Arm durch Arbeit

Gegen die Erweiterung der Dumpinglohn-Integrationskurse

Die vom Bundesrat geforderte Öffnung der Integrationskurse ist bestenfalls naiv. Wir brauchen keine „Integration“ der Zuwanderer in den Dumpinglohnsektor, sondern gute Bildungsangebote und gut bezahlte Arbeit. Integrationskurse sind aber schlechte Bildungsangebote und schlecht bezahlte Arbeit.

Von Georg Niedermüller Freitag, 14.02.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.02.2014, 22:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bevor die Integrationskurse für neue Gruppen geöffnet werden, müssten sie komplett umgekrempelt und eigentlich ganz neu erfunden werden. Es fängt mit der Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums an. Der Rat für Migration hat zu Recht gefordert, dass die Integrationskurse nicht mehr vom BMI, sondern vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales organisiert werden sollen.

Dessen ungeachtet ist in dem Gesetzesentwurf zu lesen: „Die bestehenden Angebotsstrukturen der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugelassenen Integrationskursträger sowie die Konzeption, Curricula und Abrechnungsmodalitäten der Integrationskurse können hier genutzt werden.“

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Viele Lehrkräfte sehen diese Behauptung anders: das BAMF gilt vielen als unfähig, die Kurse zu organisieren. Man denke nur an den Abrechnungsbetrug, der durch Report Mainz aufgedeckt wurde: je mehr Kreuze ein Träger auf die Anwesenheitsliste machte, desto mehr Geld bekam er vom BAMF. Diese Betrügereien waren die Folge einer Unterfinanzierung der Träger durch das BAMF.

Der Grund für diesen Skandal besteht heute immer noch. Erst vor wenigen Tagen hat ein Träger in einem öffentlichen Brief an Frau Özoguz und Herrn de Maizière Kritik an den Richtlinien für die Abrechnung der Kurse geäußert. In dem Brief heißt es: „Es ist nicht länger tragbar, dass wir Kursträger, die Integrationskurse abhalten, pro Unterrichtsstunde 2,94 brutto NUR erhalten, wenn der Teilnehmer zum einen: 1. anwesend oder 2. entschuldigt (gemäß Fehlzeitenkatalog Stand: 26.07.2013) ist.“

Tatsache ist nämlich: falls ein Teilnehmer aus den verschiedensten Gründen nicht zum Unterricht kommt (z.B. weil er weggezogen ist oder eine Arbeit aufgenommen hat), dann bekommt der Träger vom BAMF für ihn kein Geld. Diese finanzielle Unsicherheit gleichen die meisten Träger dadurch aus, dass sie die Lehrkräfte als Honorarkräfte anstellen und ihnen das Urlaubsentgeld vorenthalten, das zumindest den „arbeitnehmerähnlichen“ Lehrkräften zusteht. Die Antwort des Deutschen Volkshochschul-Verbandes nach den Urlaubsansprüchen der Lehrkräfte war symptomatisch: man wollte sich lieber nicht äußern. Unsere „Initiative Bildung Prekär“ hatte dazu Herrn Ernst Dieter Rossmann angeschrieben, der Vorsitzender des DVV und bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist. Auch DVV- Präsidentin Rita Süssmuth äußerte sich nicht zu unserer Nachfrage, wie es sich denn mit den Urlaubsansprüchen der Lehrkräfte verhält.

Dieser Träger hier bezieht zum ersten Mal die Lehrkräfte als Akteure der Integrationskurse überhaupt mit ein. Er fragt bezüglich der Mindestvergütungshöhe von 20 €: „Wie soll das langfristig mit der derzeitigen Abrechnungsgrundlage möglich sein?“ Ja, das möchten die Lehrkräfte auch gerne wissen. Von den Politikern der CDU/CSU, SPD und der Grünen hören wir leider gar nichts dazu, die glauben anscheinend, dass ein Träger aus 2,94 € schnell mal 10 € zaubern kann, von denen er uns 3 € pro KursteilnehmerIn abgeben kann.

Angenommen, der Träger könnte der Lehrkraft 3 € pro Teilnehmer pro Unterrichtseinheit auszahlen, dann könnte die Lehrkraft davon knapp leben, falls regelmäßig 15 TeilnehmerInnen anwesend sind. Sind nur 10 anwesend, dann wird es knapp. Bei dem derzeit „empfohlenen“ Mindesthonorar von 20 € pro Unterrichtseinheit kommt die Lehrkraft auf 990,85 € „Gewinn“ im Monat, wie die GEW errechnete. Das ist für eine Vollzeitstelle mit Hochschulstudium ziemlich genau das Existenzminimum. Wir haben es den Grünen, der SPD und der CDU/CSU immer wieder vorgerechnet, aber man hält diese Bezahlung für in Ordnung oder äußert sich nicht dazu.

