BGH im Fall Jalloh

Polizist kommt mit Geldstrafe davon – Mordvorwurf vom Tisch

Der Bundesgerichtshof hat den Schuldspruch eines Dessauer Polizisten wegen fahrlässiger Tötung im Fall des Afrikaners Oury Jalloh endgültig bestätigt. Die juristische Aufarbeitung des Falles ist aber von Widersprüchen und Protesten jener geprägt, die Mord vermuten.

Freitag, 05.09.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.09.2014, 17:59 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Der Prozess um den Feuertod des 22-jährigen Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle wird nicht neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte am Donnerstag die Verurteilung eines ehemaligen Dienstgruppenleiters der Polizei Dessau wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro.

Der Polizist habe seine Sorgfaltspflicht verletzt: „Durch die unzureichende Überwachung des Oury Jalloh wurde dessen Tod mitverursacht“, urteilte der BGH. (AZ: 4 StR 473/13) Damit ist der Vorwurf, Jalloh sei in Polizeigewahrsam ermordet worden, vom Tisch, obwohl die genauen Umstände des tragischen Todes von Jalloh bislang nicht vollends aufgeklärt wurden.

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Der 22-jährige Flüchtling war im Januar 2005 von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, weil sich Frauen von ihm belästigt fühlten. Bei seiner Festnahme hatte er eine Alkoholkonzentration von fast drei Promille im Blut. Weil er versucht hatte, sich selbst zu verletzen, riet ein Arzt, den Asylbewerber in der Polizeizelle auf dem Bett an Händen und Füßen zu fesseln.

Als der Dienstgruppenleiter Andreas S. später einen Feueralarm hörte, drückte er diesen zweimal weg, offenbar im Glauben, es sei ein Fehlalarm. Tatsächlich hatte die Matratze in Jallohs Zelle aber Feuer gefangen. Jalloh soll infolge des Brandes an einem tödlichen Inhalationshitzeschock gestorben sein. Der Polizei zufolge muss er in gefesseltem Zustand die Matratze angezündet haben. Das Feuerzeug sei entweder bei der Durchsuchung übersehen worden oder ein Beamter habe es in der Zelle verloren.

Dieser Darstellung steht unter anderem ein Brand-Gutachten der Gedenk-Initiative gegenüber. Danach ist die völlige Zerstörung der feuerfesten Matratze und Intensität der Verkohlung des Körpers ohne Zutun von etwa fünf Liter Brandbeschleuniger nicht möglich. Ungeklärt bleibt auch, wie das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte. Kurios ist: Bei der ersten Spurensicherung am Tag des Geschehens wurde kein Feuerzeug gesichert; die verschmorten Feuerzeugreste tauchten erst drei Tage später auf. Zudem wurden am Feuerzeug weder DNA-Spuren des Verbrannten noch Faserspuren seiner Kleidung oder der Matratze festgestellt. Außerdem wurden in Jallohs Leiche keine Spuren des bei Brandopfern üblichen Stresshormons Noradrenalin festgestellt. War er bewusstlos, als das Feuer entzündet wurde? Laut Obduktionsbericht hatte Jalloh unter anderem ein gebrochenes Nasenbein.

Trotz der langen Liste an offenen Fragen, hatte das Landgericht Magdeburg den Polizisten Andreas S. zunächst vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen. Erst nachdem der BGH diese Entscheidung kippte, wurde der Polizist wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt.

Dieses Urteil sei nicht zu beanstanden, entschied nun der BGH. Zu Recht habe das Landgericht Andreas S. aber nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen. „Der tragische Tod bewegt die Öffentlichkeit ganz zu Recht und hinterlässt Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit“, sagte die Richterin vor Verkündung des Urteils. Dies dürfe aber kein „Maßstab für die Entscheidungsfindung eines Gerichts sein“.

Die Chronologie des Falles Jalloh Leitartikel Recht

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  1. serap-62 sagt:

    Kann man jetzt nicht weitergehen und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg klagen? Finanziell würde ich gerne unterstützen und bin mir sicher, dass auch andere Menschen ihre Unterstützung leisten würden. Gibt es einen Fond, in den man einzahlen kann?

  2. Claus Melter sagt:

    Mord oder mutwillig unterlassene Hilfeleistung
    Dem Fachgutachten zu den Todesumständen zufolge – im Artikel wird das Gutachten vom November 2013 ja erwähnt – müssten mehrere Liter Brandbeschleuniger in der Zelle gewesen sein, damit die These bestehen bleiben kann, dass Oury Jalloh die Matratze selber entzündet hätte. Diese Vorstellung, dass sich in einer Arrestzelle der Polizei ein Kanister mit Brandbeschleuniger befindet, ist jedoch absurd.
    Und es ist nicht nachvollziehbar, wieso das Gutachten nicht zu einer Neuaufnahme des Verfahrens geführt hat.
    Also ist anhand der bisherigen Indizien der Mordvorwurf insofern nicht vom Tisch, als er nicht widerlegt wurde, sondern mehrere Indizien massiv dafür sprechen.
    Zum anderen wurde zweimal der Brandalarm-Knopf ausgeschaltet und nicht nach der Zelle geguckt, wo Oury Jalloh starb – und dies wurde meines Kenntnisstandes nach auch noch in diskrimineirender bis rassistischer Weise von den Polizisten kommentiert (was nach meinem Kenntnisstand Tonbänder belegen).
    Also handelt es sich nach meinem Rechtsverständnis um mutwillig unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge oder – falls wer anders die Matratze angezündet hat (wofür einiges spricht – siehe Gutachten) – um Mord.
    Juristisch wurde dies vom Tisch gefegt, moralisch und politisch sind die Vorwürfe jedoch mitten auf dem Tisch – insofern sich rassismuskritische Stimmen nicht von dem BGH-Urteil zum Schweigen lassen bringen.

  3. Destructor sagt:

    RIP Oury Jalloh

    wer denkt schon an das schicksal eines schwarzen asylanten der alleine in ketten verbrennt .

    was kümmert es einen hernn kommisar oder staatsanwalt oder einen richter .

    wenn ein hund lebendig verbrannt wäre , was jurisitsch eine sache ist , aber tierqäulerei eine straftat würde der polizist härter bestraft .

    ich denk an dich Oury Jalloh.

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