Bulgarien und Rumänien

Die Lüge von der „Armutsmigration“

Spätestens durch die ausländerfeindlichen Thesen von Vertretern der Unionsparteien wurde der Begriff "Armutsmigranten" hegemonial in der Debatte um Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Zahlreiche Fakten beweisen aber, dass diese These nicht haltbar ist. Michael Lausberg fasst zusammen:

Von Montag, 03.03.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.03.2014, 9:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der Begriff der „Armutsmigration“ kennzeichnet in weiten Teilen die Debatte um die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. In einer offiziellen Pressemitteilung des Deutschen Städtetages Anfang 2013 wurde der Begriff erstmals einer breiteren Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang bekannt. Dort wurden Bund, Länder und die EU dazu aufgerufen, den Kommunen stärker bei der Bewältigung der Probleme zu unterstützen, die durch die „Armutszuwanderung“ 1 aus Bulgarien und Rumänien entstünden.

Spätestens durch die ausländerfeindlichen Thesen von Vertretern der CSU und CDU 2 sowie die ressentimentgeladene Kampagne der Springer-Medien um den Jahreswechsel 2013/2014 3 wurde der Begriff hegemonial in der Debatte um Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Migration wurde und wird wie fast immer in den letzten Jahrzehnten in einer Semantik der Gefahren dargestellt und nicht als einen Prozess, der sich schon seit Menschengedenken vollzieht und im Zeitalter der Globalisierung immer mehr zunehmen wird. 4

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Zwei Konstruktionen, die schon Anfang der 1990er Jahre die Szenerie bestimmten, beherrschten die Debatte: erstens die „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und zweitens das damit verbundene Bild Deutschlands als „Sozialamt der Welt“. Diese Konstruktionen sind keine Erfindung des „rechtsextremen Randes“, sondern Bestandteil des Diskurses in der „Mitte“ einer demokratisch verfassten Gesellschaft. Die extreme Rechte zeigte sich von dieser Steilvorlage begeistert und brauchte diese auch im Hinblick der kommenden Wahlen nur noch zuzuspitzen.

Zahlreiche Fakten beweisen aber, dass die These von der „Armutszuwanderung“ nicht haltbar ist.

Insgesamt gesehen profitiert die BRD von der Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Im Vergleich mit anderen Zuwanderergruppen sind Menschen aus Bulgarien und Rumänien ökonomisch weitgehend gut integriert. Die Arbeitslosigkeit lag Ende des Jahres 2012 bei 9,6 %, etwas über dem gesamtdeutschen Schnitt von 7,4 %. So haben 9,3 Prozent der Bulgaren und Rumänen ganz oder teilweise Hartz IV oder andere Sozialleistungen erhalten, was die „Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme“ ad absurdum führt.

Es gibt sehr starke regionale Differenzen: Die Arbeitslosenquoten der Bulgaren und Rumänen reichen von 5,6 Prozent in Stuttgart und 6,7 Prozent in München bis zu knapp 27 Prozent in Duisburg und knapp 25 Prozent in Berlin. Der Anteil der Hartz-Empfänger beläuft sich in Stuttgart und München auf 5,2 und 5,6 Prozent, in Berlin auf knapp 20 Prozent und in Köln auf 15 Prozent. Vor allem die deutsche Rentenversicherung profitiert von der Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien, was an der Altersstruktur der Zuwanderer zwischen 25 und 45 Jahren liegt. Die Zahl der Rentenbezieher ist sehr gering, so dass die Zuwanderer insgesamt mehr einzahlen als sie später an Rentenansprüchen herausbekommen. Allein ihr Beitrag zur Rentenversicherung übersteigt die vor allem durch die Kommunen geleisteten Ausgaben für soziale Hilfen.

Herbert Brückner, Leiter des Forschungsbereiches „Internationale Vergleiche und Europäische Integration“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, konstatiert: „Die Erträge und Lasten sind vielmehr ungleich verteilt. Die Kommunen gehören eher zu den Verlierern, da sie für die Grundsicherung aufkommen. Die Rentenversicherung gehört demgegenüber zu den Gewinnern. Insgesamt gilt jedoch: Wir müssen das herrschende Bild, bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien handele es sich überwiegend um eine Armutszuwanderung, korrigieren. Eine solche Korrektur ist auch deshalb notwendig, um die Bevölkerung aus diesen Ländern nicht ungerechtfertigt zu stigmatisieren. Damit werden die Integrationsprobleme nicht kleiner, sondern größer.“

Eine Expertise des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln beweist, dass die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien von ökonomischem und sozialem Nutzen ist. Die Zuwanderung treibt die für ein Industrieland äußerst niedrige Quote von 19 % der Bevölkerung mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss in die Höhe. 25 % der erwachsenen Einwanderer besitzen einen akademischen Abschluss. Darunter besitzen ca. 8 % der erwachsenen Zuwanderer einen akademischen Abschluss in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) und können damit den in diesen Brachen herrschenden Fachkräftemangel etwas abmildern.

