Interview mit Angela Kühner
Der Holocaust im interkulturellen Klassenzimmer
Die aktuelle Migrationsdebatte in den Massenmedien beinhaltet eine Gefahr für den Geschichtsunterricht: Lehrer schauen gar nicht mehr hin oder hören nicht zu. Sie lassen sich verleiten von den negativen Klischees in den Massenmedien. Warum Pädagogen Hilfe brauchen.
Von Arnd Zickgraf Mittwoch, 30.07.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.08.2014, 17:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Dr. Angela Kühner arbeitet als Sozialpsychologin beim Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Mit Kollegen hat sie eine Studie durchgeführt. Dabei wurden Lehrer an städtischen und ländlichen Regionen befragt, wie sie den Unterricht zum Nationalsozialismus und Holocaust erleben.
Allmählich werden die Zeitzeugen der nationalsozialistischen Verbrechen weniger. Rechnen Sie damit, dass die Erinnerung an den Holocaust bei Jugendlichen verblasst?
Angela Kühner: Man muss sich klar machen, dass sich die Auseinandersetzung mit dem Holocaust immer verändert hat und weiter verändern wird. Vielleicht wird dabei manches sogar differenzierter statt einfach nur blasser. Uns hat jedenfalls überrascht, dass von dem vielfach in den Medien unterstellten Desinteresse bei den von uns befragten Schülern wenig zu spüren war. Wir waren etwa fasziniert zu sehen, wie die Schüler über ihre Geschichtslehrer nachdachten. Ihnen fiel auf, wie wichtig der Holocaust den Lehrern ist. Man sollte Aussagen von Jugendlichen wie „Nicht schon wieder!“ nicht als Ausdruck einer verfestigten Abwehr verstehen. Sie sind viel mehr aus der jeweiligen Unterrichtssituation heraus zu verstehen. Tendenziell wird die Bereitschaft von Jugendlichen unterschätzt, sich auf die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen einzulassen.
In vielen Schulklassen sitzen heute junge Migranten mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Nun war es in Ihrer Studie gar nicht leicht, Schüler muslimischen Glaubens für Interviews zu gewinnen. Sind zugewanderte Jugendliche, deren Eltern nicht an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt waren, gleichgültiger den nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber?
Angehörige von Gruppen, die starken stigmatisierenden Zuschreibungen ausgesetzt sind, sind womöglich besonders skeptisch, wenn sie beforscht werden sollen. Das zeigen beispielsweise auch Studien zum Risikoverhalten von HIV-Infizierten. Schüler mit familiärer Migrationserfahrung, und insbesondere Schüler mit türkischen Wurzeln, wollten vermutlich aus guten Gründen nicht mit uns sprechen.
Die Schüler mit Migrationshintergrund, die wir befragten, zeigten nicht pauschal weniger Interesse an dieser Epoche der deutschen Geschichte. Sie bringen andere Perspektiven in das Klassenzimmer mit, die Anknüpfungspunkte an die Zeit des Nationalsozialismus bieten.
Und wie erleben Geschichtslehrer die Schüler türkischer Herkunft in ihrem Unterricht?
Typische Aussagen von Lehrern gingen dahin, dass, „die Türken“ sich nicht für den Holocaust interessierten. Und wenn doch, dann mit dem Unterton, dass sie, „die Türken“, daran nicht schuld seien. Bemerkenswert ist, dass Schülern mit türkischen Wurzeln dabei ein Gefühl der Überlegenheit unterstellt wurde. Manche Lehrer erweckten den Eindruck, dass sie als bemühte Deutsche, die der Mehrheitsgesellschaft angehören, darüber nachdachten, wie sie den „Anderen“ den Holocaust als „unsere“ Geschichte vermitteln können. Doch als eigenständige Akteure tauchten diese „Anderen“, nämlich die Jugendlichen mit Migrationserfahrung, im Erinnerungsdiskurs kaum auf.
Welche ist die größte Herausforderung der Holocaust-Erziehung?
