Die Freischwimmerin

Ihr habt euch anzupassen! Ihr habt mitzuschwimmen!

Ilayda ist eine tolle Schwimmerin. An ihrem Wiener Gymnasium will sie sich aber nicht im Badeanzug zeigen. Der Druck wächst, als ihr Team vor der Disqualifizierung steht. Ilayda gibt nach - für Nermin Ismail missachten öffentlich-rechtliche Sender mit dieser Botschaft ihren Bildungsauftrag.

Von Nermin Ismail Dienstag, 10.06.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 12.06.2014, 0:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Wenn du nicht kommst, haben alle umsonst trainiert“, sagt die junge Lehrerin ihrer Schülerin. Sie will sie ja nicht überreden, sondern ihr nur klarmachen: „Es ist doch ganz egal ob du in dem Ding oder im Badeanzug schwimmst.“ Das muss die Schülerin verstehen und sie soll sich gefälligst anpassen, nicht so stur sein. Ilayda Demirel will im Burkini (Gankörperbadeanzug) schwimmen. „Ich mache das nicht. Ich schwimme nicht im Badeanzug vor all den Leuten und all den Kameras“, sagt sie überzeugt.

Kurz vor dem Wettkampf erfährt sie, dass das ganze Team disqualifiziert wird, wenn sie nicht mitschwimmt. Ilayda scheint dennoch entschlossen zu sein, ihre Lehrerin gibt auf, überlässt ihr die Entscheidung und geht raus, um zu verkünden: Ilayda macht nicht mit. „Scheiße“, klagt ihr Team-Kollege erzürnt. Alle sind schwer enttäuscht. Plötzlich setzt fröhliche Musik ein, Ilayda erscheint unerwartet – im Badeanzug. Alle sind glücklich und zufrieden, nur sie scheint es nicht zu sein. Ilayda hat sich angepasst.

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Anpassen angesagt

Was ist nun die Aussage aus dieser zentralen Stelle im Film? Ilayda wollte sich dem Druck nicht beugen und ihren Werten treu bleiben, aber sie tat es doch. Die Lehrerin und der Direktor versuchten mit dem Zuständigen zu sprechen, der jedoch will keine Ausnahme machen: „Die Burschen schwimmen in Shorts, die Mädchen in Badeanzügen. Aus.“ Schließlich mache er das hier seit zehn Jahren und es habe nie Probleme gegeben. Es gibt nun mal Spielregeln, macht er klar. Passt du dich nicht an und zeigst mehr von deinem Körper, als dir lieb ist, wirst du disqualifiziert.

Doch sind das die Spielregeln eines Zusammenlebens in Diversität? Martha, die engagierte Lehrerin, erklärt, sie habe das Burkini mit der Sekretärin abgesprochen. Doch vergeblich, der Entscheider lässt sich nicht darauf ein, schaltet auf stur, steht verärgert auf und geht. Der Einsatz der Lehrerin und des Direktors sind wertvoll, schließlich geht es um ihre Schülerin, doch der ist nicht von Dauer. Schnell geben sie auf und der Druck wandert zur Schülerin über. Hätten Lehrerin und Direktor nicht mehr machen können?

Bitte mitschwimmen

„Sie ist ein Schwan, der sich selbst zum hässlichen Entlein gemacht hat.“ Das schreibt Elmar Krekeler in Die Welt über Ilayda. Und in der Filmbeschreibung steht, Ilayda hätte sich ihre Ausgrenzung selbst gewählt. Stellt sich die Frage nach dem Warum? Entscheidet sich Ilayda für das Kopftuch, so ist sie automatisch ausgegrenzt. Dabei wurde sie weder gezwungen noch unterdrückt, sie selbst will es so. In diesem Fall ist es die Schule, die zur Quelle des Drucks wird und sie dazu zwingt, etwas zu machen, was sie nicht will.

Von ihr wird erwartet mitzumachen, mitzuschwimmen und ja nicht anders zu sein. Will sie anders sein, will sie im Burkini schwimmen, kann sie nicht dazu gehören, wird sie nicht zugelassen. Und trotzdem soll sie sich selbst ausgegrenzt haben, das hässliches Entlein? Sie ist die Freischwimmerin, weil sie sich äußerlich von ihrer Kleidung befreit, innerlich jedoch sich dem Druck der anderen beugt und sich fremdbestimmen lässt. Die Gesellschaft entscheidet darüber, wer frei ist und wer nicht. Ilayda zieht sich aus, um nicht ausgeschlossen zu werden, wider Willen. Und das ist die Botschaft des Filmes der gelungenen Integration: Ihr habt euch anzupassen. Ihr habt mitzuschwimmen.