Prof. Michael Hüther, Direktor der IW, bilanzierte: „Durch die neu hinzugekommenen Arbeitskräfte steigt die Wirtschaftskraft Deutschlands, was sich wiederum positiv auf die öffentlichen Haushalte und die Kommunen auswirkt. Insofern hat Einwanderung nicht nur positive Auswirkungen auf die Sozialversicherungen, sondern verbessert auch die Lage der öffentlichen Haushalte insgesamt.“

80 % der zwischen 2007 und 2011 zugewanderten Bulgaren und Rumänen sind sozialversicherungspflichtig auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Im Jahresgutachten 2012 des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration wird deutlich gemacht, dass 72 % der Zuwanderer aus diesen beiden Ländern zwischen 25 und 44 Jahren, die nach 2007 in die BRD kamen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen. 5 Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) betonte, dass sich unter den Zuwanderern ein hoher Anteil an Studenten und qualifizierten Fachkräften befindet. Laut Stadtverwaltung Duisburg handelt es sich lediglich bei jeder fünften zugewanderten Person um einen „Armutsmigranten“.

Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien verfügen sogar im Schnitt über höhere Qualifikationen als die deutsche Gesamtbevölkerung. 6 55 Prozent besitzen mindestens einen Fachhochschulabschluss. Seit geraumer Zeit versuchen deutsche Unternehmen den Fachkräftemangel dadurch aufzufangen, dass sie gezielt IT-Ingenieure, Ärzte, Pflegekräfte, Schweißer und Dreher direkt in Rumänien anwerben.

Die in diesem Zusammenhang herrschende utilitaristische Logik gibt auch Anlass zur Kritik. Diese teleologischen Prinzipien der Unterscheidung zwischen „nützlichen Fachkräften“ und „unnützen Armutsmigranten“ haben leider nicht nur in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Das reine Nützlichkeitsdenken ist Teil einer kapitalistischen Logik, in dem Leistung zählt und die im Grundgesetz der BRD besungene Würde des Menschen nur eine bescheidene Nebenrolle spielt.

  1. Deutscher Städtetag (Hrsg.): Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien vom 22.1.2013, Berlin 2013, S. 3
  2. Siehe dazu Aachener Nachrichten vom 7.1.2014
  3. Bild vom 30.12.2013, S. 2; Bild vom 31.12.2013, S. 2; Bild vom 7.1.2014, S. 2 und Bild vom 9.1.2014, S. 2
  4. Vgl. dazu Bade, K. (Hg.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, Ders./Oltmer, J.: Normalfall Migration: Deutschland im 20. und frühen 21. Jahrhundert, Bonn 2004
  5. Aachener Nachrichten vom 13.4.2013
  6. Aachener Nachrichten vom 16.1.2014
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  1. Saadiya sagt:

    @Ismael: Offensichtlich haben Ihre Erfahrungen aber nicht zur Erkenntnis geführt, dass aus Rumänien oder Bulgarien keine Sinti kommen. Sinti sind in West- und Mitteleuropa beheimateten Angehörigen der Minderheit, Roma diejenigen ost- und südosteuropäischer Herkunft. Rumänien und Bulgarien gehören zu Südosteuropa.

    Darüber hinaus vergessen Sie, dass Menschen sehr verschieden sein können, auch wenn sie derselben Gruppe/Minderheit/Religion etc angehören. In Deutschland gehen auch nicht alle Deutsche einer geregelten Arbeit nach, genausowenig beziehen sie alle Sozialleistungen. Ansprüche auf deutsche Sozialleistungen (ALG II) ergeben sich für Zuwanderer aus Rumänien oder Bulgarien (sowie anderer EU Staaten) nur dann, wenn gleichzeitig einer geregelten Arbeit nachgegangen wird (aufstocken), ansonsten ist ein Sozialleistungsanspruch mehrheitlich ausgeschlossen.

    Seit mehr als 600 Jahren leben Sinti und Roma in Deutschland. Zunächst wurden sie als Handwerker hoch geachtet, doch bald wendete sich das Blatt: Immer wieder wurden sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen, verfolgt und ermordet. Die Minderheit der Roma wird in ihren Herkunftsländern und in der BRD bis heute massiv dikriminiert. Das führte dazu, dass viele der Roma niemals öffentlich angegeben haben, Roma zu sein. Dies trifft insbesonderer auf erfolgreiche und sehr gute ausgebildete Roma zu, die ihrer Abstammung verschwiegen haben, um überhaupt eine Chance auf ein Universitätsstudium oder einen Schulabschluss zu haben. Von diesen Erflogreichen ist nur wenig bekannt, denn sie definieren sich nach aussen nicht als Roma. Rund 70.000 Sinti und Roma von den ca. 140.000 in Deutschland Lebenden haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

  2. Matthias sagt:

    Mich stört diese unehrliche Diskussion. Auch das Wort Armutsmigration verstört mich. Und auch die Nennung von Rumänen und Bulgaren in diesem Zusammenhang verwischt die Realität.