Die zentrale Herausforderung sind die unvermeidlich schwierigen Gefühle, die das Thema Holocaust weckt, nicht nur, aber ganz besonders in der deutschen Tätergesellschaft. Diese können leicht zu „projektivem Othering“ führen.
Können Sie das genauer erklären?
Von „projektivem Othering“ sprechen wir immer dann, wenn wir vermuten, dass der Migrations-Andere in der Fantasie besonders stark zum Anderen gemacht wird – wenn also der Unterschied zur eigenen Kultur überschätzt wird. Projektive psychologische Mechanismen sind mir in mehreren Interviews mit Lehrern aufgefallen, etwa wenn man im Gesamtkontext der sehr ausführlichen Interviews sehen kann, wie sehr „den Gastarbeiterkindern“ oder „den Türken“ Fragen, Gefühle oder Themen unterstellt werden, die die Lehrer selbst beschäftigen. Eine Erkenntnis der interkulturellen Psychologie besagt: Wer sein Gegenüber als besonders fremd wahrnimmt, der ist mit eigenen psychischen Anteilen konfrontiert.
Nicht die Schüler wirken hier überfordert, sondern die Lehrer …
Aus psychologischer Sicht ist es völlig normal, dass Menschen mit schwierigen Themen ringen. Für Lehrer ist sowohl ein richtiger Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust eine besondere Herausforderung als auch ein sensibler Umgang mit Migration. Die aktuelle Migrationsdebatte beinhaltet allerdings die Gefahr, sich von den Beiträgen in den Massenmedien, die nicht selten negative Klischees über Migranten transportieren, zu Dramatisierungen verleiten zu lassen und gar nicht mehr genauer hinschauen oder hinhören zu können.
Pädagogen neigen in der Holocaust-Erziehung also dazu, eigene negative Gefühle auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu übertragen und sie vom Prozess des gemeinsamen Erinnerns auszuschließen. Welche Unterstützung brauchen sie?
Sie müssten lernen, die komplizierten Gefühle, die mit der Behandlung des Holocausts im Unterricht verbunden sind, wahrzunehmen. So lange sie die sehr schwierigen Gefühle nicht wahrnehmen und artikulieren können, werden sie andere Perspektiven im Erinnerungsdiskurs als bedrohlich empfinden. Dabei könnten die eingewanderten Perspektiven eine Chance sein, über die verschiedenen Formen von Verunsicherung hinsichtlich der Geschichte dieses Landes ins Gespräch zu kommen. Gesellschaft Leitartikel
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Sorry, da ist mir jetzt tatsächlich ein Lapsus unterlaufen, statt Nationalsozialismus hätte es natürlich an sämtlichen Stellen heißen müssen Nationalismus.
„Diese Behauptung, die den Nationalismus (von Ihnen korrigiert) demokratiefördernd und demokratieermöglichend preist, halte ich für rechtsextrem.“ Was ist denn daran bitte „rechtsextrem“, Marianne? Ohne Nationalismus gäbe es kein Wahlrecht, keine bürgerliche Gleichheit, keine Revolution von 1789, kein 1848. Eine solche Unterstellung ist grenzwertig und nicht sehr fair.
Nun gut, Herr Rheinländer, diese eine Aussage nehme ich zurück, aber nur diese. Dass es ohne Nationalismus keine Wahlrecht und so weiter gaebe, ist reine Spekulation. Dass der Nationalismus und das völkische Denken DER Wegbereiter für den Nationalsozialismus war, im Hinblick auf die Inhalte dieses Gedankengutes, ist dagegen Fakt.
@Konservative Gegenstimme,
Ich bleibe bei meiner Darstellung, ich verwechsele auch nicht den Nationalsozialismus mit Nationalismus, sondern hatte mich verlesen, dafuer entschuldige ich mich, und meinen Beitrag inzwischen deshalb korrigiert. Ich kann leider nicht erkennen, dass Ihre Replik eine Antwort auf meine Ausführungen ist bzw. sein soll und von Götz Aly halte ich eh rein gar nichts. Eine Diskussion, in der ständig neue Behauptungen aufgestellt und neue Nebelkerzen gestreut werden, anstatt auf die Argumentation des Gegenüber einzugehen, erscheint mir nicht sinnvoll.
