigen. Die Polizei wird schon dafür sorgen, dass diese Diskriminierung ein Ende findet, denken sie sich. Schließlich verbietet es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Menschen aus Gründen der ‚Rasse‘ oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu benachteiligen. Eine Anzeige sollte genügen, sind sie sich sicher.

Die Polizei kommt

Als die Polizei zu dritt eintrifft, ist die Erleichterung bei den Studenten groß. Sie suchen gleich das Gespräch mit den Ordnungshütern in Uniform. In einem Eins-zu-Eins-Gespräch mit einem der Beamten erklärt Haluk immer noch fassungslos, was sich ereignet hat. Ihm fällt es schwer, seine Gefühle im Zaum zu halten: „Deutschland ist meine Heimat und ich bin kein Ausländer“, erklärt er dem Beamten und macht klar, dass er die Diskriminierung nicht hinnehmen möchte. Er bittet die Polizei, eine Anzeige aufzunehmen. Die Personalien der Türsteher könne die Polizei ja ohne Weiteres feststellen und die diskriminierende Einlasskontrolle dokumentieren. Doch es kommt anders.

Die Türsteher müssten ihre Namen nicht nennen, wird Haluk von einem der Polizisten belehrt. Der Club mache von seinem Hausrecht Gebrauch. Da könne die Polizei nichts machen. Haluk versteht die Welt nicht mehr. Er weiß nicht, worüber er sich inzwischen mehr aufregt: über die Diskriminierung an der Discotür oder über die Untätigkeit der Polizei. Die Atmosphäre wird zunehmend unerträglich, die Diskussion mit der Polizei immer lauter. Haluk versucht, sich zu beherrschen, nicht ausfallend oder beleidigend zu werden. Seinen Unmut kann er aber nicht gänzlich zurückhalten. Er gestikuliert mit den Händen. Das ist den Polizisten offensichtlich schon zu viel. Plötzlich findet sich der 21-jährige auf dem Boden wieder. Die zwei anderen Ordnungshüter halten ihn fest und legen ihm Handschellen an.

Der ausländische Touch

Aus Sicht der Polizei „echauffierte“ sich Haluk „so stark, dass eine Gefahrenlage“ hervorgerufen wurde. Daher sei er „kurzfristig in Gewahrsam genommen“ worden, rechtfertigt die Hamburger Polizei das körperliche Eingreifen später gegenüber dem MiGAZIN. An dem Abend sind die Freunde von Haluk aber geschockt. Sie beobachten das Geschehen ungläubig und schalten sich schließlich ein. Die Diskussion wird fortgesetzt. Allen Beteiligten, auch den Polizisten, ist klar, die Studenten haben recht. Natürlich sei es nicht schön, wenn man auf diese Art zurückgewiesen wird, versucht ein Polizist, die Studenten zu beschwichtigen. So seien Türsteher eben. Und „Sie haben nun einmal einen ausländischen Touch, egal ob Sie Deutscher sind oder nicht“, sagt einer der Polizisten.

Die Studenten sind ratlos und verwirrt. Anstatt Unrecht zu bekämpfen, hat die Polizei die Aufnahme der Anzeige verweigert, die Personalausweise der Studenten kontrolliert anstelle die der Türsteher und einen ihrer Freunde gewaltsam mit Handschellen gefesselt. Einen guten Tipp gibt einer der Polizisten den Studenten noch mit auf den Weg, als sie Haluk schließlich befreien. Im Internet könnten die Studenten ja nach dem Impressum des Clubs suchen und sich Adresse und Namen notieren für eine Beschwerde. Würden sich die Beschwerden häufen, würden die Türsteher ausgewechselt, meint einer der Polizisten.

Und wer wechselt die Polizei aus, fragen sich die Jugendlichen. Gesellschaft Leitartikel

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  1. Michael Klein sagt:

    „Das sieht die Polizei anders: Sie habe nur ihren Job gemacht.“

    Taten das nicht auch die Grenzpolizisten an der Berliner Mauer, die auf Fllüchtende geschossen hatten? Die Mörder von Peter Fechter und Chris Guffroy????