Kein Platz für Vielfalt

Besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund geraten in ihrem Prozess der Identitätsfindung ins Schwimmen. Verheerend finde ich, dass hier öffentlich-rechtliche Sender ihren Bildungsauftrag grob missachten. Es wird vermittelt, dass es für Vielfalt keinen Platz gibt. Wer mitschwimmen will, hat sich anzupassen und gegebenenfalls seine Werte abzulegen. Aktuell Meinung

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  1. Pingback: Mitschwimmen um jeden Preis | andererseits

  2. Ahmetzade sagt:

    „Auch der Burkini ist nicht einfach irgendein Kleidungsstück sondern steht für eine politisch-religiöse Botschaft.“

    Beweise bitte. Ansonsten ein haltloses und falsches Vorurteil. Leute, die in der Gesellschaft eine solche Ansicht vertreten, machen mir weit mehr Sorgen als gewaltbereite Glatzköpfige mit Springerstiefeln, die „Ausländer raus!“ gröhlen.

  3. Murat sagt:

    @Ahmetzade

    „Der Burkini steht für eine politische-religiöse Botschaft. Beweise bitte“

    Die „First Ladies“ der AKP-Politiker Gül und Erdogan tragen Kopftuch, die Ehegattinnen von CHP-Oppositionspolitiker nicht. Weibliche Verhüllung ist also ein klares Signal für einen politisch-religiösen Standpunkt.

    „Leute, die solche Ansichten vertreten machen mir weit mehr Sorgen als gewaltbereite Glatzköpfe“

    Ebenso wie die Autorin instrumentalisieren Sie das Thema Fremdenfeindlichkeit in missbräuchlicher Weise für ein rein politisch-religiöses Anliegen. Der Burkini ist auch innerhalb der türkischen Communtiy höchst umstritten und wird sehr kontrovers diskutiert.
    Bei dieser Frage geht es nicht um Xenophobie, sondern um das Spannungsfeld zwischen Regeln des aufgeklärten säkularen Staates und einer buchstäblichen Religionsauslegung. So gibt es beispielweise auch in den USA einen schwelenden Konflikt mit evangelikalen Christen, die durchsetzen wollen, dass neben der Evolutionstheorie im Biologieunterricht auch die Hypothese eines intelligenten göttlichen Designs vorgetragen wird. Mit Xenophobie oder speziell dem Islam hat die ganze Debatte nichts zu tun.

  4. Han Yen sagt:

    @Kolibri

    Das sehen Sie falsch. Eine Mehrheit hat nicht das Recht eine Minderheit zum Schwimmen zu schicken.

    Sportpolitik hatte immer mehrere Gründe Wehrertüchtigung, Werteerziehung und Körpererziehung.

    Migranten interessiert besonders der Aspekt Werteerziehung und Körpererziehung. Unter Werteerziehung verstehe ich der Jugend den Gedanken zu vermitteln, dass der Mensch ein übendes Wesen ist und sich durch Arbeit an sich selbst selber schafft. Ausserdem sollen junge Menschen lernen, dass es Regeln im Zusammenleben gibt – und man Fair von Foul unterscheiden können muss. Diese Ziele erzielt der wettbewerbsorientierte Sportunterricht an deutschen Schulen nicht.

    Sport ist im Wesentlichen Selbstkultur und sie soll keine Sozialisierung in die konkurrenzorientierte Marktgesellschaft sein. In den Sportunterricht gehört also Klettern, Turnen, Schwimmen, Wandern, Yoga, Qigong, Capoeira, Skaten, Radfahren und Krafttraining – aufgelockert mit mentalen Übungen.

    Schwimmen ist nur ein Hilfsmittel um ans Ziel zu kommen. Das Ziel ist Werteerziehung zum übenden Wesen, das die Sorge um sich selber lernt. Das Lernziel ist nicht ein Ausgrenzungsritual.