Nur soviel:
Ich pflege nicht, die Werke von Philosophen und Historikern einer bestimmten Richtung kritiklos zu übernehmen, hinsichtlich ihres Inhaltes, sondern denke auch selbst und entscheide selbst, inwieweit ich den Aussagen folge oder auch nicht. Was dieser oder jener geschrieben oder behauptet haben, ist kein Beleg fuer die Richtigkeit und andere Philosophen und Historiker haben anderes geschrieben und behauptet. Dass der Nationalsozialismus in der Tradition der Aufklärung stand, ist m. E. nun wirklich der Witz des Tages.
1. Marianne, mal ganz simpel: Nationalismus ist im 19. Jahrhundert anfänglich nur eine Idee. Weil man ein Gebiet mit 300 Staaten und 2000 Zollgrenzen einen wollte, aber keine wirklich deutsche Identität hatte, wollte man halt eine schaffen. Daran war nichts Verbrecherisches, denn „Deutschland“ war damals Opfer und nicht Täter. Um die nationale Einheit zu erreichen, griff man auf einen Herrn namens Tacitus zurück, sein Werk hieß „Germania“. Dort steht drin, dass die Germanen zäh und hart sind, blond und blauäugig (vereinfacht ausgedrückt). Das ist alles keine Erfindung irgendwelcher Rechter, sondern ein Topos der sehr alt ist.
2. Da die „Deutschen“ alles andere als ein homogenes „Volk“ waren, blieb gar nichts anderes übrig, als immer wieder den Mythos zu beschwören. Das änderte nichts daran, dass der Nationalismus eine liberale Idee war, die nicht vom gemeinen Volk, das von „Deutschland“ zunächst nicht viel wissen wollte, sondern von Politikern, Theologen, Volkswirten und Historikern und – nicht zu vergessen- von einer nicht unbeträchtlichen Zahl von konvertierten Juden (Heinrich Heine u.a.) getragen wurde.
3. Der Nationalmythos existiert in anderer Form auch bei den Franzosen und den Amerikanern, dort bemüht man die Antike im 18. und 19. Jahrhundert. Lächerlich sind diese Mythen allemal, aber das ist nun mal so, wenn man künstliche Identitäten schafft. Nationalismus dient im 19. Jahrhundert als Feigenblatt um zerrüttete gesellschaftliche Verhältnisse zu kaschieren, andererseits aber auch als Modernisierungsideologie, die den Menschen Egalität und Freiheit verschaffen soll. Das Motto lautete: Weg von der verhassten bunten Pluralität hin zur Einheit aller, möglichst unter einer starken Führung. Genau das macht den Nationalismus damals ja so attraktiv!
4. Nun zum Wahlrecht: Ein Wahlrecht ohne Nationalismus kann es nicht geben, weil ein Wahlrecht die Existenz eines Staatsvolks (=Nation) voraussetzt. Ohne Staatsvolk keine Nation, ohne Nation kein Staatsvolk. Demokratie kann es folglich gedanklich ohne Nationalismus nicht geben.
5. Das allgemeine, freie, gleiche Wahlrecht wurde zuerst im Kaiserreich eingeführt, nicht in einer der Republiken. „Zum Wohle des deutschen Volkes“ Demokratur, äh, „Revolution von oben“ halt.
6. „Volk“ ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr als ein Ausdruck für irgendeine anonyme „Masse“. Später wird „Volk“ zu einer fester umrissenen Größe, erst recht spät formiert sich ein wirklich „deutsches“ Bewusstsein, etwa in der Form der „Volksgemeinschaft“ während des 1. Weltkriegs, die als Kitt für die Klassengegensätze herhalten soll.