    1. Die Statistiken über Hartz4 Bezieher sind für die Tonne! Die Jobcenter leisten aufgrund des Leistungsausschluss nicht für erwerblose EU-Bürger, sondern sie leisten nur an Aufstocker.

    Mehrere Nachfragen bei diversen Jobcentern ergeben, dass nur wenig Rumänen Leistungen erhalten. Die Nicht-Annahme- oder Ablehnungsquote der SGB II Anträge bei Rumänen ist sehr hoch.

    Die Gegner der „Armutsmigrationsdebatte“ nutzen hier eine nicht aussagekräftige Statistik.

    2. Und Ismail hat teilweise Recht: Es geht nicht um rumänische Staatsangehörige, sondern um Roma, vorwiegend aus Rumänien.

    Und auch hier gibt es unterschiedlichste Gruppen. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass ein Teil der Roma in den Kommunen massivste Probleme verursacht. So ziehen häufig mehrere Familien gleichzeitig in eine Kommune und die Kommune hat mit einem Schlag vielfache Probleme. Schulämter und Polizei müssen sich um die Erfüllung der Schulpflicht kümmern, Jugendämter sind häufig involviert wegen Kindeswohlgefährdungen oder aber Schwangerschaften von Minderjähirgen. Die Gewerbeämter und die Polizei hat zusammen mit den Ordnungsämtern oft illegale Schrottsammler zu bekämpfen

    Ich schreibe hier keine Vorurteile, sondern mehrfache höchstpersönliche Erfahrungen.

    Wenn mit einem Mal soviele Personen in eine Gegend ziehen, die häufig durch sozialen Wohnungsbau geprägt ist, entwickelt sich sehr schnell eine Front der Nachbarn gegen die Zugezogenen. Und diese Front ist natürlich offen für Vorhaltungen wie „Armutszuwanderer“.

    Ich persönliche würde mir von den Zugezogenen auch ein anderes Verhalten wünschen, aber ich habe mir in Serbien, Rumänien und im Kosovo die Roma-Siedlungen angesehen und muss sagen, dass in diesen Staaten tatsächlich eine Diskriminierung stattfindet und diese Personen tatsächlich ihr Leben vollkommen anders organisieren müssen, als andere dort lebende. Und wenn ich mein ganzes Leben Probleme habe, keine Chance auch einen Job oder eine Schulbildung, dann kann ich sogar nachvollziehen warum hier andere Verhaltensweisen vorliegen als in den jeweiligen Mehrheitsgesellschaften.

    Es sollte Deutschlands Rolle in der EU sein, die Verhältnisse für Roma in Ihren Heimatländern zu verbessern, von Rumänien und Serbien deutliche Veränderungen zu erwarten und dies einzufordern. Ich halte einen EU-Beitritt von Serbien ohnehin für bedenklich, aber wenn man schon darüber verhandelt, dann doch mit klaren Forderungen für die Verbesserung der Situation der Roma (u.A.)

    Wir erleben in Deutschland das Ergebnis der Diskriminierung in den genannten Ländern und können nicht damit umgehen. Die Wurzel des Problems liegt aber woanders.

  3. Richard M sagt:

    Dieser Artikel ist eine Lüge.
    Ich arbeite in BAWü bei der Stadtverwaltung und meine Frau bei der Polizei.

    16,9% der Rumänen und Bulgaren beziehen Hartz4 und sind somit die grösste Gruppe von Ausländern die in DEU ALGII beziehen.

    Das Gerücht „80% seien beschäftigt“ ist auch eine Lüge, weil die Mehrheit in Niedriglohnjobs (480-600 Euro) beschäfigt sind und die Mehrheit auch wieder durch unsere Sozialsysteme aufgestockt sind. Wer anfängt mir Jobs wie Klofrau als „Bereicherung“ für unserer Gesellschaft zu verkaufen…….hat keine Ahnung.

    In Stuttgart haben mehrere Hilfseinrichtungen (Caritas, Armenküche etc) schon die slowenischen, rumänischen und bulgarischen Gruppen von Bettler (werde sicherlich in 2017 uns auch als Gewinn für unsere Witschafts verkauf) ein Verbot ausgesprochen, weil diese zu kriminellen Gruppen von Zwangsbettler gehören.

    Hören Sie endlich auf ständig Realitäten durch „Lügen“ zu verwässern.
    Die Königstrasse ist teilweise echt nur Balkan und sogar mein Nachbar (ein Türke seit 1970 in DEU und Facharbeiter!) fühlt sich als Migrant fremd in Stuttgart > Zitat „Ich sehen nur Roma, Bulgaren und viele Bettler!“ :)