BGH im Fall Jalloh

Polizist kommt mit Geldstrafe davon – Mordvorwurf vom Tisch

Der Bundesgerichtshof hat den Schuldspruch eines Dessauer Polizisten wegen fahrlässiger Tötung im Fall des Afrikaners Oury Jalloh endgültig bestätigt. Die juristische Aufarbeitung des Falles ist aber von Widersprüchen und Protesten jener geprägt, die Mord vermuten.

Der Prozess um den Feuertod des 22-jährigen Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle wird nicht neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe bestätigte am Donnerstag die Verurteilung eines ehemaligen Dienstgruppenleiters der Polizei Dessau wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro.

Der Polizist habe seine Sorgfaltspflicht verletzt: „Durch die unzureichende Überwachung des Oury Jalloh wurde dessen Tod mitverursacht“, urteilte der BGH. (AZ: 4 StR 473/13) Damit ist der Vorwurf, Jalloh sei in Polizeigewahrsam ermordet worden, vom Tisch, obwohl die genauen Umstände des tragischen Todes von Jalloh bislang nicht vollends aufgeklärt wurden.

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Der 22-jährige Flüchtling war im Januar 2005 von der Polizei in Gewahrsam genommen worden, weil sich Frauen von ihm belästigt fühlten. Bei seiner Festnahme hatte er eine Alkoholkonzentration von fast drei Promille im Blut. Weil er versucht hatte, sich selbst zu verletzen, riet ein Arzt, den Asylbewerber in der Polizeizelle auf dem Bett an Händen und Füßen zu fesseln.

Als der Dienstgruppenleiter Andreas S. später einen Feueralarm hörte, drückte er diesen zweimal weg, offenbar im Glauben, es sei ein Fehlalarm. Tatsächlich hatte die Matratze in Jallohs Zelle aber Feuer gefangen. Jalloh soll infolge des Brandes an einem tödlichen Inhalationshitzeschock gestorben sein. Der Polizei zufolge muss er in gefesseltem Zustand die Matratze angezündet haben. Das Feuerzeug sei entweder bei der Durchsuchung übersehen worden oder ein Beamter habe es in der Zelle verloren.

Dieser Darstellung steht unter anderem ein Brand-Gutachten der Gedenk-Initiative gegenüber. Danach ist die völlige Zerstörung der feuerfesten Matratze und Intensität der Verkohlung des Körpers ohne Zutun von etwa fünf Liter Brandbeschleuniger nicht möglich. Ungeklärt bleibt auch, wie das Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte. Kurios ist: Bei der ersten Spurensicherung am Tag des Geschehens wurde kein Feuerzeug gesichert; die verschmorten Feuerzeugreste tauchten erst drei Tage später auf. Zudem wurden am Feuerzeug weder DNA-Spuren des Verbrannten noch Faserspuren seiner Kleidung oder der Matratze festgestellt. Außerdem wurden in Jallohs Leiche keine Spuren des bei Brandopfern üblichen Stresshormons Noradrenalin festgestellt. War er bewusstlos, als das Feuer entzündet wurde? Laut Obduktionsbericht hatte Jalloh unter anderem ein gebrochenes Nasenbein.

Trotz der langen Liste an offenen Fragen, hatte das Landgericht Magdeburg den Polizisten Andreas S. zunächst vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen. Erst nachdem der BGH diese Entscheidung kippte, wurde der Polizist wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt.

Dieses Urteil sei nicht zu beanstanden, entschied nun der BGH. Zu Recht habe das Landgericht Andreas S. aber nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen. „Der tragische Tod bewegt die Öffentlichkeit ganz zu Recht und hinterlässt Fassungslosigkeit und Ratlosigkeit“, sagte die Richterin vor Verkündung des Urteils. Dies dürfe aber kein „Maßstab für die Entscheidungsfindung eines Gerichts sein“.

Die Chronologie des Falles Jalloh

7. Januar 2005: Jalloh wird am Morgen von der Polizei festgenommen, weil sich zwei Frauen auf der Straße von ihm belästigt fühlen und er sich gegen herbeigerufene Beamte wehrt. Mittags kommt er an einer Liege gefesselt bei einem Brand in seiner Gewahrsamszelle ums Leben. Polizisten hätten zu löschen versucht, sie seien aber wegen der starken Rauchentwicklung nicht mehr in die Zellen gelangt, teilt die Polizei am Nachmittag mit. Für den Asylbewerber sei jede Hilfe zu spät gekommen. Im Fokus der Ermittlungen stehen drei Polizisten.

April 2005: Eine zweite Obduktion des Leichnams findet in Frankfurt am Main statt. Sie wurde organisiert und finanziert von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Festgestellt wird unter anderem ein gebrochenes Nasenbein. Aussagen darüber, ob Jalloh die Verletzungen noch zu Lebzeiten erlitten hat oder sie erst nach seinem Tod eintraten, sind nicht möglich.

Mai 2005: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den seinerzeit zuständigen Dienstgruppenleiter des Reviers, Andreas S., wegen Körperverletzung mit Todesfolge, und gegen seinen Kollegen Hans-Ulrich M. wegen fahrlässiger Tötung. M. soll bei der Untersuchung Jallohs ein Feuerzeug übersehen haben. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft wäre eine Rettung möglich gewesen, wenn die Beamten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. So soll S. etwa den Brandmelder-Alarm ignoriert haben. Die Ermittler schließen eine Einflussnahme Dritter aus. Jalloh soll das Feuer selbst ausgelöst haben, um auf sich aufmerksam zu machen.