7. Die 1930er Jahre kann man ohne das 19. Jahrhundert überhaupt nicht verstehen. Darum ist es ja unsinnig, Geschichte auf einen sehr engen Zeitraum zu konzentrieren. Hier gilt es noch viel nachzuholen.
„1. Marianne, noch ein Nachtrag: Sie haben wahrscheinlich nicht verstanden, dass Aufklärung (Enlightenment”) nichts anderes ist als ein Kult um die menschliche Vernunft. Aufklärung bedeutet Bruch mit der Tradition, um Neues zu etablieren. Sie ist die Ersatzreligion der Moderne. Sie beansprucht für sich – ins Symbolische übertragen – die Finsternis zu verdrängen, die mit dem “Alten” identisch erscheint, ein “radikaler” und darum problematischer Ansatz.“
Erstaunlich, woher Sie wissen, was ich angeblich nicht „verstanden habe“ „Radikale Ansätze“ sind nur für diejenigen „problematisch“, die ihre auf Tradition beruhenden ungerechtfertigten Privilegien mit allerlei pseudowissenschaftlichen „Begründungen“ auf Teufel komm raus verteidigen und die deshalb auf Kriegsfuss mit der menschlichen Vernunft und Moral leben. Leider hat die menschliche Vernunft bisher nicht verhindern können, dass unselige Traditionen zur Sicherung der ungerechtfertigten Privilegien einer Gesellschaftsschicht, die in dem elitären Größenwahn lebt, aufgrund ihrer traditionellen und völlig ungerechtfertigten Privilegien dem Rest der Menschheit geistig überlegen zu sein, immer noch nicht umfassend abgeschafft wurden, In anderen Staaten ist man da schon weiter. Aber auf Dauer, da können Sie sicher sein, wird es der selbsternannten Elite in Deutschland nicht gelingen. dem Rest des Volkes die gleichberechtigte Bildung vorzuenthalten. Intellektuelle Potenz hat nämlich mit Traditionen und Privilegien, die auf Traditionen beruhen, nicht das Mindeste zu tun.
„2. Die Nationalsozialisten standen selbstverständlich auch in der Tradition der Aufklärung, nur machten sie aus dem Licht der Vernunft das Feuer ihrer “Vernunft” (man beachte die Symbolik). Die Einsicht, dass die Nazis nicht von einem anderen Stern kamen, sondern aus der Mitte der Gesellschaft, ist mitnichten rechtsextrem, genauso wenig wie die Erkenntnis, dass Darwinismus, Teutonenrummel, Germanenverehrung usw. ursprünglich hauptsächlich im liberalen Lager beheimatet waren. Wer sich jemals mit den Ursprüngen des NS-Vokabulars beschäftigt hat, kann gar nicht umhin zuzugeben, dass es weit ins 18. und 19. Jahrhundert zurückweist. In der liberalen Literatur wimmelt es geradezu von Volksgenossen, Großdeutschland, Volksgemeinschaft usw. Dass diese Begriffe ursprünglich einen etwas anderen Sinngehalt hatten, sei gar nicht geleugnet. Man spricht ja auch heute noch von Volksschulen, Volksabstimmungen, Volkswirten, Volkswirtschaften, Volkswagen, Volksherrschaft usw., ohne dass sich jemand dabei etwas denkt. Im Übrigen: Fahren Sie einen VW?“
Ihre Geschichtsinterpertation ist mehr als abenteuerlich, die Nazis in der Tradition der Aufklärung, sehr geistreich. Ich habe übrigens nie behauptet, dass die Nazis nicht aus der Mitte der Gesellschaft kamen, die Mitte der Gesellschaft stand allerdings seinerzeit nicht in der Denkrichtung der Aufklärung, sondern in der Denkrichtung des völkischen Rasse- und Größenwahns, der sich dem Rest der Welt irrtümlich überlegen fühlte. Ich sehe da durchaus deutliche Parallelen zum o.b. elitären Größenwahn bestimmter Kreise, die sich „traditionell“ dem Rest der Welt irrtümlich geistig überlegen fühlen.