Der Leiter einer Volkshochschule kritisierte kürzlich das BAMF wegen der „bürokratischen Hürden“, die er darin sieht, dass die Lehrkraft an einer unverkürzten Zusatzqualifizierung teilnehmen muss, um vom BAMF zugelassen zu werden: „Mangels Dozenten müssen wir die Leute vertrösten und das Ergebnis ist, dass sie nicht eingegliedert werden können, sondern zu Sozialhilfeempfängern werden.“ Nun, viele Lehrkräfte müssen selbst mit Sozialhilfe aufstocken, weil die Volkshochschulen die Sparmaßnahmen des BAMF ungerührt an die Lehrkräfte durchreichen. Es ist verständlich, dass sich immer weniger Lehrkräfte dafür hergeben, zu solchen Konditionen zu arbeiten.

In dem Gesetzentwurf des Bundesrates ist wie so oft das Märchen zu lesen, dass Bildung angeblich den Lebensunterhalt sichere: „Als Folge des durch Beschäftigung sichergestellten Lebensunterhalts würde eine nicht unerhebliche Entlastung der öffentlichen Kassen eintreten.“ Wie man an den Lehrkräften sieht, sichert Beschäftigung in einem Niedriglohnsektor noch lange nicht den Lebensunterhalt. Man ist „arm trotz Arbeit“. Einer Ausweitung solcher Arbeitsverhältnisse sollte deshalb entgegengetreten werden.

Statt dessen brauchen wir eine „Gleichstellung der Integrationskurslehrkräfte mit Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen“, wie sie nun endlich auch von der GEW gefordert wird (s.o.). Danach müsste ein ganz neues Bildungskonzept für MigrantInnen und ihre Kinder (!) erstellt werden, in das dann auch die AsylbewerberInnen integriert werden können. Denn selbst wenn die Lehrkräfte von ihrer Arbeit leben könnten ist immer noch die große Frage, ob Integrationskurse für MigrantInnen das Richtige sind, oder ob die nicht ganz andere Hilfestellungen benötigen. Man denke nur an die Probleme, die ihre Kinder in der Schule haben … Aktuell Meinung

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  1. Han Yen sagt:

    Die Anbindung der Integrationskurse an das Arbeitsministerium nutzt sehr wenig. Die Steigerung der Sprachkompetenz steigert zwar die Beschäftigungsfähigkeit, jedoch ändert wenig am Angebot des positionalen Gutes Arbeitsplatz.

    Letzten Endes sind Arbeitsmärkte eine soziale Konstruktion und der Handelspolitik, Steuerpolitik und Investitionspolitik untergeordnet.

    Die Banken sammeln unter dem Vorwand der Sorge um die Altersarmut viel zu viel investitionsfähiges Kapital, dass nicht für Arbeitsbeschaffungsprogramme reinvestiert wird. Die kanadischen Labor-Sponsored Venture Capital Regularien sind da brauchbar, um eine nützliche Institutionen zu erhalten, und die Banken rauszudrängen.

    Die Handelspolitik unternimmt nichts, um über Preferential Trade Agreements mit den Auswanderungsstaaten für Betriebe mit hohen Migrantenanteil Arbeitsplätze zu mehren, obwohl Auswanderungsstaaten sattsam von Rücküberweisungen und Tourismus mit Devisen und Steuern versorgt werden. Eine Kostenbeteiligung der Auswanderungsstaaten an der Erziehung der jungen Generation kommt nicht in Frage.

    Die Liste der Mängel kann man fortsetzen. Die Amtliche Statistik ist eine in Zahlen gefasste nationale Rhetorik des Defizitsdiskurses – anstatt brauchbare demographische Daten zu erheben.

    Sinnvolle Wirtschafts- und Betriebsstatisiken über die Lage der Branchen und Berufsgruppen mit hohen Migrantenanteil findet man nicht.

    Sogar der Begriff „Migrant“ ist auf absurde Weise lächerlich, weil Leitdisziplinen der Wirtschaftswissenschaften ihn nur noch mit der Zange anfassen wollen.

    Was gefragt ist sind leistungsstarke Input-Output Statistiken, die den Ressourcenaustausch zwischen Einwanderungs- und Auswanderungsregion erfassen. Die nationale und ethnische Kategorisierung des amtlichen Blicks auf Migration sind wertlos.

    Der Anteil der Rücküberweisungen an den BNP von Auswanderungsstaaten und Gebietskörperschaften ist so groß, dass die Friedman Rule der Fiskalpolitik für optimales Wachstum nicht mehr eingehalten werden kann. Diese Auswanderungsstaaten müssen ihre Verbrauchssteuern anpassen und Veränderungen an der Einkommenssteuer vornehmen, weil viele ihrer Arbeitskräfte ausgewandert sind als Haushaltsvorstände. Sehr dumm für sie ist zudem, dass es viele undokumentierte Einwanderer gibt in den Einwanderungsländern.

    Das sind behebbare Probleme, wenn man will löst man sie einfach, um maximal vom Freihandel und der Migration zu profitieren. Aber man sollte die Debatte über optimale Wachstumspolitik in der Epoche der Handelsblöcke und des Freihandels auch nicht an Einzelfragen wie der Integrationskurse aufhängen. Genauso wenig wie man die selbstsatirische Integrationskonferenz ernst nehmen kann.

