Nach dem Sarrazin-Schock

Der neue muslimische Arbeitskreis der SPD

Mit der Gründung des muslimischen Arbeitskreises möchte die SPD den eingeschlagenen Kurs der Öffnung fortsetzen. Inhaltlich hat der Arbeitskreis aber noch nicht viel zu bieten und frei von Widersprüchen ist er auch nicht - Severin Caspari kommentiert.

Von Severin Caspari Montag, 03.03.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.03.2014, 6:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Mitte Februar (14.2.14) stellte die SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus den neu eingerichteten „Arbeitskreis Muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“ (AKMS) vor. Die Partei setzt damit den unter SPD-Chef Gabriel eingeschlagenen Kurs der Öffnung für Menschen mit Migrationshintergrund und Muslime konsequent fort.

Nach dem Sarrazin-Schock hatte die SPD zuletzt feststellen müssen, dass sie die Sympathien bei der Gastarbeitergeneration und ihrer Nachfahren längst nicht mehr sicher hatte. Vor allem religiöse Bildungsaufsteiger aus türkisch- und arabischstämmigen Familien, ausgestattet mit einem Selbstverständnis als „deutsche Muslime“, wählen – anders als in der Vergangenheit – keineswegs mehr automatisch die Sozialdemokraten. Auf dem Feld der Symbolpolitik drohten die Sozialdemokraten gar von der CDU überholt zu werden, die mit Integrationsgipfel und Islamkonferenz auf Migranten und Muslime zugegangen ist, zumal der christdemokratische Innenminister Schäuble gleichzeitig den Islam offiziell als einen Teil von Deutschland anerkannt hat.

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Durch die zuletzt verstärkt zu beobachtende Berufung von Musliminnen in Spitzenämter sowie durch die Gründung des AKMS schafft die SPD nun ein erweitertes Partizipationsangebot für Muslime. Der Abend im Willy-Brandt-Haus erweckte den Eindruck, dass dieses Angebot besonders von jungen, gut ausgebildeten Muslimen gut aufgenommen wird. Gelingt es der Partei tatsächlich, politisch aktive Muslime an sich zu binden, sendet sie damit durchaus positive Signale an die wachsende muslimische Wählerschaft aus. Gleichzeitig schafft sich die SPD Ansprechpartner in den eigenen Reihen, die im besten Fall in die muslimische Community hinein vernetzt sind.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Aydan Özoguz erinnerte gleich zu Beginn ihrer Begrüßungsrede daran, dass Religion in der Historie der SPD ein lange Zeit umstrittenes Thema gewesen sei. Seit der Godesberger Wende habe sich die Partei jedoch für Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen geöffnet. Die Gründung des Arbeitskreises ist für die stellvertretende Parteivorsitzende damit ein konsequenter Schritt, um sowohl der innerparteilichen als auch der gesamtgesellschaftlichen Pluralität und Vielfalt in Deutschland Rechnung zu tragen.

Dass sich die Anhänger religiöser Glaubensgemeinschaften innerhalb der SPD zusammenschließen, ist dabei nicht neu: 2007 waren es jüdische und im Jahr darauf christliche Sozialdemokraten, die einen Arbeitskreis ins Leben riefen. Die Idee für den AKMS kam, wie Teilnehmer berichten, aus dem Umfeld der Berliner SPD. Der Arbeitskreis sei dabei grundsätzlich auch offen für Nicht-Muslime oder politisch Interessierte ohne SPD-Parteibuch – einzig für die Wahl zur Sprecherin oder zum Sprecher wird eine Mitgliedschaft in der Partei vorausgesetzt. Damit erinnert der AKMS in seiner Struktur stark an den „Arbeitskreis Grüne MuslimInnen“ in Nordrhein-Westfalen, der bereits seit dem Jahr 2007 besteht.

Über zukünftige Ziele und Themen des AKMS war im Willy-Brandt-Haus indes noch wenig Konkretes zu erfahren. Die frisch gewählte Sprecherin Tuba Isik, promovierte Religionspädagogin und Teilnehmerin in der zweiten Phase der Deutschen Islamkonferenz, bekundete im Rahmen einer Podiumsdiskussion, zukünftig als eine in Deutschland sozialisierte Muslimin sprechen zu wollen, ohne aber den Anspruch zu erheben, Stimme für „den Islam“ in Deutschland zu sein. Der Arbeitskreis wolle sich darüber hinaus mit der Frage befassen, was man „als Muslime“ zu gesellschafts-politischen Themen beitragen könne. Spontan nannte sie als Beispiele die „Pille danach“ oder das Ehegattensplitting. Insgesamt, das machten auch anschließende Gespräche mit Aktiven deutlich, sind die inhaltliche Ausrichtung und die Themen des Arbeitskreises noch völlig offen.

Auffällig war dennoch, dass von den großen politischen Baustellen der Islampolitik an diesem Abend keine Rede war. Weder die Neuausrichtung der Deutschen Islamkonferenz, wie sie gerade von Innenminister de Mazière angegangen wird, noch die Frage der rechtlichen Integration des Islams, wie sie verschiedene Bundesländer mittels Staatsverträgen oder anderen Kooperationsformen vorantreiben, waren Thema. Auch wenn hier vor allem die Landespolitik gefragt ist, könnte ein Bundesarbeitskreis wichtige politische Impulse geben, Positionen erarbeiten und zwischen muslimischer Community und den Verantwortlichen auf Seiten des Staates vermitteln. Vorbild könnte hier der „Arbeitskreis Grüne MuslimInnen“ in NRW sein, der erfolgreich bei der Einführung bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts zwischen muslimischen Verbänden und Politik vermittelt hat.

So lässt sich bei derzeitigem Erkenntnisstand festhalten: Statt Islampolitik konkret mitzugestalten, ist der AKMS bestrebt, sich einem breiten gesellschaftspolitischen Themenspektrum aus muslimischer Perspektive, das heißt aus spezifischen religiösen Werthaltungen heraus, zu widmen. Eine solche Haltung stellt zweifellos einen Ausweg aus der Nische der Islampolitik dar und bekundet den Anspruch, sich nicht auf politische Themen mit „Islambezug“ reduzieren zu lassen. Insofern steckt in dieser Haltung ein emanzipatives Moment und gleichzeitig markiert die SPD-Initiative damit einen Schritt in Richtung der viel beschworenen „Normalisierung“ im Verhältnis von Muslimen und nicht-muslimischen Gesellschaftsteilen.

Ein Widerspruch bleibt derzeit jedoch bestehen: Wenn die Vertreter des AKMS eine muslimische Perspektive auf politische Themen einbringen möchten und dabei ihre Sichtweisen als Muslime einbringen wollen, warum sollten sich dann auch Nicht-Muslime dort engagieren? Die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland politisch vorantreiben oder sich für Anti-Diskriminierung  einer religiösen Minderheit einsetzen, steht jedem offen und sollte nicht nur Thema für Muslime sein. Um jedoch aus einer religiösen Werthaltung heraus politische Prozesse zu begleiten, braucht es ein Bekenntnis. Aktuell Meinung Politik

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