„3. Ohne das “Volk” oder die “Nation” als geistig-philosopische Kategorien hätte es den Nationalsozialismus nicht geben können, genauso wenig wie die heutige Demokratie. Dem wird jeder zustimmen müssen. Am Anfang war Rousseau. Ohne ein Ei gibt es keine Henne.“
Ohne den nationalistisch-völkischen Größen- und Rassewahn hätte es den Nationalsozialismus nicht geben können und selbstverständlich kann Demokratie/kann ein Volk auch ohne nationalistisch-völkischen Größen- und Rassewahn existieren. Eine Nation oder ein Volk ist nicht zwingend mit nationalistisch-völkischem Größen- und Rassewahn identisch.
„4. Darum mein Fazit: “Vernunft” ist per se weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes, es kommt halt darauf an, was man daraus macht. Der Bau eines Atomkraftwerks kann “vernünftig” erscheinen, das Abholzen eines Regenwalds, die Erschaffung einer Demokratie, die Herstellung egalitärer Gesellschaftsverhältnisse, der Bau einer Autobahn, der Abriss historischer Gebäude, die Entlassung von Angestellten usw. “Frankenstein” ist auch ein Produkt aufgeklärten Denkens. Wieso soll man keinen künstlichen Menschen erschaffen, wenn es “vernünftig” erscheint?“
Der Bau eines Atomkraftwerks kann Menschen, die sich ihres Verstandes bedienen und nach ethischen Prinzipien sich ausrichten,, auf gar keinen Fall vernünftig erscheinen. Vernunft, gepaart mit Ethik und Moral, ist selbstverständlich etwas Gutes. Menschen mit Ethik und Moral, die sich ihres Verstandes bedienen, erschaffen auch keinen „Frankenstein“. und holzen keine Regenwälder ab. Das tun nur Menschen, die sich im Größen- und Überlegenheitswahn über sämtliche Regeln der Ethik, der Moral und der menschlichen Vernunft hinwegsetzen.
„5. Die Perfektionisten aufgeklärten Denkens sind nun mal die Kommunisten. So empfand es Mao Tse Tung als “vernünftig”, sämtliche Spatzen töten zu lassen, um den Ernteertrag zu steigern. Was war die Folge: Die Ernte viel aus, weil sich das Ungeziefer unkontrolliert vermehrte. Es lebe die aufgeklärte sozialistische Vernunft!“
Ihre Plattitüden werden immer doller. Mao Tse Tung ein Vertreter „aufgeklärter sozialistischer Vernunft“. Ich lach mich schlapp.
„6. Die Aufklärung hat halt auch eine dunkle Seite. Wir stehen definitiv in ihrer Tradition. Es ist beileibe kein Verbrechen, wenn man modernen Gesellschaften – bei allen zu betonenden Vorzügen – auch destruktive Grundzüge attestiert, die es einzudämmen gilt. Dazu gehört es, die allzu “Vernünftigen” in die Schranken zu weisen. Dazu gehört auch die “Bildung”, die nichts anderes ist als ein durch lange Tradition vermitteltes Wissen um grundlegende Sachverhalte, das manche liebend gerne abschaffen möchten. Dazu gehört auch das Wissen, woher man kommt. Dazu gehört auch Kritik, nicht an anderen, sondern an sich selbst.“
Die Grundideen der Aufklärung haben keineswegs eine dunkle Seite und Ihre persönlichen dunklen Seiten stehen auch nicht in der Tradition der Aufklärung, sondern in der Tradition elitärer Großmannsucht eines elitären „Bildungsbürgertums.“. Mit der Aufklärung hat diese Denkrichtung nichts zu tun. Woher ich komme, ist mir bestens bekannt, aber auch wenn es Sie noch so empört, ich gehe dahin, wo ich will. Mein Respekt vor der traditionellen Bildungselite hält sich in engen und sehr bescheidenen Grenzen, denn Bildung ist keine Frage der Tradition, sondern eine Frage des Intellekts und der finanziellen Möglichkeiten. Und wenn der Papa die richtigen „Beziehungen“ und den vollen Geldbeutel hat, promovieren auch die größten Deppen, mit Verlaub. „Traditionelle“ Doktoren, die nicht mal die Zitierregeln beherrschen und über keinerlei ausgeprägtes analytisches Denkvermögen verfügen, sind mir derart oft begegnet, dass ich über die elitäre Großmannsucht der „traditionellen“ Bildungselite nur noch lachen kann. Mit der „Kritik an sich selbst“ dürfen Sie gerne anfangen, nur zu, ich habe nichts dagegen.