    Wahrscheinlich ist das mit nationalstaatlichen Akteuren auch nicht zu erreichen und man braucht eher regionale Akteure wie den Entwicklungsbanken, Zentralbanken und willige Sekundanten bei den internationalen Institutionen und Think Tanks.

  2. Roswitha Haala sagt:

    Hallo Georg,

    „Integrationskurse sind schlechte Bildungsangebote“ kann ich generell so nicht stehen lassen. Was daran stimmt ist, dass die Unterrichtsbedingungen mangelhaft sind. Bereits 2004 forderte der Sachverständigenrat 900 Unterrichtsstunden/UE bis B1. Gewährt wurden 600. Dass dennoch über 50% der Teilnehmenden B1 in 600/UE erreichen, ist allein dem Engagement der IntV-Lehrkräfte zu verdanken. Als Gegenleistung erhalten sie dafür – wie von dir erwähnt – bei fiktiven
    25 UE je Woche mit (inzwischen) 20 € Honorar/UE, in 45 Wochen, als Single monatlich maximal 990,85 € netto. Vorausgesetzt sie sind nicht länger als bundesdurchschnittliche 13,2 Tage krank.
    Diese 990,85 € netto liegen mit knapp 11 € über der aktuellen Armutsgrenze und entsprechen dem Tarifabschluss 2013 letztes Ausbildungsjahr Baugewerbe (gewerblich) z.B. Maurerlehrling! Dies ist aufgrund der BAMF-geforderten Qualifikation schlichtweg sittenwidrig. Weitere Vergleiche siehe BIBB.
    Ich erinnere mich noch gut daran, das Ex-Innenminister Friedrich in seinem ersten Internetauftritt meinte:“Die Integrationskurslehrkräfte sind gut qualifiziert und werden angemessen bezahlt.“ Damals 15 € Honorar je UE!
    Zum „offiziellen Abrechnungsbetrug“ per BAMF-Anwesenheitsliste: In normalen VHS-Kursen und bei sonstigen Buchungen müssen „unentschuldigte“ Fehltage bezahlt werden. Was kann der Träger dafür, dass ein_e Teilnehmer_in/TN unentschuldigt fehlt? Das BAMF ist für die Durchführung und Organisation der IntV-Integrationskurse zuständig, sprich das BAMF bucht den Kurs je TN. Aufgrunddessen wäre es seine Pflicht zu zahlen, statt gerade private Träger durch Unterfinanzierung zum „Mundraub“ zu „verleiten“. Denken wir nur an die Kürzung der einmaligen Pauschale von 5 € je UE im Alphabetisierungskurs. (BAMF-Trägerrundschreiben v. 15.03.2010) Frist: 14 Tage!
    Planungssicherheit für die Träger? Nicht mit dem BAMF.
    Aufgrund des Einspruchs von Trägern wurde mit Rundschreiben v. 31.03.2010 eine reduzierte Pauschale von 3 € hoffärtig gewährt.
    Das BAMF diktiert den Preis und allein das BAMF verfügt über Planungssicherheit. So viel Planungssicherheit, dass sie mich durchaus an „Planwirtschaft“ erinnert.

    Unverständlich, dass gerade „der größte Partner des BAMF“ der DVV sich nicht zum Urlaubsentgeltanspruch der IntV-Lehrkräfte äußert: „Zweite Verordnung zur Änderung der Integrationskursverordnung“, am 01.03.2012 in Kraft getreten, Besonderer Teil, S. 17:“Zu Nummer 15 (§19) und Nummer 16 (§20): Bei der Erteilung der Zulassung weist das Bundesamt den Träger auf die Rechte seiner Lehrkräfte, beispielsweise die Rechtsprechung zu Ansprüchen von freiberuflich, aber arbeitnehmerähnlich Tätigen auf Urlaubsentgelt hin.“ Die Träger schweigen. Aus BAMF diktierter Finanznot.
    Wie gerade wieder private Träger bei max. 58,80 €/UE (20 TNx 2,94 €) ein Urlaubsentgelt bezahlen sollen, dazu schweigen wiederum Bundesregierung und BAMF.
    Rechtsanspruch von „freiberuflich, aber arbeitnehmerähnlich Tätigen“…? Freiberuflich gleich vogelfrei.
    Dein Zitat VHS-Leiter:„Mangels Dozenten müssen wir die Leute vertrösten und das Ergebnis ist, dass sie nicht eingegliedert werden können, sondern zu Sozialhilfeempfängern werden.“ Dazu kann ich nur sagen, endlich kapieren IntV-Lehrkräfte – meist Dozentinnen – die hyperprekären Arbeitsbedingungen trotz hoher Qualifikation und bleiben diesem BAMF-Diktat fern! Am Beispiel IntV-Lehrkraft sowie Weiterbildungslehrkraft/BA (ab 2004) ist entgegen aller politischen Aufrufe zu erkennen: Bildung und Weiterbildung lohnen sich nicht immer finanziell. Mit Sicherheit nicht für vogelfrei Tätige, die im staatlichen Auftrag, unter staatlicher Kontrolle unterrichten.

    Herzliche Grüße!

    Roswitha Haala