  2. krause sagt:

    Die Polizisten haben tatsächlich ihren Job gemacht. Für die Frage, ob gegen das AGG verstoßen wurde, sind alleine die Gerichte zuständig. Haluk kann auf Schadensersatz klagen und würde diesen Prozess auch gewinnen. Dass Haluk sich „echauffiert“ hat, bestätigt allerdings mal wieder das Vorurteil, dass man gegenüber bestimmten Migranten hat und gibt den Türsteher insgeheim recht.

  3. Gastarbeitersohn sagt:

    Willkommen in Deutschland, Haluk!

  4. Florian sagt:

    Hier wird ein erschreckender Vorfall geschildert, bei dem ich gewilt bin zu konstatieren, dass es sehr oft vorkommt. Es ist schon fast gruselig, welche impliziten Formen das Zurschaustellen einer „deutschen Normalperson“ (ergo: weiss) hervorbringt. Ich meine da ganz besonders die Teilung zwischen Aussehen und Staatsbürgerschaft.
    Aber was noch erschreckender ist (und in dem Bericht nicht angeschnitten wird): Es gibt einen Höchstsatz an „Ausländer_innen“ in den genannten Diskos. Welche Gründe nennen dazu die Diskobetreiber? Das wäre eine interessante Frage, die man als Zivilgesellschaft, abgrenzend von der rechtlichen Verfolgung. stellen sollte.

  5. Florian sagt:

    @Krause:
    Hätten Sie sich nicht auch echauffiert? Das hat mmn absolut nichts mit der von ihnen gemeinten Kategorie „Migration“ zu tun. Als Mitglied der Mehrheitsgesellschaft (ich weiß nicht, ob sie dazu gehören) erlebt man diese Vorfälle nicht oder wenig.

  6. Jerome sagt:

    Es gibt bereits einen Präzedenzfall vor einem Oberlandesgericht wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz mit einer Verurteilung des Diskothekenbesitzers zu einer Zahlung von 900€.

    http://www.gea.de/region+reutlingen/reutlingen/disko+urteil++ich+bin+superzufrieden.2338075.htm

    In allen Fällen sollte man sich klarmachen, dass es egal ist ob der Türsteher nur seinen Job macht, oder selbst Ressentiments hat. Verantwortlich ist in jedem Fall der Besitzer oder Pächter des Clubs. Wer also vor einer Tür abgewiesen wird, sollte gar nicht lange fackeln und die Polizei rufen, damit diese als Zeugen vor Ort zumindest feststellen können, dass der eigene Geistes- und Wesenszustand gut genug ist, um ein Eintritt bekommen zu können, so dass die Türsteher keine Falschaussagen machen können. Man sollte mit den Polizisten auch noch einmal zu den Türstehern gehen und sie nochmal auffordern, kundzutun, weswegen man nicht reingelassen wird und sie mit vielleicht vorher anders getätigten Aussagen konfrontieren. Dann sollte man definitiv einen Anwalt aufsuchen und direkt über den Anwalt ein Verfahren in die Wege leiten, wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und einer entsprechenden Zahlung. Je mehr Menschen das machen, mit Bezug auf das oben verlinkte Urteil, umso öfter kann gegen die Clubbesitzer entschieden werden.

  7. Esma sagt:

    @ Jerome

    Genau das ist doch das Problem an diesem hier geschilderten Fall. Die Polizei kam und unternahm nichts – und das sei wohl gesetzlich auch noch in Ordnung. Daher hier die Aufforderung an den Gesetzgeber, tätig zu werden.

  8. Mika sagt:

    Wieso wird sich hier gewundert? Wenn man schon die NSU unterstützt und gedeckt hat, wieso sollte man Jugendlichen, die „ausländisch“ aussehen, beistehen? Das System in sich ist doch schon krank und die Medien erledigen den Rest!

  9. Marc sagt:

    Sch… was die leuten passiert ist, aber was will man auch in solche schuppen gehen, wo sowas passieren kann!

  10. Nichtdenker sagt:

    Die Polizei geht bekanntlich äußerst brutal und unhöflich mit unschuldigen Bürgern um. Die wirklich Gefährlichen lassen sie aber gerne in Ruhe.