@ Erna
Zu 1) Ein Gebiet kann sich auch einen, ohne völkischen Größen-, Rasse- und Opferwahn. Worauf „man“ zürückgreift, ist der eigenen völkischen Denkrichtung geschuldet und keineswegs gottgegeben. Rechte greifen auf „zäh, hart, blond, blauäugig“ zurück, Linke nicht.
Zu 2) Ja, und – auch heute hängen vorgeblich „Liberale“ rechter Denkrichtung an. Selbstverständlich bleibt sehr wohl auch „etwas anderes übrig“ – z.B. die Akzeptanz der Inhomogenität und der Vielfalt und das Beschwören von Mythen gehört ins Reich der Finsternis.
Zu 3) Völlig wurscht, wo der völkische Mythos überall existierte oder nicht existierte, Egalität und völkischer Rassewahn sind unvereinbar und wer es nötig hat, seine „künstliche“ Identität durch völkische Mythen zu schaffen, hat keine.
Zu 4) Ein Wahlrecht ohne völkischen Nationalismus und Rassewahn kann es problemlos geben, weil die Existenz einer Nation keinen Nationalismus voraussetzt und das Wahlrecht zudem nicht die Existenz einer Nation voraussetzt.
Zu 5) Ja, und – wollen Sie damit sagen, dass ohne Kaiserreich die Einführung eines Wahlrechts nicht möglich ist und wo ist der Zusammenhang mit dem Thema?
Zu 6) Es lebe die „anonyme Masse“, Gott bewahre uns vor dem „deutschen“ Bewusstesein, vor völkischem Nationalismus, Rassewahn und Opfermythos.
Zu 7) Meine Worte, ohne den völkischen Nationalismus, den völkischen Größenwahn, den deutschen Opfermythos und den Ersatz einer nicht vorhandenen individuellen Identität durch völkisches Gedons wäre die NS-Diktatur und die Ausrottung „unwerten“ Lebens nicht erfolgt. Geschuldet der Unfähigkeit, die selbst verschuldete Unmündigkeit zu beenden. Stattdessen hat sich der gemeine völkische Nationalist/Rassist/Mitläufer, unfähig, sich des eigenen Verstandes ohne Anleitung und „Führung“ zu bedienen, einer von völkisch-rassistischen Vordenkern kreierten völkischen „Identität“ bedient, die ohne den völkischen Überlegenheits- und Rassewahn in sich zusammenfällt, weil es eben nur eine künstlich aufgeblasene Scheinidentität ist. Sämtliche Kriegszüge und Massaker der Menschheit beruhen ausschließlich auf diesem rassischen, religiösen oder kulturellen Überlegenheitswahn.
Marianne, sehen Sie doch ein, dass der Nationalismus nicht nur sehr schlechte, sondern auch sehr positive Seiten hatte, solche von denen Sie heute noch profitieren. Wenn Sie ihn daher zu 100% ablehnen, verzichten Sie dann heute trotzdem auf seine Segnungen? Wohl kaum. Unkritische Rosinenpickereien sind aus meiner Sicht unzulässig.