Oktober 2005: Das Landgericht Dessau-Roßlau lehnt die Zulassung der Anklage ab und fordert Nachermittlungen und Gutachten. Erst im Januar 2007 wird die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren gegen Andreas S. eröffnet. Nach Beschwerde der Staatanwaltschaft lässt das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalts auch die Anklage gegen den zweiten Polizisten zu.

Januar 2006: Die ARD sendet eine dem Fall gewidmete Fernsehdokumentation mit dem Titel „Der Tod in der Zelle“. Darin sagt ein Freund, Jalloh sei dreimal gestorben: Im Bürgerkrieg in Sierra Leone starb seine Vergangenheit, als Asylbewerber in Deutschland starb seine Zukunft, und in einer Zelle in Dessau kam er ums Leben.

27. März 2007: Vor dem Landgericht beginnt unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Prozess. Zwei Rechtsanwälte vertreten Verwandte Jallohs als Nebenkläger. Im Verlauf des Prozesses kommen Brandgutachter, Rechtsmediziner und Zeugen zu Wort. Zudem wird der Brand mehrmals nachgestellt. Als Todesursache wird ein Inhalationshitzeschock für wahrscheinlich erachtet.

April 2008: Wegen einer schweren Erkrankung von S. und eines Schöffen steht der Prozess auf der Kippe. Die Verhandlung kann nach Genesung der beiden erst nach mehreren Wochen fortgesetzt werden.

8. Dezember 2008: Das Landgericht spricht beide Polizisten aus Mangel an Beweisen frei. Im Gerichtssaal kommt es zu Tumulten von zumeist afrikanischen Zuhörern.

Dezember 2008: Nur wenige Tage nach dem Richterspruch legt die Nebenklage beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gegen das vollständige Urteil Revision ein, die Staatsanwaltschaft beantragt ebenfalls Revision, jedoch nur in Bezug auf den Freispruch für S.

Januar 2010: Der BGH hebt das Dessauer Urteil auf und leitet das Verfahren an das Landgericht Magdeburg zur Neuverhandlung. Unter anderem sehen die Bundesrichter die näheren Umstände von Jallohs Tod als nicht eindeutig geklärt sowie die Würdigung von Beweisen im erstinstanzlichen Urteil als lückenhaft an. Der Freispruch für Hans-Ulrich M. wird rechtskräftig.

12. Januar 2011: In Magdeburg beginnt die Neuauflage des Prozesses gegen Andreas S.

7. Januar 2012: Bei einer Kundgebung am siebten Todestag kommt es in Dessau-Roßlau zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten mit Verletzten auf beiden Seiten. Anlass ist die Beschlagnahme eines Transparentes „Oury Jalloh – das war Mord!“.

Januar 2012: Die Nebenklagevertreter stellen neue Beweisanträge. Unter anderem lehnt das Gericht ab, ein weiteres Brandgutachten einzuholen. Stattdessen nimmt ein Sachverständiger aus Baden-Württemberg im Auftrag des Gerichts Versuche, technische Berechnungen und Simulationen vor und wird dazu befragt. Das bringt kaum neue Erkenntnisse.

März 2012: Das Gericht regt eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage und ohne Urteil an. Der Vorschlag stößt bei der Nebenklage auf Empörung und wird nicht weiter verfolgt.

November 2012: Unabhängig vom Prozess gibt die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ein weiteres Brandgutachten in Auftrag. Mit der Untersuchung will die Gruppe ihre Mord-Hypothese bestätigen lassen.

Dezember 2012: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer eine Verurteilung des angeklagten Polizisten, sie weicht aber vom ursprünglichen Tatvorwurf ab. Gegen S. soll wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen eine Geldstrafe von 6.300 Euro verhängt werden. Die Nebenklage verlangt einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge, die Verteidigung plädiert für einen Freispruch.

13. Dezember 2012: Der Polizist wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro verurteilt.

Dezember 2012: Die Staatsanwaltschaft legt Revision gegen das Urteil das Landgerichts Magdeburg ein. Wenige Tage später legen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklagevertretung Revision ein. Zuständig dafür ist wieder der BGH.

Ende 2013: die Gedenk-Initiative kündigt eine neue Strafanzeige wegen Mordes oder Totschlags an, Grundlage sollen die Ergebnisse des von ihr Ende 2012 angestoßenen Brandgutachtens sein. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Jalloh die feuerfeste Matratze nur mit Brandbeschleunigern in Brand gesetzt werden kann.

Februar 2014: Die Strafanzeige ist von der Bundesjustiz an die Staatsanwaltschaft in Dessau-Roßlau verwiesen. Die Ermittlungen laufen noch immer.

4. September 2014: Rund 20 Monate nach der Verurteilung des Dessauer Polizisten wegen fahrlässiger Tötung verwirft der Bundesgerichtshof (BGH) die Revision. Das Magdeburger Urteil ist damit rechtskräftig.