Wer nicht historisch argumentiert, sondern von seiner eigenen heutigen Sichtweise, simplifiziert. Die Aufklärung hat ihre guten Seiten gehabt. Sicher. Sie bleibt aber deshalb ein Problem, weil sie die Fehlbarkeit des Menschen leugnet. Irren ist aber nun mal menschlich. Zweifeln Sie ernsthaft daran, dass Ihre persönliche politische Ideologie in der Geschichte nie Verirrungen gekannt hat? Glauben Sie wirklich, dass es gerade in Ländern wie in der UDSSR oder in China keinen fehlgeleiteten Fortschrittsglauben gab (bzw. gibt)?
„Ein Wahlrecht ohne völkischen Nationalismus und Rassewahn kann es problemlos geben, weil die Existenz einer Nation keinen Nationalismus voraussetzt und das Wahlrecht zudem nicht die Existenz einer Nation voraussetzt.“ Erstens sind Rassenwahn und Nationalismus nicht das gleiche. Zweitens hat der Nationalismus sehr unterschiedliche Schattierungen. „National“ ist im 19. Jahrhundert fast jeder vom Linksliberalen bis zum Rechten. Drittens kann man – wenigstens im 19. Jahrhundert – keine Nation ohne Nationalismus schaffen. Wie auch? Viertens übersehen Sie, dass der Nationalismus damals nicht von den Eliten erstrebt wurde, sondern vom Bürgertum und den unteren Schichten, die nach politischer Beteiligung gierten.
Fünftens: Mir ist keine „Nation“ bekannt, die sich nicht irgendwelcher Mythen bedient hätte, um zu innerer Einheit zu finden. Dort wo Staaten konstruiert wurden, in denen kein Identitätsbewusstsein geschaffen wurde, existieren noch heute z.T. große Probleme, gerade in einigen arabischen Staaten, die am Reißbrett entstanden sind (Syrien, Irak usw.). Ganz ohne Identität scheint es nirgendwo zu gehen.
Ich denke, dass es nicht so sehr darauf ankommt, welche Religion, Ideologie etc. man hat, sondern darauf, was man konkret daraus macht.
„Mein Respekt vor der traditionellen Bildungselite hält sich in engen und sehr bescheidenen Grenzen, denn Bildung ist keine Frage der Tradition, sondern eine Frage des Intellekts und der finanziellen Möglichkeiten.“
Ja Amen. Und wenn der Papa Metzger ist, studiert der Sohn garantiert Aramäisch, wenn Vater Griechischprofessor ist, versteht es die Tochter sicherlich perfekt die kaputte Dachrinne zu reparieren. Hat alles nichts mit „Tradition“, sondern nur mit „Intellekt“ und „Finanzen“ zu tun.
Ein „Intellekt“, sei es praktischer oder wissenschaftlicher Art bedarf eines Milieus, in dem er gedeihen kann. Es bedarf auch einiger Opferbereitschaft, um ein langes Studium auf sich zu nehmen. Das setzt Eltern voraus, die ein Verständnis dafür haben, dass jemand kein Geld verdient, sondern etwas für seine geistige Ausbildung tut.
Ja man kann natürlich alles dem Zeitgeist anpassen, Marianne, auch den Geschichtsunterricht. Wozu man den dann eigentlich braucht? Eine Fernsehsendung täte es ja auch. Und wozu sollte man Diskussionen führen, wenn es nur eine Meinung geben darf? Und wie bitte schön will man Orientalen oder Nichteuropäern beibringen, was „deutsche Geschichte“ ist, wenn man nicht komplexe Sachverhalte von verschiedenen Seiten beleuchtet? (Die Fritz Fischer-These ist ein typisches Beispiel für diese linke Geschichts-„Denke“. Sie ist erst neuerdings eindrucksvoll widerlegt worden, mit Quellen, nicht mit Wunschargumenten (Christopher Clark)).
Nationalismus ist ein vielschichtiges Phänomen, man kann in verurteilen, man kann ihm aber auch positive Seiten abgewinnen. Genau darum ist eine einseitige Schwarzweißmalerei nicht sinnvoll. Die Rechnung Nationalismus –> Nationalsozialismus ist mir zu simpel.